Olympische Jugendspiele:Im Ringe-Labor

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In Norwegen messen sich Karriere-Anfänger schon lange auf Hindernis-Strecken. In Lillehammer gab es für den Sieger nun eine Jugend-Goldmedaille. (Foto: Laurent Kalfala/AFP)

Das IOC experimentiert bei den Olympischen Jugendspielen: Eishockey wird zur Einzelübung, Langlauf zum Actionsport. Läuft in Lillehammer das Olympia-Programm von morgen?

Von Thomas Hahn, Lillehammer

Tabea Botthof hat Bock auf ein Spiel. Sie formuliert das ein bisschen höflicher. Und mit ihrem Wunsch will sie auf keinen Fall etwas gegen das Turnier im Einzel-Eishockey gesagt haben, an dem sie bei den Olympischen Jugendspielen in Lillehammer für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) teilnimmt. Aber leugnen kann die 15-Jährige vom TSV Erding auch nicht, dass sie die Team-Komponente an ihrem Sport sehr mag.

Und die fällt natürlich weg, wenn man 16 Mädchen aus 16 Nationen in einen Wettbewerb packt, der unter der Disziplin-Beschreibung "Skills Challenge" die technischen Fertigkeiten jeder einzelnen Spielerin abprüft. "Es ist total ungewohnt", sagt Tabea Botthof, und ihre Augen leuchten, wenn zur Sprache kommt, dass man nach den Geschicklichkeitstests doch auch noch eine kleine Partie mit den anderen aufziehen könnte: "Das wäre sehr schön."

Die Jugendspiele wirken wie ein großes, offenes Sportlabor. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) lässt hier mit aktiven Athleten an Formaten experimentieren, die es eigentlich gar nicht gibt. Es laufen die Forschungen für das Programm von morgen, und so lernen Beobachter in Lillehammer alte Sportarten in neuen Darreichungen kennen. Monobobfahren, Langlauf-Cross, Einzel-Eishockey.

Zurück zum Elementaren ist das Prinzip

Das Prinzip ist dabei, Elemente aus dem Jugendtraining auf die Wettkampf-Bühne zu bringen. Der Monobob zum Beispiel ist ein Gerät, in dem jeder angehende Schlittenmeister mal gesessen sein sollte. "Monobobfahren ist eigentlich der Erstkontakt mit dem Bob", erklärt der deutsche Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig; ans Steuer der größeren Schlitten darf man erst mit 18, in den Einsitzer schon mit 16.

Die "Skills Challenge" im Eishockey, schon 2012 in Innsbruck im Jugendspiele-Programm, besteht aus Tests auf jene Fähigkeiten, die jeder auf seinem Weg zum versierten Teamspieler einstudieren muss: schnelles und gewandtes Schlittschuhlaufen, Schlag- und Präzisions-Torschüsse, Passgenauigkeit, Puckkontrolle.

Und das Langlaufen mit Hindernissen, das zum Auftakt der Lillehammer-Spiele am Samstag Premiere hatte, geht zurück auf Skitechnik-Übungen, die in Skandinavien zur Grundausbildung gehören. Sie sollen den spielerischen Aspekt des Ausdauersports betonen. "Schon ich habe das gemacht", sagt Vegard Ulvang, 52, Olympiasieger von 1992 und Vorsitzender der Langlauf-Kommission im Internationalen Skiverband (Fis). In Deutschland gehört Langlauf-Cross seit drei Jahren zum Programm von "Jugend trainiert für Olympia".

Es geht nicht nur um neue Formen der Sport-Unterhaltung bei den Jugendspiele-Experimenten. Es geht auch um jugendgerechte Wettkämpfe. Und um Entwicklungshilfe. Tabea Botthof findet Einzel-Eishockey "ganz gut, weil man so Nationen die Chance gibt, dabei zu sein, die sich mit der Mannschaft nicht qualifizieren würden". Nicht-Eishockey-Länder wie Argentinien, Belgien und Neuseeland haben in Lillehammer Spieler am Start. Und Australien ging sogar mit Medaillenchancen ins Frauen-Finale am Dienstagabend. Madison Poole, 15, Hobby-Geigerin aus Perth, wurde am Ende Fünfte.

Dass es bei den Erwachsenen bald wie im Tennis zugeht und Eishockey-Matches wie Crosby - Owetschkin statt Kanada - Russland den Sportbetrieb in Atem halten, ist nicht zu erwarten. Noch gibt es keinen Trend, Teamsportarten in Einzeldisziplinen zu zerlegen. Aber wer weiß, was den Schöpfern des Fernsehsports noch alles einfällt. Und beim Langlauf-Cross ist der kommerzielle Aspekt unverkennbar.

Die Jugend weiß darüber auch schon gut Bescheid. Die Viertplatzierte Anna-Maria Dietze, 16, vom Sportgymnasium Oberwiesenthal zum Beispiel erklärte interessierten Reportern in gutem Englisch, in welchem Zusammenhang die Debatte um Verfolgungs-Rennen mit Bergauf-Slaloms, Steilkurven, Wellen und Sprüngen zu sehen ist: "Es könnte sehr interessant sein für Leute, die Langlauf anschauen", in Deutschland seien das nicht so viele, das könnte man mit Cross-Rennen vielleicht ändern. Ulvang stellt fest: "Das Feedback war überwiegend positiv." Bekommt also bald auch der olympische Langlauf Actionsport-Qualitäten nach dem Vorbild der K.o.-Fahrten in den jungen Disziplinen Snowboard- und Ski-Cross?

Für den schnellen Erwachsenen-Sport gehen manchen Ideen zu weit

Letztere stehen immer wieder in der Kritik, weil es bei Profi-Rennen oft zu schweren Unfällen kommt. Und Ulvang muss die Langlauf-Cross-Begeisterung etwas bremsen, auch wenn er sich Elemente des Hindernisrennens in Weltcup-Sprintturnieren vorstellen kann. "Man kann nicht einfach auf den Olympia-Sport übertragen, was bei Jugendspielen funktioniert", sagt er.

Die Leistungsdichte bei den Erwachsenen ist größer, das Tempo höher. Es könnte zu Staus kommen, wenn zehn Leute zugleich durch den Bergauf-Slalom wollen, oder zu Stürzen beim Positionskampf in der Steilkurve. In der Jugend ist eben vieles noch Spiel, was später unter dem Druck von Sponsoren und anderen Nutznießern des Erfolgs geldwerter Ernst wird.

Im Ernst liegt eine Gefahr. Tabea Botthof, am Dienstag Achte, möchte deshalb bestimmt nicht wissen, wie frostig die Atmosphäre unter den Einzel-Eishockey-Spielerinnen werden könnte, wenn sie mal um große Titel wetteifern müssten. Bei den Jugendspielen findet sie den Wettbewerb entspannt. Die Qualifikation mit 30 Nationen, die im Sommer in Finnland stattfand, war eine Hilfe: "Man hat sich schon da mit den ganzen anderen angefreundet." Und was das ersehnte Spiel angeht: Es könnte sein, dass es noch dazu kommt mit den Kolleginnen in Lillehammer, nachdem sie alle diese Einzel-Eishockey-Erfahrung glücklich hinter sich gebracht haben.

© SZ vom 17.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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