Premier League:Bam, bam, bam, bam, bam!

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Ein Team wie ein wildes Orchester: Spitzenreiter FC Liverpool versetzt seine Fans in Rockkonzert-Ekstase.

Von Sven Haist, Liverpool

Die Zuschauer wussten gar nicht mehr, wo sie zuerst hinschauen sollten. Der FC Liverpool, beheimatet in der Stadt der Beatles, machte Musik wie eine Rockgruppe, aber mal so richtig: In der Trainerzone sprang Jürgen Klopp mit seinen Assistenten auf und ab. Ihre Körperbewegungen deuteten an, dass jeder aus dem Powertrio auch gut und gerne Gitarrist, Bassist oder Schlagzeuger sein könnte. Die Spieler auf dem Platz gaben die Frontmänner, fünf Mal ließen sie es im Tor des FC Arsenal krachen: Bam, Bam, Bam, Bam, Bam! Die meisten Fans auf den Tribünen gerieten wie Teenies in Ekstase.

Die Band drehte mit zunehmender Spieldauer auf, ein Solo folgte dem nächsten, bis Klopp in der zweiten Halbzeit die Sorge überkam, sein Ensemble könnte außer Rand und Band geraten. Mit entschleunigenden Gesten versuchte er die Eigendynamik des Auftritts zu kontrollieren, am Donnerstag muss sein Team ja schon wieder ran: im Spitzenspiel beim Meister Manchester City. Erst mit einigem Aufwand gelang es Klopp, halbwegs für Ruhe zu sorgen. Was wohl passiert wäre, wenn der Dirigent nicht gebremst hätte? Wäre der Rausch seiner Künstlergruppe noch dröhnender geworden? Und wie oft hätte es noch im Tor des FC Arsenal geklingelt?

Zum Jahresabschluss siegte Liverpool mit Bandleader Klopp 5:1 gegen die Londoner - mit einer Lautstärke, die es fraglich machte, ob das Stadion die Veranstaltung schadlos überstehen würde. Das Fußballkonzert in Anfield, bei dem für jeden Geschmack etwas dabei war, ging auf die Sinne: Man konnte sehen, hören, riechen und fühlen, dass der ungeschlagene Tabellenführer der Premier League momentan eine der aufregendsten Besetzungen dieses Weltsports zu bieten hat. Mit 54 Punkten und 48:8 Toren aus 20 Spielen in der bisherigen Saison geht für Liverpool das Kalenderjahr 2018 zu Ende.

Zu diesem Zeitpunkt hatten in der historischen Statistik der englischen Liga nur der FC Chelsea (55 Punkte, 2005/06) und Manchester City (58 Punkte, 2017/18) eine noch bessere Bilanz. "Es wäre verrückt, wenn die Fans nicht begeistert wären", sagte Klopp, "aber hoffentlich nicht zu laut, weil mein Hund das nicht mag."

Auf der Insel gilt Liverpool als Party-Hochburg. Bis in die 20 Kilometer entfernte Küstengemeinde Formby, wo Klopp das Haus seines Vorgängers Brendan Rodgers gemietet hat, dürfte es der Lärm zwar nicht schaffen. Doch auf dem Weg zum ersten Liga-Titel nach 29 Jahren legt Liverpool ein Tempo vor, das kein anderer Klub mitgehen kann. Der Abstand zu Meister ManCity auf Platz zwei, der nach drei Niederlagen in kurzer Folge am Sonntag 3:1 beim von Ralph Hasenhüttl trainierten FC Southampton gewann, beträgt sieben Punkte. Tottenham fiel durch ein 1:3 gegen Wolverhampton auf Rang drei zurück.

Zur Einordnung von Arsenal reichte am Samstag der Leistungsnachweis des Stürmers Pierre-Emerick Aubameyang: 13 Ballkontakte hatte der frühere Dortmunder - sechs davon bei der Ausführung eines Anstoßes. Auf der Ehrentribüne erinnerte der legendäre Kenny Dalglish, 67, der bisher letzte Meistertrainer der Reds, daran, dass das jahrelange Warten auf den Titel bald vorbei sein könnte. Seit Gründung der Premier League hat sich kein Klub als Tabellenführer ein so dickes Punktepolster zu Silvester noch nehmen lassen.

In Liverpool weiß nur niemand so genau, woran man ist. 2013/2014 scheiterte der Klub kurz vor Schluss trotz komfortabler Ausgangslage. "Ich bin nicht der cleverste Mensch, aber auch kein Idiot. Es ist nicht wichtig, wie viele Punkte man im Dezember hat", betont Klopp: "Wir laufen einen Marathon." Um in der gegenwärtigen Verfassung jedoch den Meistertitel im Mai noch zu verpassen, scheint Liverpool schon einbrechen oder gar am Ziel vorbeirennen zu müssen.

Die nächste Nervenprobe bestand der kommende Achtelfinal-Gegner des FC Bayern in der Champions League gegen Arsenal, als der einzige 0:1-Rückstand zu Hause in diesem Jahr bereits nach 170 Sekunden wieder ausgeglichen wurde. In 31 Liga-Heimspielen in Serie ist Liverpool unbesiegt, die Anfield Road ist der Zaubertrank, in den sich die Mannschaft fallen lässt. Überall im Spiel ist Druck drauf für den Gegner, der Torwart hält dicht, die Abwehr organisiert, das Mittelfeld treibt an, und im Angriff lauern die drei Cracks: Erstmals drei Tore in einer Partie schoss gegen Arsenal Roberto Firmino, je ein Treffer gelang Mohamed Salah und Sadio Mané.

Nur einen Pokal gibt es dafür im Winter nicht. Für Liverpool heißt es deshalb auch im neuen Jahr: sofort zurück an die Instrumente und weiter Musik machen - gleich an diesem Donnerstag gegen ManCity und Pep Guardiola. Bloody hell.

© SZ vom 31.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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