Leistungssport:Das Monster geht an den Geldbeutel

Lesezeit: 3 min

Die deutsche Basketball-Mannschaft (im Bild Isaac Bonga, mit Ball) kam bei Olympia unter die Top acht - im Potas-Ranking hingegen landete der Verband nur auf Platz 26. (Foto: Bryan Snyder/Getty)

Die umstrittene Potas-Kommission legt ihre Ergebnisse vor - die Millionen für den Spitzensport sollen künftig anders verteilt werden. Der Unmut unter den Verbänden ist immens.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Rund sechs Jahre ist es her, dass der Begriff "Potas" Einzug erhielt in die deutsche Sportpolitik. Potas - das Potenzialanalysesystem - galt seinen Fürsprechern von Beginn an als das Herzstück der Leistungssportreform, das alle Verbände haarklein durchleuchten sollte, um jene Disziplinen mit einem großen Erfolgspotenzial zu definieren - und seinen Gegnern als ein bürokratisches Monster, das es einfach nicht brauche. Nun, sechs Jahre später, ist immerhin klar: Dieses Potas entfaltet tatsächlich eine besondere Wirkung.

Denn am Montag präsentierten der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und das Bundesinnenministerium (BMI) als wichtigster Geldgeber des organisierten Sports die Ergebnisse der Potas-Kommission für die 26 Sommersportverbände. Die Durchleuchtung ist in einem sogenannten Potas-Wert für jede Sportart gemündet - und in einem Ranking, in dem die Leichtathleten (80,73) auf dem ersten und die Basketballer (46,94) auf dem letzten Platz landeten. Noch schwerer als die nackte Tabelle wiegt, dass das BMI und der DOSB zugleich eine neue Formel vorstellten, mit der sie künftig auf der Grundlage von Potas die Verteilung der Fördergelder berechnen wollen. Und diese Formel dürfte die deutsche Sportlandschaft nachhaltig verändern.

Von den zirka 250 Millionen Euro, die der Sport-Etat des BMI beträgt, fließen pro Jahr zirka 40 Millionen Euro direkt an die Sommersportverbände. Der Spitzenreiter war schon in den vergangenen Jahren die Leichtathletik mit etwas mehr als fünf Millionen Euro, die Schlusslichter wie Badminton, Gewichtheben oder Rugby erhielten zirka eine halbe Million. Künftig soll das Gros dieses Geldes über zwei Säulen verteilt werden.

Leichtathletik, Tischtennis oder Reitsport dürfen sich auf erhebliche Zuwächse freuen

In der ersten Säule, die zwei Drittel der Fördermittel ausmacht, ist für die Berechnung - neben der bisherigen Förderhöhe - ausschließlich der neue Potas-Wert relevant. Lediglich in der zweiten Säule kommt eine Variable hinzu, die nicht auf Potas beruht: das Abschneiden, das der DOSB und der jeweilige Fachverband für Olympia 2024 in Paris erwarten. Damit dürfen sich die Potas-Spitzenreiter wie Leichtathletik, Tischtennis oder Reitsport auf erhebliche Zuwächse freuen, die Schlusslichter müssen mit einem Minus rechnen. "Die Spreizung wird zunehmen", sagte der BMI-Staatssekretär Markus Kerber. Die Auswirkungen für die einzelnen Sportarten würden sich um bis zu 30 Prozent unterscheiden.

Anders als bisher soll das Geld künftig nicht für den Fachverband als Ganzen fließen, sondern für seine einzelnen Disziplinen, weshalb Potas neben der Bestenliste für Verbände auch eine für die Disziplinen erstellte. Besonders signifikant wirkt sich das bei den Schwimmern aus: Das Freiwasser-Ressort landete auf dem Spitzenplatz aller 103 Disziplinen - Synchronschwimmen war das Schlusslicht. Für manche Disziplinen wird es da künftig schwierig sein, überhaupt fortzubestehen.

Die neue Verteilerformel ist auch eine Niederlage für den DOSB in einem langen Streit mit dem BMI. Vor sechs Jahren ließ sich der Sport auf die Leistungssportreform ein, weil er sich einen Aufschlag auf sein Budget erhoffte - und diesen auch erhielt. Anlass für den Umbau war nicht zuletzt eine Mahnung des Bundesrechnungshofes, ein objektives und transparentes Fördersystem zu schaffen. Doch der Sport war stets darum bemüht, die Bedeutung von Potas zu relativieren. Er wollte es eher als Hilfestellung denn als verbindliche Vorgabe verstanden wissen. Nun kam dabei eine recht eindeutige Formel heraus. "Wenn man das System weiterentwickelt, ist das irgendwann zu akzeptieren", sagte Dirk Schimmelpfennig, DOSB-Vorstand für das Ressort Leistungssport.

"Potas ist Blödsinn", schimpft Basketball-Präsident Ingo Weiss

Doch weil Potas nun so erheblich die Geldbeutel der Verbände beeinflusst, ist der Unmut über das System und das Ranking immens. "Potas ist Blödsinn, ein Bürokratiemonster", sagte Basketball-Präsident Ingo Weiss dem Sport-Informations-Dienst. Die Basketball-Männer waren in Tokio zuletzt ins Viertelfinale eingezogen, nun wurde der Verband trotzdem 26. und Letzter. Er sei darüber "überhaupt nicht überrascht", so Weiss, weil er die Analyse "für eine Unverschämtheit" halte.

Potas sei vielleicht für Individualsportler gemacht, nicht aber für Mannschaftssportler: "Jeder, der die Hose nicht mit der Kneifzange zumacht, muss eigentlich feststellen, dass das, was bei Potas drinsteht, nicht der Realität des Basketballs entspricht." Auch die Fechter (Platz 25) und die Turner (Platz 23) äußerten Unverständnis, und selbst die Vertreter des Notenbesten warnten vor voreiligen Rückschlüssen. "Die Sportarten sind aufgrund ihrer teilweise völlig unterschiedlichen Wettbewerbssituationen, Anforderungen und Bedarfe nur bedingt linear vergleichbar", sagte Leichtathletik-Generaldirektor Cheick-Idriss Gonschinska.

MeinungPotas-Analyse
:Bestnoten für die Enttäuschten

Das Beispiel der stark bewerteten Leichtathleten im Potas-Ranking legt die Schwächen des Systems nahe: Wie es um aktuellen und künftigen Erfolg im Sport bestellt ist, darüber gehen Meinungen weit auseinander.

Kommentar von Johannes Knuth

Die Erstellung des Potas-Rankings war ein sehr kompliziertes Unterfangen. Eine fünfköpfige Kommission unter der Leitung des Potsdamer Sportwissenschaftlers Urs Granacher arbeitete sich anhand von 130 Fragen, 36 Unterattributen und 13 Hauptattributen durch alle Verbände, fragte ab, füllte aus und gewichtete. Das Ganze sortierte sie in drei Oberkategorien ein, aus denen sie dann den Potas-Wert errechnete, der angibt, zu wie viel Prozent die Verbände die Anforderungen erfüllen.

Am simpelsten war noch die Kategorie "Erfolge" - die wurde mit den Ergebnissen des vergangenen Olympia-Zyklus bestückt. Schon schwieriger war die Rubrik "Kaderpotenzial". Und besonders viel Verdruss erzeugte die Kategorie "Struktur", in der die Verbände allerhand Fragen zu Themen wie Führungsstruktur, Trainingssteuerung oder Gesundheitsmanagement beantworten mussten.

Viele Verantwortliche ätzten schon während der Erstellung, dass Potas vor allem den belohne, der gewissenhaft alle noch so unsinnigen Papiere ausfülle. Andere empfanden es als gut, dass einmal Stärken und Schwächen strukturiert aufgearbeitet würden. Ein Kernproblem bei der Akzeptanz von Potas ist nun jedenfalls: Warum welcher Verband welche Bewertung erhielt, lässt sich bisweilen nicht nachvollziehen, denn die Begründungen wurden nicht veröffentlicht. Am Ende steht vor allem eine Zahl, die über einen gehörigen Batzen Geld mitentscheidet.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusFelix Neureuther im Interview
:"Ich wäre für so einen Boykott zu haben"

Ex-Skirennfahrer Felix Neureuther spricht über eine mögliche Absage für die Olympischen Spiele in Peking, Folgen des Klimawandels für den Wintersport - und er erklärt, unter welchen Bedingungen er als DOSB-Präsident kandidieren würde.

Von Johannes Knuth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: