Olympia:Der Kubaner, der sich ins Taxi setzte und verschwand

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Orlando Ortega kommt aus Kuba und feiert mit der spanischen Fahne. (Foto: Johannes Eisele/AFP)

Orlando Ortega startete für Kuba. Dann setzte er sich ab und sprintet nun für Spanien über 110 Meter Hürden zu olympischem Silber.

Von Johannes Knuth, Rio de Janeiro

Als das Rennen vorbei war, war der Hürdenläufer Orlando Ortega nicht zu schlagen. Er war der Erste, der sich eine Nationalflagge organisierte; Ortega sprang auf das rutschige Podest neben der Tribüne, wo ein Betreuer wartete. Beinahe wäre er in seinem Überschwang gegen die Betontribüne gerauscht. Er begab sich als Erster auf die Ehrenrunde, schnell hatte er sich 50, 60 Meter an Vorsprung auf den Jamaikaner Omar McLeod (13,05 Sekunden) verschafft, den neuen Olympiasieger. Ortega verteidigte seinen Vorsprung locker bis ins Ziel. Er war somit auch der erste, der die Fragen der TV-Reporter entgegennahm. Orlando Ortega war übrigens Zweiter geworden in diesem olympischen Finale über 110 Meter Hürden, in 13,17 Sekunden, aber er sonnte sich in seiner Freude, als habe er den Hauptpreis gewonnen. Und irgendwie hatte er das ja auch.

Ortega hätte dieser Erfolg durchaus früher zufallen können, dieser zweite Platz am Dienstagabend im Estádio Nilton Santos, sein erster großer Erfolg bei einer internationalen Leistungsschau. Aber Ortega, 25, geboren in Havanna/Kuba, ist dann irgendwann auf den unbequemen Pfad abgebogen. Er war 2012 in die internationalen Spitze geklettert, schloss sich der Trainingsgruppe von Dayron Robles an, seinem Landsmann und Olympiasieger über die Hürden von 2008. Ortega drückte seine Bestzeit auf 13,09 Sekunden, bei Olympia in London wurde er Sechster. Vor einem Jahr führte er die Weltbestenliste an, mit 12,94 Sekunden. Allerdings nicht mehr in Diensten Kubas, sondern für Spanien. Ortega hatte sich nach der WM 2013 in Moskau abgesetzt. Der kubanische Verband sperrte ihn prompt, für den neuen durfte er bis zuletzt nicht starten, zumindest bei internationalen Meisterschaften. Bei der WM 2015 gewannen andere.

Es gibt als kubanischer Athlet durchaus einige Gründe, dem System in der Heimat zu entkommen. Weil die Athleten bevormundet werden, weil der Verband sie von Wettkampf zu Wettkampf beordert. Was die Athleten dort an Preisgeld erstehen, fließt natürlich erst einmal an den Verband, der seinen Sportlern bis zuletzt nur wenig zuschob, 15 Prozent waren es. Mittlerweile sind es rund 80. Robles, Ortegas Trainingspartner, zog sich 2013 aus dem Nationalteam zurück, er war gar nicht unglücklich im ärmeren Kuba, aber er hatte die Kämpfe mit dem Verband satt. Wer für ein neues Land, und damit für einen neuen Verband starten will, muss sich allerdings drei Jahre gedulden, ehe er wieder an Meisterschaften mitwirken darf. Robles kostete das die WM 2013. Ortega durfte dort laufen, aber auch er war sauer. Der Verband hatte ihn kurz zuvor gesperrt, Ortega wollte damals nicht zu einem Rennen nach Russland reisen.

Er blieb bei der WM in Moskau dann im Vorlauf stecken, und als sie auf der Rückreise in Madrid zwischenlandeten, verließ er das Hotel, setzte sich in ein Taxi und war plötzlich weg.

Irgendwann tauchte Ortega in Valencia wieder auf. Dort wurde er freudig begrüßt. Spaniens Leichtathletik hat sich eine gewisse Reputation im Mittel- und Langstreckengewerbe erarbeitet. Spaniens Sportmedizin verfügt allerdings auch über eine Reputation, diverse Dopingnetzwerke zu lenken, unter anderem durch den Sportmediziner Alberto Beltran, der mit Dopingtätern aus der Leichtathletik vernetzt war. Darunter Cesar Perez, dem Trainer der überführten Hindernisläuferin Marta Domínguez. Die spanische Verband hat in den vergangenen Jahren jedenfalls großzügig Leichtathleten eingebürgert, man sehnt sich ein wenig nach altem Glanz. "Ich bin sehr dankbar, dass Spanien mir diese neue Gelegenheit in meinem Leben gegeben hat", sagte Ortega in Rio.

Sein Olympiaprojekt hatte lange gewackelt. Er hatte sich bei Meetings und in der Diamond League fit gehalten, "ich habe mich seit einem Jahr sehr gezielt auf Rio vorbereitet", sagte er. Ob er dort würde starten dürfte, wusste er lange nicht. Ortega war am 11. August 2013 in Moskau zum letzten Mal aufgetreten, bei der WM. Die Vorläufe in Rio begannen am Montag, am 15. August 2016, gerade so nach Ablauf von Ortegas Drei-Jahres-Sperre. Der Weltverband IAAF ließ Ortega erst vor zwei Wochen zu, er ließ sich in Rio dann auch nicht von Sturm und Regen beeindrucken, die während der Vorläufe übers Stadion rauschten, im Finale erwischte er einen schwachen Start, schob sich zwischen den Hürden aber kontinuierlich nach vorne. "Ich wollte einfach zur Ziellinie kommen, auf den Schirm schauen und meinen Namen auf Rang zwei sehen", sagte er. "Ich kann diesen Moment noch gar nicht begreifen."

Und jetzt? "Weiter hart arbeiten", sagte Ortega. Er plant natürlich für London, die WM 2017. Dort könnte er wieder auf Robles prallen, der alte Meister ist wieder in die Obhut des kubanischen Verbands zurückgekehrt. Olympia in Rio hatte er wegen einer Wadenverletzung verpasst. Auch er plant für die WM im kommenden Jahr, es könnte ein nettes Wiedersehen zwischen alten Trainingspartnern werden. Diesmal als Olympiasieger und gefühlter Olympiasieger.

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