Paralympics:Was alles möglich ist

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Husnah Kukundakwe aus Uganda. (Foto: Richard Heathcote/Getty Images)

Eine iranische Bogenschützin kämpft für Frauenrechte, ein ehrgeiziger Japaner will Gold im Tennis und ein britischer Leichtathlet hat eine Trainingsanlage im Garten - Gesichter und Geschichten der Paralympischen Spiele.

Von Saskia Aleythe, Thomas Hahn und Johannes Knuth

Treffsicher

Bogenschützin Zahra Nemati. (Foto: imago)

Wer genau hinschaute, konnte Zahra Nemati 2016 bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spielen in Rio entdecken. Die Bogenschützin qualifizierte sich trotz Handicap auch für die Spiele der Sportler ohne Behinderung, sie trug für Iran sogar die Fahne. Früher hatte sich Nemati als Teakwondo-Kämpferin den schwarzen Gürtel erkämpft, mit 18 Jahren wurde sie bei einem Autounfall verletzt, seitdem sitzt sie im Rollstuhl. Mit dem Bogenschießen fand sie eine neue Leidenschaft, die sie bei ihren dritten Paralympischen Spielen zum dritten Gold führen soll. Wobei das für die 36-Jährige fast Nebensache ist: Weil sie sich für die Frauenrechte im Iran einsetzt, ist sie auch als UN-Botschafterin unterwegs. Ihre Goldmedaille 2012 in London war die erste einer Iranerin bei Olympischen oder Paralympischen Spielen - und ein Symbol dafür, was alles möglich ist. Unabhängig von Geschlecht und Behinderung. Saskia Aleythe

Druckvolles Spiel

Rollstuhltennisspieler Shingo Kunieda. (Foto: Toru Hanai/Getty)

Rollstuhltennisspieler Shingo Kunieda, 37, hat noch eine Rechnung offen. 2016 bei den Paralympics in Rio schied er im Viertelfinale des Einzelturniers aus. Ausgerechnet er, der Goldgewinner von 2008 und 2012, ein erklärter Gegner des Verlierens, einer der ehrgeizigsten Japaner im paralympischen Sport. Ihn plagte damals eine hartnäckige Ellbogenverletzung, trotzdem war die Niederlage ein Einschnitt. Er wechselte den Trainer. Stellte seine Technik um. Änderte seine Sitzposition im Rollstuhl. Redete mit dem neuen Trainer mehr über sein Spiel. Jetzt ist er ein Star der Spiele in seiner Heimatstadt Tokio. Japans Medien sind verwöhnt von den vielen Siegen der Olympiamannschaft zuletzt. Jetzt schauen sie auf ihn. Sie wollen sehen, wie er Gold im Einzel gewinnt. Und Shingo Kunieda hat nichts dagegen. Sein Ziel und ihre Erwartungen sind sehr ähnlich. Thomas Hahn

Einfach schnell

Sprinter David Brown. (Foto: Axel Kohring/imago)

Die 100 Meter sind vielleicht die technisch größte Herausforderung der Leichtathletik, gerade weil sie so simpel sind. "Du musst so unfassbar präzise sein. Ein falscher Schritt, und das war's", hat der Sprinter David Brown kürzlich dem Guardian erzählt. Für erblindete Athleten wie den 28-Jährigen, der mit einem Partner sprintet, birgt das noch mal einen ganz anderen Schwierigkeitsgrad. Wobei: Brown hat schon ganz andere Widrigkeiten gemeistert. Er litt als Kind am Kawasaki-Syndrom, erblindete als 13-Jähriger, zog sich aber nicht zurück, sondern vertiefte sich im Sport, dank seines ersten Trainers an einer Blindenschule in Missouri. Der habe ihm, wie Brown sagt, geholfen "zu sehen, was ich erreichen kann". So sei er immer besser geworden, der erste blinde Athlet unter elf Sekunden (10,92 Sekunden), Gold 2016 in Rio, in Tokio will er nun noch schneller sein. Ganz einfach. Johannes Knuth

Ganz bei sich

Husnah Kukundakwe aus Uganda. (Foto: Richard Heathcote/Getty Images)

Eines Tages wird Husnah Kukundakwe vielleicht an Medaillen denken. Aber jetzt noch nicht. Sie ist 14. Sie kommt aus Kampala in Uganda, wo Schwimmen eine der teuersten Sportarten ist, weil es dort nicht viele Schwimmbecken gibt. Am Donnerstag hat sie ihren Vorlauf über 100 Meter Brust in der Startklasse SB8 und will mal sehen. Husnah Kukundakwe gehört zu denen, die die Chance, zu sich selbst stehen zu können, erst noch entdecken müssen. Ihren fehlenden rechten Unterarm und ihre fehlgebildete linke Hand hat sie früher immer unter langen Sweatern verborgen. Beim Schwimmtraining ging das natürlich nicht. Irgendwann merkte sie, dass es ihr egal war, was andere dachten. Und jetzt ist sie bei den Paralympics und fühlt sich besser denn je. In Uganda sieht sie nicht viele Menschen mit Behinderung. "Hier haben alle eine, ich habe mich wirklich gut gefühlt in meiner Haut." Wer braucht Medaillen, wenn es stattdessen Freunde zu gewinnen gibt? Thomas Hahn

Vorschwimmerin

Schwimmerin Ellie Cole. (Foto: James Gourley/imago)

Fernsehen und Schwimmen lassen sich durchaus verbinden: Als Cate und Bronte Campbell in Tokio starteten, war Ellie Cole am Bildschirm dabei. Die 29-Jährige ließ sogar ein paar Freistil-Einheiten sausen, für den besseren Blick auf ihre Trainingskolleginnen, und verdrückte bei deren Erfolgen Freudentränen. Cole ist in Australien ist ein Star, letztens bekam sie ein Foto eines Mädchens geschickt, das wie sie eine Beinprothese trägt. Sie steht neben einem Supermarkt-Aufsteller von Cole. "Aus diesem Grund machen wir das", schrieb die Schwimmerin dazu auf Instagram; als sie klein war, hätten ihr solche Vorbilder gefehlt. Ihr war als Dreijährige infolge einer Krebserkrankung das rechte Bein oberhalb des Knies amputiert worden. Mit 15 Medaillen - sechs davon in Gold - ist sie Australiens erfolgreichste Schwimmerin. Diese Ausbeute hat nicht mal die flinke Emma McKoen bei Olympia geschafft. Saskia Aleythe

Zwischen Bäumen

Leichtathlet Aled Davies. (Foto: Ryan Browne/imago)

Jeder Sportler hat so seine Geheimnisse, jene von Aled Davies wurzeln in seinem Garten. Aber es ist nicht das stille Händchen für Flora und Fauna, das dem Kugelstoßer aus Cardiff die Ruhe verleiht, bevor er durch den Ring saust und eine Kugel schreiend davonwuchtet. Der zweimalige Gold-Gewinner von Rio bastelte sich während der Pandemie eine Stoßanlage im Garten, um sich fit zu halten: eine Matte aus dem Pferdestall als Unterlage, dazu ein Fangnetz zwischen Apfel- und Birnenbaum. Davies war erst einen Monat zuvor in sein neues Domizil gezogen, die Nachbarn wunderten sich erst mal, weshalb der neue Mieter im Garten herumschrie und Dinge durch die Gegend schleuderte. Doch das änderte sich rasch. Und Davies, der so ziemlich jeden Titel in der Klasse F63 gewonnen hat, entdeckte während der zwangsweise verlängerten Vorbereitung ein weiteres Erfolgsgeheimnis: dass er in Tokio gar nicht mehr gewinnen muss, sondern kann. Johannes Knuth

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