Vielseitigkeitsreiterin Yasmin Ingham:Ein Fuchs wie ein Ferrari

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Auch beim CHIO zuletzt in Aachen ein unschlagbares Duo: Yasmin Ingham und Banzai du Loir. (Foto: Stefan Lafrentz/Imago)

In weniger als zwei Jahren ist die Britin Yasmin Ingham in die Weltspitze geritten - dank harter Arbeit, hilfreicher Vorbilder und eines Pferdes, das Starbehandlung verdient. Bei der Vielseitigkeit-EM gilt die Weltmeisterin als Favoritin.

Von Gabriele Pochhammer

Braver Mittelscheitel, hellblondes langes Haar, ein eher schüchternes Lächeln: Dass sich hinter den madonnenhaften Zügen der jungen Frau eine Hochleistungssportlerin in der härtesten Pferdesportdisziplin verbirgt, vermutet man nicht ohne Weiteres. Kaum einer hatte Yasmin Ingham auf dem Zettel, als sie vor einem Jahr überraschend in Pratoni del Vivaro vor den Toren Roms Weltmeisterin wurde. Am kommenden Wochenende bei der Europameisterschaft in Haras du Pin in der Normandie tritt sie als eine der Favoritinnen an, wie Rosalind Canter, die britische Weltmeisterin von 2018.

Anfang Juli in Aachen bewies Yasmin Ingham beim Sieg im CCIO-S4*, dass ihr WM-Titel weder Zufall noch Ausnahme war. In weniger als zwei Jahren ist die heute 26-Jährige in die Weltspitze geritten und steht nun in einer Reihe mit den großen Amazonen, die diesen Sport seit spätestens 1968 prägen, als zum ersten Mal Frauen bei Olympischen Spielen auch Vielseitigkeit reiten durften. Bis dahin galt das als zu gefährlich - überflüssig zu sagen, dass darüber vorwiegend Männer befanden.

Aufstieg in die Weltelite in weniger als zwei Jahren: Yasmin Ingham wird 2022 auf Banzai du Loir Weltmeisterin in Pratoni del Vivaro. (Foto: Stefan Lafrentz/Imago)

Inghams Karriere enthält alle jene Zutaten für eine große Karriere. Die erste ist natürlich außergewöhnliches Talent, die nächste ein Elternhaus, in dem es schon um Pferde geht, das fördert und ermutigt - weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung, aber eine sehr hilfreiche. Ingham wuchs auf der Isle of Man auf, einer 20 Kilometer breiten, 53 Kilometer langen Insel. Eine überschaubare Welt, in der es kaum Reitturniere gab, aber in der ihre Mutter ein großes Reitsportzentrum leitete. "Mein erstes Wort war 'rauf', als ich das Pferd meiner Mutter streichelte", erzählt sie. Einmal oben, stieg sie sozusagen nie wieder ab.

Sie wurde Mitglied im örtlichen Pony Club, ritt kleine und große Turniere und beschloss im Alter von 13 Jahren, sich auf die Vielseitigkeit zu konzentrieren. Ihr damaliger Trainer fand ein passendes Pony, einen temperamentvollen, zu klein gebliebenen Vollblüter. "Ich wusste, er war nicht einfach, aber mit harter Arbeit und Entschlossenheit würde ich mit ihm weiter nach oben kommen", sagt sie. Die dritte Erfolgszutat: die Bereitschaft, sich anzustrengen, und zu wissen, dass einem nichts geschenkt wird.

Lehrreiches aus dem Fotoalbum

Schon ein Jahr später, mit 14, wurde sie Zweite in der nationalen Ponyclub-Meisterschaft und gewann einen einwöchigen Trainingsaufenthalt bei Jane Holderness-Roddam, der ersten Frau im britischen Vielseitigkeits-Olympiateam. 1968 brachte diese aus Mexiko Mannschaftsgold mit. Abends schauten die beiden zusammen Janes Album an, mit all den Fotos der großen Erfolge, zu denen auch Siege in Badminton und Burghley gehörten. Spätestens jetzt wusste Yasmin Ingham, wohin sie wollte. Auch diese Zutat fehlte nicht: Vorbilder, die animieren. 2013 wurde sie Pony-Europameisterin. Da ging es richtig los.

Mit 16 verließ Ingham die Schule und widmete sich ihrer reiterlichen Laufbahn. Eine Portion Glück gehört auch dazu: Sie fand sofort Sponsoren, die ihr Pferde zur Verfügung stellten. Als Einstieg durfte Ingham zwei ehemalige Fünfsterne-Pferde der Olympiareiterin Mary King übernehmen. Vierbeinige Lehrmeister sind eine weitere hilfreiche Zutat auf dem Weg nach oben.

Banzai du Loir, ihr Pferd, gibt den Ton an

Heute ist Banzai du Loir die Nummer eins, ein schlaksiger großrahmiger edler Fuchs aus Frankreich. Sein Vater Nouma d'Auzay sprang einst auch in Deutschland erfolgreich unter dem früheren Weltmeister Franke Sloothaak. Wie viele Top-Pferde möchte Banzai du Loir wie ein Star behandelt werden. "Banzai weiß, er ist der Kopfhund", sagt Ingham überzeugt. Das Paar legt meist schon in der Dressur die Basis für einen guten Platz. Seit zwei Jahren hat Banzai du Loir keinen Fehler mehr im Springen gemacht. "Man findet wenige Pferde, die in allen drei Disziplinen gleich gut sind", sagt Ingham. "Banzai ist mutig und vorsichtig, deswegen ist das Springen fast meine Lieblingsdisziplin."

Seit einigen Jahren trainiert sie regelmäßig mit dem britischen Nationalcoach Chris Bartle, der als Honorartrainer der deutschen Vielseitigkeitsreiter an zahlreichen Medaillen beteiligt war. Er weiß, was er an ihr hat. "Yasmin verfügt über alle Qualitäten, die ein Championatsreiter braucht", sagt er. "Sie will gewinnen. Sie ist detailversessen, deswegen macht es Spaß, mit ihr zu trainieren. Sie ist mental stark, unglaublich fokussiert, auch unter Druck."

Banzai hat nach Aachen eine Pause bekommen, wurde ein bisschen spazieren geritten, ist jetzt wieder voll im Training. Um auch vor großen Prüfungen wie in Haras du Pin die Nerven auszubalancieren, schaut Ingham sich auf dem iPad ihre guten Ritte noch mal an, geht Sprung für Sprung durch, rekapituliert alles, was Chris Bartle ihr dazu gesagt hat. "Meine positiven Erinnerungen bringen mich in eine zuversichtliche Stimmung, das ist wichtig", sagt sie. Wenn sie dann auf ihrem Fuchs sitzt, weiß sie, dass er alles kann. "Schon als ich das erste Mal auf Benzai saß, fühlte sich das wie ein Ferrari an." Ein Pferd wie ein Ferrari - vielleicht ist das am Ende die Zutat, auf die es ankommt, wenn man gewinnen will.

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