Nordische Ski-WM:Auf und davon

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Unangefochten: Die inzwischen zwölfmalige Weltmeisterin Therese Johaug ist der Konkurrenz bei jedem Wetter überlegen. (Foto: Sergei Bobylev/Itar-Tass/Imago)

Therese Johaug ist die überragende Langläuferin ihrer Zeit. Mit dem Sieg im Freistilrennen am Dienstag hat die Norwegerin ihren zwölften WM-Titel geholt. Abermals lief sie allen weg, wohl auch ihrer Vergangenheit.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Wieder brannte die Sonne auf die Oberstdorfer WM-Langlaufstrecke zwischen den Flüsschen Stillach und Trettach, eingerahmt von den Gipfeln des Nebelhorns und des Fellhorns. Das Panorama ist grandios, aber die Langläufer, die dort um Bestzeiten und Medaillen rennen, sehen davon nichts, ihre Augen sind fokussiert auf die Loipe, damit kein Sturz die ganze Anstrengung zunichtemacht.

Jedoch, Karambolagen wie am Samstag, als sich die Führenden, Therese Johaug (Norwegen) und Frida Karlsson (Schweden), nach einer Runde verhakten, stürzten und dann später noch mit Worten kabbelten, waren diesmal ausgeschlossen. Diesmal war es ein Intervallstart, mit dem die Langläuferinnen nach dem Ruhetag die zweite WM-Woche eröffneten. Es ging über zehn Kilometer, Johaug skatete drei Minuten vor Karlsson in die Loipe, jede lief diesmal für sich, nur die Zeit war die Gegnerin, und mit der kann man sich ja nicht verhaken.

Überhaupt blieb das Rennen diesmal so friedlich, wie dieser Frühlingstag im Oberstdorfer Tal. Johaug befolgte das, was alle prophezeit hatten, sie gewann ihren zwölften WM-Titel, und zwar mit einem krachenden Vorsprung: 54,2 Sekunden. "Meine Form ist bestens, ich fühle mich wirklich stark", sagte sie später. Die Schwedin Karlsson wurde abermals Zweite, ihre Teamkollegin Ebba Andersson wie schon am Samstag Dritte. Die deutschen Läuferinnen schlugen sich achtbar, Victoria Carl wurde Vierzehnte, Pia Fink kam auf Platz 20 - Beschwerden über schlecht gewachste Ski, wie am Samstag, erhob diesmal niemand.

Der zunehmend populäre Sprint ist nicht Johaugs Sache

Es war ein Rennen wie gemacht für Johaug, die 32 Jahre alte, überlegene, aber doch nicht unumstrittene Langläuferin aus Röros in Mittelnorwegen. Die zunehmend populären Sprint-Spektakel, bei denen die Gegner dem Stadion-Publikum stets im Blick bleiben und sich auf der Zielgeraden im Schlittschuhschritt oder Stockschub messen, bis die Beine brennen, sind nicht Johaugs Sache. Ihre Taktik ist recht simpel, aber durchaus effektiv: Sie startet in die Loipe und läuft den anderen einfach davon.

Diese lange Flucht in die Einsamkeit der Besten hat ihr neben nun 17 WM-Medaillen noch drei Olympiaplaketten eingebracht, davon eine goldene. Allgemein wird sie wohl noch ein paar Jahre als die schnellste und ausdauerndste Langläuferin Norwegens gelten. In ihrem Heimatverband ist sie derzeit unersetzlich, denn die aktuelle Generation, ist, verglichen mit den Ansprüchen des Landes, eher schwach. Norwegisches Gold am Donnerstag in der Staffel, bislang eine Selbstverständlichkeit, ist diesmal eher unwahrscheinlich.

Mit ihrer Art, den anderen davonzulaufen, entging Johaug womöglich auch einer Verwicklung in jenen Zusammenstoß, der sich zu Beginn der Saison in Ruka/Finnland ereignete. Die Strecke dort ist steil, in der Abfahrt erreicht man 80 Kilometer pro Stunde. Und bei einer davon kamen abermals die jüngeren Schwedinnen ins Straucheln, unter anderem Ebba Andersson und Linn Svahn. Johaug aber war da schon über alle Berge, und kam nach diesem Weltcup so schnell nicht mehr zurück.

Norwegens strikte Corona-Maßnahmen ließen für die Sportart Ski-Langlauf keine internationalen Rennen mehr zu. Sämtliche Termine im Lande wurden in dieser Saison gestrichen, auch Reisen zu Weltcups im Ausland waren für das Nationalteam nicht mehr möglich. Womöglich hätte man per Gerichtsentscheid eine Teilnahme erwirken können, was aber niemand wirklich versucht hatte, denn mit einer Extrawurst in so einer Situation, sagen norwegische Reporter, macht man sich in Norwegen nicht beliebt.

Kläbo ist kein Fan der langen Flucht, er liebt den direkten Vergleich

Das gesamte Team war also einen Winter lang von der internationalen Bildfläche verschwunden, dank des überragenden Niveaus konnte es sich dies aber auch leisten. Dass die Trainingsgruppen immer noch funktionierten, zeigte auch das Männerteam, das im Skiathlon zwar im Fünferblock auf den Plätzen zwei bis sechs landete, geschlagen vom Russen Alexander Bolschunow. Aber im Sprint drehte es dann auf. Zwei Goldmedaillen holten sie, im Team wie im Einzel, jeweils dabei: Topläufer Johannes Hösflot Kläbo.

Der hat wegen seines enormen Antritts bei Anstiegen und Zielsprints theoretisch die Grundlage für Siege in sämtlichen Langlauf-Wettbewerben, ist jedoch am Mittwoch im 15-Kilometer-Freistilrennen nicht dabei. Der Grund: Kläbo ist kein Fan der langen Flucht, sondern liebt den direkten Vergleich, den er, wenn es dazu kommt, fast immer gewinnt. Er ist da ganz anders als Therese Johaug.

Die befindet sich im reifen Langlauf-Alter, und sie hat noch einiges vor. Sie will ihre Karriere mit weiteren Siegen vervollständigen, womöglich auch deshalb, weil immer noch der Schatten eines Dopingvergehens auf ihren Leistungen liegt: Vor vier Jahren wurde sie für 18 Monate gesperrt, nachdem im Trainingslager in Südtirol bei ihr das Steroid Clostebol nachgewiesen wurde. Ein Versehen, hieß es, das falsche Medikament gegen einen Sonnenbrand auf der Lippe, der Teamarzt habe nicht aufgepasst. Dabei stand eine Doping-Warnung auf der Packung, und generell ist das Trainingslager im Sommer auch ein Ort, an dem man viel Kraft braucht, weil dort die Winter-Form aufgebaut wird.

Johaug stritt die Vorwürfe ab, kam 2018 zurück, siegt seitdem wieder und versucht wohl auch, in der Loipe ihren Ruf wiederherzustellen. Nun jagt sie die Bestmarken ihrer ehemaligen Teamkollegin, der Rekord-Weltmeisterin Marit Björgen. 18 WM-Titel hat diese, Johaug nun zwölf, Nummer 13 und 14 könnten in Oberstdorf hinzukommen. Für Nummer 15, das Staffel-Gold, ist das restliche Team wohl zu schwach.

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