Paralympics: Die Bilanz:Authentische Schwester

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Die Herren der Paralympics feilen an ihren Spielen - und sollten dabei vorsichtig sein, dass die Authenzität bleibt. Noch sind die Paralympics ihrer großen Schwester um Längen voraus.

T. Hahn

Die Paralympics in Peking sind zu Ende, und die Frage ist: Was bleibt? Was war? Was muss werden? Aber die Antworten sind nicht einfach, weil die Weltspiele des Behindertensports insgesamt komplizierter sind als deren große Schwester Olympia. Die Olympischen Spiele stehen für die Perfektion menschlicher Körper und die Suche nach dem einen Besten in jeder Disziplin. Das macht sie übersichtlich und leicht als Spektakel zu inszenieren. Die Paralympics hingegen stehen für die Perfektion unvollkommener Körper, und weil die körperliche Unvollkommenheit viele Formen kennt, stehen sie auch für die Suche nach mehreren Besten in jeder Disziplin. Das macht die Paralympics unübersichtlich und das Spektakel sperrig.

Die paralympischen Spiele sind zu Ende. (Foto: Foto: AP)

Die Herren der Paralympics stehen vor einem Dilemma: Ihre Spiele sollen den Massenmedien gefallen, aber gleichzeitig so viele Menschen mit Behinderung wie möglich im sportlichen Wettstreit vereinen. In Peking umfassten die Sommer-Paralympics 472 Entscheidungen, so wenige wie noch nie, trotzdem erkannten die Vermarkter gerade beim Schwimmen und in der Leichtathletik die alten Probleme des Behindertensports: dass es zu ungleichen Wettkämpfen kam. Dass kleine Feldern auf eine geringe Leistungsdichte schließen ließen. Und dass bei der Fülle der Medaillengewinne der sportliche Erfolg jedes einzelnen unterging in einer Lawine aus Edelmetall.

Sonst verliert der Sport seinen Charme

Schlecht waren diese Paralympics deswegen noch lange nicht. Erstens weil die Kritik auf viele Programmpunkte gar nicht zutrifft. Außerdem liegt die Unvollkommenheit des Spektakels in der Natur dieser Spiele. Sie nicht für den Massengeschmack zu verleugnen, ist eine Qualität. Deswegen dürfen Paralympias Leichtathleten trotzdem daran arbeiten, ihre Wettkämpfe mit neuen Rechenmodellen und Präsentationen gerechter und durchsichtiger zu machen. Aber es muss bedächtig geschehen. Sonst verliert der Sport seinen Charme.

Der Behindertensport verlangt seinen Beobachtern einiges ab. Sie müssen sich schon darauf einlassen, um seine Ästhetik zu verstehen. Er steht mehr für Botschaften und Inhalte als für Beiträge zur Ergebnisindustrie wie die Ligen und Sportfeste des alltäglichen Sportbetriebs. Das Medaillenzählen ist ein Teil seines paralympischen Spiels, bei dem eine unterschätzte gesellschaftliche Minderheit den Ungläubigen ihre Fähigkeiten aufzeigt. Es gehört dazu und ist ein schöner Aufhänger, tiefer in seine vielfältige Welt zu schauen. Nur manisch darf es nicht werden. Sonst wird das Spiel beliebig, und der Eindruck kommt auf, eine paralympische Medaille sei das gleiche wie eine olympische. Sie ist es nicht.

Olympia sollte der paralympischen Gemeinde eine Mahnung sein. Olympias Ideale sind verkauft, sie hängen an den Fäden von Wirtschaft und Politik und wirken nur noch wie Etiketten für ein buntes Feuerwerk der Eitelkeiten. Die Paralympics hingegen haben sich noch nicht zu viel aufzwingen lassen. Sie haben die Medien mit all ihren Fehlern gewonnen, ihre Kraft kommt von innen. Es gibt Zeichen, dass diese Kraft schwächer wird. Der professionelle Prothesenläufer Pistorius lächelt wie im Prospekt, der Paralympia-Präsident Craven verfängt sich in platter Diplomatie. Aber noch sind die Paralympics ihrer großen Schwester um Längen voraus. Sie sind authentisch.

© SZ vom 18.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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