Wenn es ein Bild gab, das für die Stimmung der deutschen Fußballerinnen stand, als sie an diesem Wochenende vom Frankfurter Flughafen aus nach Brasilien aufbrachen, dann war es Silvia Neid mit dem Agogô. Die Trainerin der Nationalmannschaft hätte am Freitag wohl am liebsten gar nicht mehr aufgehört, das brasilianische Instrument mit den zwei Metallglocken zu spielen - und sie lachte dabei lauthals, während die Spielerinnen sich beim letzten öffentlichen Auftritt vor dem Abflug an einer Ganza versuchten, einer brasilianischen Rassel.
Die deutschen Fußballerinnen sind am Samstag in São Paulo angekommen, drei Tage haben sie dort noch Zeit, sich auf ihr erstes Spiel beim olympischen Fußballturnier am Mittwoch vorzubereiten. Und vor dem Abflug am Freitag hatten sie gemeinsam mit der Männermannschaft noch einmal in die Neu-Isenburger Villa Kennedy geladen, um vor der langen Reise von ihrer Gemütslage zu berichten. Das Ergebnis: Die Stimmung ist gut.
Neids Mannschaft blieb von Verletzungen verschont
Was banal klingt, war in Wahrheit eine beruhigende Nachricht. Denn Neid saß in der Pressekonferenz auf dem Podium ja neben Horst Hrubesch, dem Trainer der Männermannschaft. Und auch wenn Neid und Hrubesch, die sich seit einem Trainerlehrgang in den Neunzigerjahren kennen, gut gelaunt allerlei Albernheiten vortrugen - die Stimmung bei den Männern ist nicht ganz so euphorisch.
Jedenfalls ist es so: Anders als die Männer, deren Kader bis vor ein paar Tagen noch nie miteinander trainert hat, kommen die Frauen ausführlich präpariert in Südamerika an, um zunächst ihre Gruppenspiele gegen Simbabwe (3. August/ São Paulo), Australien (6. August/ São Paulo) und Kanada (9. August/Brasilia) zu bestreiten.
Bereits am 20. Juni begann in Grassau am Chiemsee der erste von vier Vorbereitungslehrgängen, fast sieben Wochen konditionelle, technische und taktische Schulung liegen hinter dem Team, das - anders als vor der WM 2015 in Kanada - auch von größeren Verletzungspech verschont blieb. Und anders als die Männer hatten die Frauen auch schon viele gemeinsame Teamabende - auf so einem ist auch die Idee entstanden, sich nicht nur sportlich, sondern auch musikalisch auf die Brasilien-Mission einzustimmen.
"Das Gefühl ist super, es kann für uns losgehen. Wir wollen die Goldmedaille gewinnen, dafür haben wir uns vorbereitet", berichtete Neid also sichtlich entspannt. Genau wie Hrubesch gibt auch sie mit dem olympischen Fußball-Turnier ihre Abschiedsvorstellung, was sie mittlerweile mit einem pragmatischen Unterton kommentiert: "Ich empfinde gar keine Wehmut. Ich freue mich auf das, was danach kommt. Ich habe lange genug die Nationalmannschaft betreut." Neid wechselt nach Olympia in die Scouting-Abteilung des Verbandes.
Ihre letzte Bühne als Trainerin, sagt sie, sei angemessen, um die Verantwortung an ihre - noch vom alten DFB-Präsident Wolfgang Niersbach auserkorene - Assistentin Steffi Jones zu übergeben. "Als Spielerin habe ich meinen letzten Auftritt bei den Olympischen Spielen 1996 in Sydney gehabt. Für mich schließt sich damit ein Kreis." Entsprechend hoch liegt 20 Jahre später die Messlatte. Am Ende soll - nach dreimaligem Gewinn von Bronze 2000, 2004 und 2008 - erstmals die Goldmedaille an deutsche Fußballerinnen gehen. Neid weiß, dass bei dem eng getakteten Turnier dafür alles stimmen muss.
"Unsere Werte sind gut, wir haben alle Urlaub gehabt, dann die lange Vorbereitung gemacht", sagt Angreiferin Anja Mittag. Die Spielerin von Paris St. Germain weist im Kader nicht nur die meisten Einsätze und Treffer auf (138 Länderspiele/ 46 Tore), sondern gehört genau wie Melanie Behringer, Simone Laudehr, Annike Krahn, Babett Peter und Bartusiak zu jenem Sextett aus dem 18er Aufgebot, das noch aus den Erinnerungen von Peking 2008 schöpfen kann.
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Rio erreichen die Fußballerinnen erst spät - wenn überhaupt
Schluss war damals im Halbfinale gegen Brasilien mit einer überragenden Marta. Der Ärger über die 1:4-Niederlage wich später der Freude über den Gewinn der Bronzemedaille. Schließlich waren die deutschen Frauen durch das Semifinale bereits ins Olympische Dorf eingezogen. 2016 halten die Organisatoren die meisten der zwölf Frauenteams lange fern von der eigentlichen Olympiastadt: Die Spielorte sind übers ganze Land verteilt, von Manaus bis Salvador, Belo Horizonte oder Brasilia. Im Maracan ã in Rio finden nur jeweils ein Halbfinale der Männer und Frauen sowie die Finals (19. August Frauen, 20. August Männer) statt.
Abhilfe würde nur schaffen, es so zu handhaben wie die heutige Teammanagerin Doris Fitschen 1996 bei den Spielen in Atlanta. Nach dem vorzeitigen Aus entschied sich Fitschen gemeinsam mit Renate Lingor dazu, auf eigene Faust und eigene Kosten ins Herz der Olympischen Spiele zu reisen. Heute sagt die 47-Jährige, das sei eine der besten Entscheidungen ihres Lebens gewesen: "Das Flair auf der Abschlussfeier war einmalig."