Hockey:Ein Rasen voller Tränen

Lesezeit: 3 min

Freude und Schmerz, so nah beieinander: Argentinien feiert, Deutschlands Hockey-Frauen trauern. (Foto: Charly Triballeau/AFP)

Die deutschen Hockeyfrauen wollten als gestärktes Team mit einem Sieg gegen Argentinien ins olympische Halbfinale einziehen. Stattdessen erleben sie beim 0:3 ihre bislang wohl schlimmste Niederlage.

Von Volker Kreisl, Tokio

Tränen gab es reichlich an diesem Morgen. Das Spiel hatte noch gar nicht begonnen, da flossen sie. Die Argentinierin Maria Belen Succi konnte sie nicht zurückhalten, und auch manchen Spielerinnen neben ihr stand das Wasser in den Augen. Und dann, knapp zwei Stunden später, wurde der nördliche Platz im Tokioter Oi-Hockey-Gelände endgültig zum Meer der Tränen, so dass man glaubte, vorerst müsse er nicht mehr gewässert werden.

Während Torhüterin Succi abermals von ihren Gefühlen überwältigt wurde und in den Armen ihrer - allesamt stark gerührten - Mitspielerinnen lag, vergruben die Deutschen ihr Gesicht im Kunstrasen, lehnten sich aneinander an oder verschränkten, wie Charlotte Stapenhorst, die Arme auf der Bande, stützten die Stirn darauf und schluchzten still für sich.

Der Unterschied war, Succi, die argentinische Torhüterin, weinte vor Glück und Rührung, die Deutschen aber vor Enttäuschung und vermutlich auch Entsetzen. Sie hatten soeben das Halbfinale verpasst, nach einem 0:3, das ihnen auf schmerzhafte Weise die eigenen Grenzen verdeutlichte. Eine starke Vorrunde hatten sie gespielt, in vier Partien vier Siege erzielt, ehe sie im fünften Spiel gegen die Niederlande verloren, was sie aber gewohnt waren und außerdem auch als willkommenes Kurzseminar nahmen. Argentinien, so war der Eindruck, war zwar ein respektabler Gegner, aber man selber eben auch.

Die Argentinierinnen brüllten ihre Hymne - und spielten dann auch so

Ein wenig unheimlich war es indes schon, wenn man vorab in die Gesichter der zur Nationalhymne aufgereihten Spielerinnen von Trainer Carlos Retegui blickte, von denen einige auch schon große Siege erzielt hatten. Im Nachhinein wusste man's: In ihren Blicken lag Hoffnung, Entschlossenheit und Angriffslust. Und dass dieses Team ein furchterregendes Temperament hat, das konnte jeder sehen und hören, als es vor Rührung heulte und die letzten Verse und Takte der Hymne nicht mehr sang, sondern brüllte.

Darin ist mitunter die Rede von Freiheit, von gesprengten Ketten und vom ruhmreichen Sterben, aber die Spielerinnen in Blauweiß beschlossen von Beginn an, erst gar nicht in so eine dramatische Situation zu geraten. Das Spiel begann, Stapenhorst kreierte für die Deutschen eine erste Chance von links, als sie sich bis in den Kreis dribbelte, aber scheiterte. Danach, so schien es, bekamen die Spielerinnen des Bundestrainers Xavier Reckinger Ketten angelegt. Was sie sich so fest vorgenommen hatten, das nahmen ihnen die Argentinierinnen einfach weg: Sie griffen aufs Spiel zu und gaben es nicht mehr her.

Kapitänin Nike Lorenz und die anderen hatten nach der Niederlage zuvor fest geplant, es mutiger und aggressiver anzugehen, die Argentinierinnen zu stoppen - doch die waren einfach schneller. Sie störten umgekehrt den Aufbau, standen besser, weshalb es abermals so aussah, als spiele der Gegner in Überzahl. Dennoch zeigten Reckingers Spielerinnen mehr Selbstbewusstsein, sie hielten dagegen, wurden aber, je länger die Partie dauerte, immer ratloser: in den entscheidenden Situationen hatten sie auch Pech.

"Wir haben nicht unser Spiel aufziehen können, sondern Argentinien hat das Match bestimmt", sagte später Sportdirektor Christoph Menke-Salz. Reckinger erklärte, alle hätten zuletzt viel investiert, "ich hätte ihnen einfach mehr gewünscht". Und Spielerin Cecilie Pieper sprach aus, was nach einem Spiel, in dem man nicht wirklich mitspielen konnte, in Akteuren los ist: "Irgendwie war der Wurm drin", sagte sie, und: "Wir sind so traurig." Man habe endlich cleverer spielen wollen, mit kühlerem Kopf, doch nun, schloss Pieper, "ist das ein krasser Alptraum für uns".

Nach dem ersten Viertel war die Hoffnung noch intakt, es stand 0:0, doch das änderte sich nach wenigen Minuten im zweiten Abschnitt. Argentinien erkannte, dass die Deutschen heute nicht mitkommen, und erhöhte das Tempo. Diesem konnten sie nicht folgen, auch nicht dem Strafraumpass nach innen, der bis an den hinteren Pfosten durchkam, wo Agustina Albertarrio stand und verwandelte. Das zweite Tor, nach einer kurzen Ecke, war ebenso kühl vorbereitet und schnurstracks vollendet worden: Abgelegt, Richtung Eck geknallt und per reingehaltenem Schläger unhaltbar nach oben abgefälscht.

Gerade als Deutschland zurückkommt, macht Argentinien das 3:0

Nullzwei - interessanterweise brach die Auswahl des Deutschen Hockey-Bundes nun nicht ein. Alpträume enthalten auch manchmal Hoffnungsschimmer, und ein Verlierer-Drama braucht ein trügerisches, verzögerndes Element vor dem Finale. Bei den Deutschen sah dies so aus, dass sie sich durchaus wehren konnten, nämlich mit einer Strafecke, fast im Gegenzug, wobei der Ball irgendwann im Tor landete, was aber nicht zählte. Macht nichts, Pieper, Lorenz, Stapenhorst und die anderen stürzten sich nach der großen Pause mit neuem Mut auf den Gegner, kamen endlich öfter in den Kreis, doch Sonja Zimmermanns Strafeckenschlenzer landete am Handschuh von Succi. Darauf: das 3:0, durch Strafecke Argentinien.

Das Spiel raste dem Ende entgegen, man ergriff die letzte, verzweifelte Maßnahme, warf alles nach vorne. Noch einmal drehten die Deutschen auf und zeigten, was sie ansatzweise können, aber an diesem schwarzen Montagmorgen in Tokio nicht schafften. Sie rannten immer schneller, stürzten sich immer intensiver in Zweikämpfe und gaben auch nicht auf, als die letzte Minute herunterlief, und es immer noch 0:3 stand, als gehe es immer weiter.

Es war, als wollten sie ihren Stolz in diesem Alptraum nicht abgeben, und in gewisser Weise haben die schluchzenden deutschen Hockeyspielerinnen wenigstens dies auch geschafft.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: