Olympia: Österreichs Alpin-Männer:Rot-weiß-rotes Debakel

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"Als wenn die Deitschn die Quali für die Fußball-WM verpassen": Austrias Alpine sind so schlecht wie noch nie und bleiben medaillenlos. Zum Abschluss gibt es einen kleinen Trost.

Michael Neudecker, Whistler

Benjamin Raich stand unten, im Zielraum, er blickte ein wenig skeptisch, es war jetzt nur noch ein Läufer oben, der Italiener Giuliano Razzoli. Der Österreicher Raich hatte eine insgesamt ordentliche Leistung geboten, aber insgesamt ordentlich reicht eben nicht für den Olympiasieg, Raich war Dritter im Slalom der Männer. Dritter ist gefährlich, wenn noch der oben steht, der im ersten Durchgang die Bestzeit erreicht hat.

Giuliano Razzoli fuhr dann los, und wenn man weder Österreicher noch Italiener war, dann konnte man beide wunderbar beobachten: die Italiener auf der einen Seite, wie sie hofften, dass Razzoli die Goldmedaille ins Ziel bringen würde, und auf der anderen Seite die bangenden Österreicher. Giuliano Razzoli, 25, hatte schon mal gezeigt, dass er das kann, eine Führung nach dem ersten Lauf ins Ziel bringen, beim Nachtslalom von Zagreb im Januar. Und jetzt setzte er Schwung um Schwung, schlug Stange um Stange, und dann war er unten, 0,16 Sekunden vor dem bis dahin Führenden Ivica Kostelic. Razzoli ist nun Olympiasieger, und Österreich hat die Spiele von Vancouver mit dem größtmöglichen Debakel beendet. Keine einzige Medaille für die Männer im alpinen Skirennsport, das gab es noch nie.

2006, in Turin, holten die österreichischen Alpinen noch stolze 14 Medaillen, und sie hatten ja auch diesmal einige gute, teils herausragende Fahrer am Start, wie das eigentlich immer ist bei Österreich. Sechs bis acht Medaillen, davon vier bis fünf bei den Männern, so lautete die Prognose der Zeitungen vor Olympia. Die Frauen haben ihr Soll erfüllt mit vier Medaillen, darunter einer goldenen, aber die Männer? Ach, die Männer.

Sie waren schon mit einem gewissen Druck in den Slalom gegangen, denn Österreich ohne Männermedaille im Ski, "des is ungefähr so, als wenn die Deitschn die Quali für die Fußball-WM verpassen würden", so hat es ein österreichischer Journalist dieser Tage beschrieben. Sie haben die mit Abstand stärkste Slalom-Mannschaft im ganzen Feld, mussten sogar Weltmeister Mario Matt zu Hause lassen weil ja nur vier Fahrer aus jeder Nation starten dürfen. Im ersten Durchgang aber ging dann fast alles schief, schon wieder.

Manfred Pranger, Weltmeister 2009, startete als erster: ausgeschieden, ein Fahrfehler. Gleich danach kam Marcel Hirscher, 20 Jahre jung und diese Saison bereits zweimal Zweiter: 1,13 Sekunden Rückstand, Rang neun. Dann Reinfried Herbst, Führender der Slalom-Gesamtwertung im Weltcup und Olympiafavorit: 1,44 Sekunden Rückstand, Rang zwölf. Nur Benjamin Raich, der Weltcup-Gesamtführende, ließ den Österreichern Hoffnung, als Dritter. Was daraus wurde, ist bekannt. Auf die Bronzemedaille fehlten Raich am Ende fünf Hundertstelsekunden, "sehr bitter" sei das, sagt Raich, "ich habe alles gegeben, aber es ist sich leider nicht ausgegangen". Marcel Hirscher wurde noch Fünfter, Reinfried Herbst Zehnter.

Wenn es überhaupt einen Trost gibt in so einer Situation, dann mag vielleicht das den Österreichern ein klein wenig helfen: Es gewann wenigstens ein Italiener, und kein Deutscher oder Schweizer. Letztere stellten ihren Bestplatzierten auf Rang zwölf, Silvan Zurbriggen, und die Deutschen hatten sogar überhaupt keinen Läufer auf der Resultatliste.

Felix Neureuther, Sieger von Kitzbühel und insgeheime Medaillenhoffnung des Deutschen Ski-Verbandes, schied im ersten Durchgang aus, es sah ein bisschen so aus wie bei Manfred Pranger. In einer Haarnadel geriet er auf dem von seinen Vorfahrern zerfurchten weichen Schnee in eine Spurrinne, dann griff der Ski, die Taillierung beschleunigte ruckartig, Neureuther hatte keine Chance. Es hob ihn aus, und innerhalb eines Augenblicks war Olympia für ihn vorbei.

Überraschend nüchtern

Felix Neureuther ist ja schon öfter mal ausgeschieden in seiner Karriere, was nichts ungewöhnliches ist, einerseits, Slalom ist nun mal eine Disziplin, die Ausscheider provoziert. Andererseits hat Felix Neurether stets hohe Ziele, die Erwartungen an ihn sind groß, seines Namens wegen und seines Talents. Bislang war Felix Neureuther nach schlechten Rennen meist extrem frustriert, stellte vieles in Frage. Diesmal war es anders, und das kam überraschend.

Felix Neureuther stand da im Zielraum, er war enttäuscht, gewiss, aber er versuchte, die Situation möglichst nüchtern zu sehen. "Slalom ist nun mal extrem schwierig", sagte Neureuther, "es hilft nichts, weiter geht's." Schließlich sei er erst 25 Jahre alt, "in vier Jahren probier ich's eben noch mal", sagte Neureuther. Es war bemerkenswert, wie er mit der momentanen Niederlage umging, und genau das ist es ja, was wirklich gute Fahrer auszeichnet: Sie scheren sich nicht groß um das, was passiert ist, sie blicken nach vorne, unbeirrbar nach vorne. Es hat sich etwas verändert in Felix Neureuther in Kitzbühel, so scheint es. Er ist gelassener geworden, souveräner.

Er wird nun noch zur Schlussfeier am Sonntagabend gehen, am Montag fliegt er zurück nach Deutschland. Ab 10. März schon steigt das Weltcup-Finale in Garmisch-Partenkirchen, Neureuthers Heimatort, weshalb er sich darauf schon freue, wie er sagt. Die Schnelllebigkeit des Geschäfts kann manchmal auch gut sein: Garmisch ist schon die nächste Chance für Felix Neureuther, und für die Österreicher.

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