Para-Leichtathletik-WM in Dubai:"Unverständlich, dass man so einen Ort wählt"

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"Hoffentlich kann ich bei der WM noch einen draufsetzen": Kappel bei der EM in Berlin im vergangenen Jahr, als er Silber gewann. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Kugelstoßer Niko Kappel spricht zu Beginn der Para-WM über die Vereinigten Arabischen Emirate als Ausrichter, seine Chancen auf Gold - und ungenutztes Potenzial im Behindertensport.

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Wenn an diesem Donnerstag in Dubai die Weltmeisterschaften der paralympischen Leichtathletik (bis 15. November) beginnen, zählt Niko Kappel zu den Medaillenfavoriten. Der kleinwüchsige Kugelstoßer, 24, gewann Gold bei den Paralympics in Rio de Janeiro 2016 und bei der WM in London 2017. Er hat die Verletzungen in der Hüfte und im Knie, die ihn in der vergangenen Saison plagten, überwunden und im Juni Bestleistung gestoßen: 14,11 Meter, damals Weltrekord. Den hält inzwischen der Brite Kyron Duke mit 14,19 Metern, im Finale am Sonntag wohl Kappels ärgster Konkurrent um Gold.

Als einer der bekanntesten paralympischen Athleten Deutschlands ist Kappel auch Botschafter, er spricht in Betrieben oder an Universitäten zum Thema Inklusion und füllt die Rolle gerne aus, die ihm medial oft zugeschrieben wird: "Außenminister des Behindertensports".

SZ: Herr Kappel, wie geht es dem Knie?

Niko Kappel: Es ist nicht so, dass es vollkommen gut ist, das wird es auch wahrscheinlich nie wieder, aber zumindest hält's - und ich kann es voll belasten. Ich musste ein paar Sachen weglassen, Joggen ist aus dem Trainingsplan rausgeflogen. Das ist aber als Werfer nicht ganz so wild, man kann sich auch anders warm machen. Ich konnte gut durchtrainieren, habe Bestleistung gestoßen und das Niveau konstant nach oben geschraubt. Hoffentlich kann ich bei der WM noch einen draufsetzen.

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Die WM findet in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) statt. Die Leichtathletik-WM im Nachbarland Katar im Oktober stand wegen de r hohen Temperaturen und des geringe n Zuschauerinteresses in der Kritik. Mit welchem Gefühl saßen Sie als Sportler vor dem Fernseher?

Das tut einem schon weh. Auch wenn man die Berichte liest, dass Schmiergelder geflossen sein sollen, damit die WM in Doha stattfindet. Oder wenn man die Pressekonferenz sieht, auf der der Organisator sagt, bis auf 5000 Tickets sind alle verkauft - und der IAAF-Präsident sitzt daneben und kann sich das Lachen nicht verkneifen. Es geht wohl schon so weit, dass es die Leute, die über den Sport entscheiden, gar nicht mehr interessiert, was eigentlich die Leichtathletikwelt zu solchen Entscheidungen sagt. Das ist enttäuschend und unverständlich. Wenn es keine Sportler gäbe, bräuchte es die ja nicht.

Auch wenn es nicht ganz so heiß wird wie im Oktober und Sie kein Ausdauersportler sind: Wie gehen Sie mit den Temperaturen über 30 Grad um?

Es ist auf jeden Fall komisch. Man muss schon darauf achten, dass man sich nicht erkältet, weil man immer den Wechsel hat zwischen der total runtergekühlten Klimaanlage und der Wärme. Aber das weiß jeder Athlet.

Und was erwarten Sie für einen Zuschauerandrang?

Wir gehen davon aus, dass im Stadion nichts los sein wird. Organisatorisch gesehen wird es super sein, top Trainingsbedingungen, top Hotel. Aber es ist schade, dass man in ein Land fliegt, wo die Sportkultur nicht unbedingt ausgeprägt ist. Gerade, wenn man es mit der letzten WM in London vergleicht, wo richtig viel los war.

Mehr als 300 000 Karten wurden damals verkauft, so viele wie noch nie für paralympische Weltmeisterschaften.

In London hat man gesehen, wo es hingehen kann, wie weitreichend der Sport sein kann. Jetzt findet die WM - mal abgesehen von vielen Journalisten, die hier sind - quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wir werden eher nicht hunderttausend neue Fans hinzugewinnen. Und das in Zeiten, wo der paralympische Sport sich so nach vorne bewegt. Rekorde schaukeln sich hoch, die Sportler haben spannende Geschichten zu erzählen. Die möchte man weitererzählen, man lebt das ja als Athlet! Da ist es für mich unverständlich, dass man ein Jahr vor den Paralympics so einen Ort wählt, zu so einer untypischen Zeit. Aber das ändert nichts daran, dass ich mich natürlich sehr auf die WM freue.

Was ist das Problem mit dem Zeitpunkt?

Es sind eigentlich noch genügend Monate Zeit bis Tokio 2020, aber wer nach der WM angeschlagen ist oder etwas auskurieren muss, hat die Zeit dafür nicht mehr. Die WM zählt zum Quali-Zeitraum dazu, man kann also die Norm schon in Dubai erfüllen. Aber wenn das nicht passiert und man der Norm hinterherläuft, kann die Zeit richtig eng werden. Die Paralympics gehen am 25. August los, bis Anfang Juli muss die Quali-Norm gelaufen oder geworfen sein.

Rund um die WM in Katar haben viele Leichtathleten, die unzufrieden mit der Wahl des Ausrichters waren, ihre Wut geäußert. Halten Sie es für realistisch, dass Athleten in Zukunft mitsprechen dürfen, wenn es um die Vergabe von Großveranstaltungen geht?

Es ist wichtig, dass man die Athleten mit ins Boot nimmt. Das wäre ein wichtiger Schritt, auch, um die Transparenz zu wahren. Es gibt ja vielleicht auch plausible Gründe für so eine Vergabe, aber die kommen nicht an. Dass Weltmeisterschaften quer über die Welt verteilt werden, wollen wir ja. Man muss auch sagen: Die VAE sind kein unbeschriebenes Blatt in der paralympischen Leichtathletik. Sie tragen seit Jahren einen Grand Prix aus, haben große Teilnehmerfelder. Wie die Athleten in die Gesellschaft integriert sind, weiß ich nicht. Doch sie kümmern sich um den paralympischen Nachwuchs. Da ist es nicht weit hergeholt, hier paralympische Wettkämpfe auszutragen. Aber als Verband muss ich mich doch drum kümmern, dass sich der Sport weiterentwickelt! 2015 war die WM in Doha. Es gibt eigentlich keinen Grund, warum wir jetzt in Dubai sein müssen.

Sie sprechen die Integration paralympischer Athleten an. In Abu Dhabi und Dubai fanden 2019 bereits die Special Olympics für Menschen mit geistiger Behinderung statt. Die Veranstaltung, hieß es, trage dazu bei, den Blick auf Menschen mit Behinderung im Land ins Positive zu verändern. Geht es Ihnen auch darum?

Das hat jeder im Hinterkopf. Davon sind wir ja alle in gewisser Weise abhängig. Man schaut schon: Wie machen das andere Länder, wie sind die Sportler akzeptiert, wie sind sie ins Sportfördersystem eingebunden? Aber: Es ist eine WM, es geht um die sportliche Leistung, nicht um das Drumherum. Dubai ist außerdem sehr touristisch, da kommt ja die ganze Welt zusammen. Ich bekomme wahrscheinlich als Athlet wenig davon mit, wie die einheimische Bevölkerung auf mich reagiert, wenn ich durch die Stadt laufe.

© SZ vom 07.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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