Olympia-Start von Lindsey Vonn:Sie will, sie muss

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Gesicht der PR-Maschinerie: Lindsey Vonn (rechts), zusammen mit ihrem Freund Tiger Woods. (Foto: dpa)

Lindsey Vonn verfolgt mit aller Macht ihren Start bei den Olympischen Winterspielen - trotz durchgerissenem Kreuzband. Die Frage ist: Warum nur? Vor allem für einen US-Fernsehsender wäre Vonns Fehlen in Sotschi ein Desaster.

Von Michael Neudecker

Vor ein paar Tagen saß Maria Höfl-Riesch in einer Hotellobby, es ging um dies und das, und irgendwann kam das Gespräch auf Lindsey Vonn. Gespräche in der alpinen Skiszene kommen zurzeit oft irgendwann auf Lindsey Vonn, und dann ist da immer auch die Frage, was davon zu halten ist, was Vonn gerade macht, ist es: erstaunlich? Unvernünftig? Oder einfach nur: vollkommen wahnsinnig?

"Keine Ahnung, ob das funktionieren kann", sagte Maria Höfl-Riesch, "aber wenn's funktioniert, ist's der Knaller", kurze Pause, "und wenn nicht, dann hat sie einen wirklich guten Grund dafür." Das war noch vor vergangenem Samstag: Maria Höfl-Riesch wusste da noch gar nicht, wie schlimm es wirklich ist.

Am vergangenen Samstag ist die Amerikanerin Lindsey Vonn bei der Abfahrt in Val d'Isère gestartet, es war ihr viertes Rennen seit ihrer schweren Verletzung bei der Ski-WM in Schladming im Februar. Vonn ist damals beim Super-G gestürzt, sie ist mit dem Helikopter ausgeflogen worden, es war dramatisch, jedenfalls für eine Skirennläuferin: Kreuzband- und Innenbandriss im rechten Knie, dazu ein Bruch des Schienbeinkopfes. Es fielen hässliche Worte damals in der öffentlichen Debatte, Worte wie "Karriereende", Vonn ist im Oktober ja schon 29 geworden.

Lindsey Vonn mit Kreuzbandriss
:"Sie wird den Berg schon herunterkommen"

Skiläuferin Lindsey Vonn hat sich zum zweiten Mal das Kreuzband im rechten Knie gerissen - und will dennoch bei den Olympischen Spielen in Sotschi starten. Sportwelt und Medizin betrachten das riskante Experiment aufmerksam, Knieexperten wie Ulrich Boenisch sind skeptisch.

Von Carsten Eberts

Lindsey Vonn hat das Wort nie benutzt, aufhören ist keine Option für sie, nicht vor der WM 2015 in Vail, ihrer Heimat. Über ihr Knie aber spricht sie schon, es hilft ja nichts, das Knie ist seit Februar das Hauptthema für Lindsey Vonn, auch jetzt, am Samstag, als sie in Val d'Isère vor den Kameras steht. Wie es dem Knie gehe? Das Knie sei kaputt, sagt Vonn, "ich habe leider kein ACL", kein vorderes Kreuzband. Kein ACL? Ja, das Kreuzband sei nicht, wie bislang angenommen, angerissen, sondern durchgerissen, der Abriss sei bei einem Trainingssturz im November in Copper Mountain, USA, passiert. "Das Knie ist nicht stabil", sagt Vonn, das habe zu ihrem Ausscheiden im Rennen soeben geführt: Nach einer Linkskurve hatte sie kurz das Gleichgewicht verloren, für einen Moment fuhr sie nur auf dem rechten Ski, dann brach sie die Fahrt ab. Sie setzte sich in den Schnee, die Miene schmerzverzerrt. Es sah aus, als sei sie den Tränen nahe.

Ob ihr Start bei Olympia in Gefahr sei? Nein, sagt Lindsey Vonn, "ich fahre weiter". Ob sie sich des Risikos bewusst sei? Ja, "es ist ein hohes Risiko, aber Olympia ist mein Traum", das zweite Abfahrts-Gold nach 2010 ist ihr Ziel. Bis zu den Spielen in Sotschi im Februar wolle sie "höchstens ein, zwei Rennen" fahren. Mehr gehe nicht.

Lindsey Vonn weiß sehr wohl, dass sie für diesen Traum mindestens eine lebenslange Knieschädigung riskiert, sie weiß, dass sie die Teilnahme an ihrer Heim-WM aufs Spiel setzt. Für ein einziges Rennen, bei dem ihr niemand mehr den Sieg zutraut, nicht nur deshalb, weil sie wegen ihres kaputten Knies ihren Stil umgestellt hat: Die Lindsey Vonn, die sechs Mal nacheinander den Abfahrts-Weltcup gewann, fuhr breitbeinig, wie ein ICE auf Schienen raste sie durch den Schnee, aber jetzt fährt sie kompakter, sie muss, mit geschlossener Skistellung ist das Verletzungsrisiko geringer. Sie ist jetzt kein ICE mehr.

Gewiss, sie ist nicht die erste Sportlerin, die mit kaputtem Kreuzband antritt, ihr Freund, der Golfer Tiger Woods, hat mit gerissenem Kreuzband mal die US Open gespielt, und es gab auch schon Skirennfahrer, die mit dieser Verletzung starteten. Aber das Risiko, dem sie sich aussetzt, wird dadurch nicht geringer.

Lindsey Vonn weiß das alles, aber sie fährt trotzdem weiter, "ich fahre Vollgas", wie sie im ZDF sagte. Sie weiß ja, dass Sotschi ihre letzte olympische Chance ist. Und sie weiß, dass die Geschichte einfach zu gut ist: ihre Geschichte, für die der US-Sender NBC viel, viel Geld bezahlt hat.

Die National Broadcasting Company ist einer der ältesten und größten TV-Sender der Welt, sie ist seit Jahren Rechtehalter für die Übertragung der Olympischen Spiele, allein für die zwei Wochen Sotschi bezahlte der Sender rund 567 Millionen Euro. Vor ein paar Wochen veröffentlichte der Konzern seinen Plan für Sotschi: 1539 Stunden live auf mehreren Kanälen und Plattformen, das wären mehr Live-Stunden, als die vorangegangen Winterspiele von Vancouver und Turin zusammengerechnet erreichten. Damit die Nordamerikaner zuschauen, braucht der Sender Gesichter, Stars, Sportler wie den Snowboarder Shaun White, wie Lindsey Vonn.

White und Vonn stehen im Zentrum der PR-Maschinerie von NBC, weshalb da nun auch diese Frage ist: Was würde Vonns Olympia-Aus für NBC bedeuten? In den US-Medien beantworten derzeit Werbeexperten und Sportmanagement-Professoren diese Frage, die Antworten klingen immer gleich und immer drastisch: Für NBC wäre Vonns Fehlen ein Desaster.

Lindsey Vonn ist seit ihrem Olympiasieg 2010 in Vancouver in den USA mit aller Macht in die Wohnzimmer gedrückt worden, sie haben sie in Talkshows auftreten lassen, bei Gala-Abenden, in der NBC-Serie "Law & Order" bekam sie eine Gastrolle, sie wurde regelmäßig in Hochglanzmagazinen abgebildet, gerne im Bikini, und spätestens, seit sie mit Tiger Woods zusammen ist, ist sie auf der A-Celebrity-List, wie sie in Amerika sagen. Natürlich ist Vonn die bestverdienende Skirennfahrerin der Welt, sie hat Sponsorenverträge mit Unternehmen wie Procter&Gamble, Red Bull und Rolex, die ihr zusammen rund 2,5 Millionen Dollar pro Jahr einbringen. In der Szene gibt es nun das Gerücht, NBC bezahle ihr noch mal die gleiche Summe, sollte sie bei Olympia an den Start gehen, es ist wahrscheinlich nicht mehr als ein Gerücht. Aber eines, das von der Wahrheit womöglich gar nicht so weit entfernt ist.

NBC braucht Vonn - und Vonn braucht NBC, so ist die Lage.

Am Montag berichteten Medien aus aller Welt über Vonns Auftritt in Val d'Isère, "Vonn bei Blick auf Sotschi von verletztem Knie gebremst", schrieb die US-Nachrichten Agentur AP, "Vonn schwerer verletzt als gedacht", schrieb die Deutsche Presseagentur, "Vonn kämpft mit Knie", schrieb die Zeitung USA Today.

"Vonn optimistisch für Sotschi, nachdem Knie bei Abfahrtsrennen versagt", schrieb die National Broadcasting Company auf ihrer Homepage.

© SZ vom 24.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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