Österreich:Ösi-Zlatan

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"Der Jubel galt den Leuten, die viel reden", erklärt Marko Arnautovic seine Geste beim Torjubel. (Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Nach dem 6:0 gegen Lettland sieht Marko Arnautovic die Zeit gekommen, sich ausführlich mit seinen Kritikern auseinanderzusetzen. Namen nennt der nach China abgewanderte Exzentriker nicht, aber jeder weiß, wen er meint.

Von Felix Haselsteiner, Salzburg

Gegen 23.15 Uhr betritt Marko Arnautovic die Bühne, die eigentlich erst durch seine Anwesenheit zu einer solchen wird. Drei Mikrofone stehen da vor ihm auf einem kleinen Stehtisch im alles andere als herrschaftlich anmutenden Pressebereich des Salzburger Stadions, Arnautovic lehnt sich sichtlich entspannt mit den Ellbogen auf jenen Tisch und wirft einen Blick in die Runde der Medienvertreter. Die brauchen nicht allzu viele Fragen zu stellen, Arnautovic hat ganz offensichtlich von sich aus noch etwas zu erklären nach dem 6:0-Erfolg der österreichischen Nationalmannschaft über Lettland.

"Der Jubel galt den Leuten, die viel reden", kommt Arnautovic, 30, dann auch recht schnell zum Punkt. Der Jubel war zweimal zum Einsatz gekommen: Nach seinen beiden Treffern gegen überforderte Letten hatte der Stürmer sich die Finger an die Ohren gehalten, was im universalen Lexikon Fußballerjubel-Deutsch/Deutsch-Fußballerjubel in etwa für "Seid still, lasst mich arbeiten" steht. Ziemlich genau so waren auch Arnautovic' Gesten zu deuten, bestätigte der Jubelnde: "Es war ja anscheinend für den ganzen österreichischen Fußball ein Schock, als ich nach China gegangen bin. Viele Leute sind wach geworden, von denen man sonst nichts hört und haben dann viel gesprochen."

Toni Polster warf ihm vor, West Ham erpresst zu haben

Wen genau Arnautovic mit seinen Worten am Rednerpult ansprechen wollte, wollte er nicht sagen, Namen nennen sei nicht sein Stil: "Ihr könnt es euch ja denken", meinte er zu den Medienvertretern, und in der Tat war eine Namensnennung nicht notwendig. Es waren die altbekannten Granden der österreichischen Fußballwelt, die sich im Juli zu Wort gemeldet hatten, kurz nachdem Arnautovic seinen Wechsel von West Ham United nach Shanghai bekannt gegeben hatte. Nationalmannschafts-Rekordtorschütze Toni Polster warf dem Stürmer vor, seinen Verein erpresst zu haben ("Einen Vertrag muss man respektieren"). Hans Krankl, seit seiner Zeit beim FC Barcelona in den 1980er-Jahren mit einem zumindest dezent überhöhten Geltungswert in der österreichischen Fußballwelt ausgestattet, kommentierte in einer Kolumne der Gratiszeitung Österreich, der Wechsel sei sportlich ja eh wertlos. Sowohl Polster als auch Krankl machten sich zudem große Sorgen um die Leistungen des Stürmers im Nationalteam - die Reisestrapazen wären viel zu groß, er werde alsbald für Probleme sorgen.

Das 6:0 gegen Lettland, mit dem die Österreicher in der Qualifikationsgruppe auf den zweiten Rang hinter Polen vorrückten, mag ob der drastischen Unterlegenheit der Gäste aus dem Baltikum nicht allzu viele Erkenntnisse für den ÖFB zugelassen haben, doch Teamchef Franco Foda wird sich bestätigt fühlen: In der Pressekonferenz vor dem Spiel hatte Foda auf die Frage, ob er im Training einen Unterschied zwischen dem England-Marko und dem China-Marko ausmachen hatte können, mit einem klaren "Nein" geantwortet: "Marko hat eine unglaubliche Qualität, er hat sich nicht verändert und müde wirkt er auch nicht."

Nach bescheidenem Start hat Österreich jetzt gute Chancen, zur EM zu fahren

Auch während der 90 Minuten deutete nichts auf einen plötzlichen Leistungsabfall durch den Wechsel nach Shanghai hin. Arnautovic funktionierte als Sturmspitze im Zusammenspiel mit David Alaba auf der linken, Valentino Lazaro auf der rechten Seite und Marcel Sabitzer in der Zentrale hervorragend. Überhaupt ist es vor allem an diesem Quartett festzumachen, dass die Österreicher nach einem schwachen Start mittlerweile wieder realistische Chancen auf eine Qualifikation für die Europameisterschaft haben. Vor allem aber liegt es an Arnautovic, der mit seinen sechs Toren aus fünf Spielen eine Art rot-weiß-rote Lebensversicherung darstellt, das sieht auch Alaba so: "Marko ist ein Fixpunkt für uns, er kann Bälle festmachen, wir kombinieren gut und er schießt viele Tore."

26 Mal hat Arnautovic in 82 Spielen für das Nationalteam getroffen, hat bei Werder Bremen, Stoke City und West Ham darüber hinaus eine durchaus markante Vereinskarriere vorzuweisen - und doch begleitet ihn in der Heimat seit jeher eine Schar von Kritikern, die in ihm bis heute den talentierten, aber schludrigen Hallodri sehen, der einmal einen Polizisten bei einer Verkehrskontrolle mit den Worten abwies: "Ich verdiene so viel, ich kann dein Leben kaufen".

Im Vergleich zu jener Zeit in seiner damals noch jungen Karriere wirkt Arnautovic heute reflektierter. Wenn er sagt, der Wechsel nach China sei ein durchdachtes Abenteuer für ihn und seine Familie, kauft man es ihm ab, auch weil er im selben Satz offen zugibt, dass die übertrieben gute Bezahlung in der Ferne keine kleine Rolle gespielt hat.

Dementsprechend ruhig und um seine eigene Stärke wissend, fast schon in einer Tonlage, die an Zlatan Ibrahimovic erinnert, spricht Arnautovic auch am späten Abend in Salzburg weiter in Richtung seiner Kritiker, seine lässige Pose ist vorerst unverändert: "Ich will einfach nur sagen: Ich beweise es doch immer wieder", sagt Arnautovic: "Wenn sie über mich reden, muss ich sie wieder ruhigstellen. Ich hoffe, sie bleiben jetzt ruhig, weil ich bin keine 19 mehr. Ich habe viel gemacht für das österreichische Team, ich werde es auch weiter tun." Und was sagt er nun zu den konkreten Vorwürfen seiner Kritiker? Arnautovic richtet sich nun doch ein Stückchen auf, er spricht in kurzen, klaren Sätzen: "Ich bin nicht müde. Ich habe keinen Jetlag. Ich bin voll da. Die Flugmeilen können meine Kritiker zählen - mir sind die wurscht."

© SZ vom 08.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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