Niederländische Nationalmannschaft:Wout, der gierige Stubentiger

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Glücksgefühle bei der Hymne: Wout Weghorst (Mitte) vor seinem ersten EM-Spiel mit dem Oranje-Team. (Foto: Pieter Stam de Young/ANP/Imago)

Wolfsburgs Weghorst hat sich seinen Platz im Oranje-Team hart erkämpft. Sein Treffer gegen die Ukraine war die späte Erfüllung für den trotz seiner 1,97 Meter lange übersehenen Stürmer. Nun will der 28-Jährige mehr. Und zwar schnell.

Von Ulrich Hartmann, Amsterdam

Der Löwe namens Wout Weghorst ist eher ein Kätzchen. Von den Wappen des niederländischen Königshauses und des nationalen Fußballverbands hat er sich sein Torjubel-Motiv ausgeliehen: jenen Löwen, der auf der Fußballflagge brüllt und auf dem Wappen der Königsfamilie ein Schwert schwingt. Nicht weniger als diese animalisch-königliche Hauptrolle will der 28 Jahre alte Mittelstürmer bei Oranje spielen.

Deshalb hat er seine ersten beiden Treffer im Nationaltrikot, zunächst im EM-Test gegen Georgien und dann beim 3:2-Auftaktsieg gegen die Ukraine, als Löwe zelebriert. Mit zu Krallen gekrümmten Fingern und schlagenden Bewegungen fauchte er in die TV-Kameras. Aber mehr als eine freche Hauskatze konnte man aus seinen flüchtigen Bewegungen kaum herauslesen. "Ich hoffe, es sah aus wie ein Löwe", sagte er grinsend. Nun ja, mit Wohlwollen.

"Ich hoffe, es sah aus wie ein Löwe": Wout Weghorst feiert seinen Treffer zum 2:0-Zwischenstand gegen die Ukraine. (Foto: Zheng Huansong/Xinhua/Imago)

Der Stubentiger Wout ist in dieser Woche trotzdem der Held des niederländischen Fußballs. Wer im ersten Turnierspiel seit dem Spiel um Platz drei bei der WM 2014 in Brasilien das Tor zum zwischenzeitlichen 2:0 erzielt, der erobert unweigerlich die Herzen der Niederländer. Da hätte er hinterher auch jubeln können wie ein Hamster. Den nötigen Respekt verschafft sich der 1,97 Meter große Schrank von einem Mann ohnehin nicht in der Rolle eines Kuschel-Löwen, sondern durch seinen stets leidenschaftlichen Körpereinsatz und seine intuitive Witterung von Torchancen. Unter Berücksichtigung von Kraft und Intuition hat er tatsächlich etwas von einem Löwen.

Dazu passt, dass er in seiner Karriere den Schleichweg zum Ruhm nehmen musste. Bis zu seinem 20. Lebensjahr spielte Weghorst in unterklassigen Klubs. Bis 22 war er für den SC Emmen in der zweiten Liga aktiv. Bis 26 spielte er in der Eredivisie für die eher zum Mittelfeld gehörigen Heracles Almelo und AZ Alkmaar.

2018 wechselte er zum VfL Wolfsburg und entwickelte sich binnen drei Jahren sukzessive zu einem international beachteten Stürmer. "Ich habe schon bei den Amateuren gesagt, dass ich mal Profi werden will, und bin dafür ausgelacht worden", erzählt Weghorst. Am vergangenen Sonntag hat niemand mehr gelacht. Weghorst verhalf Oranje zum Auftaktsieg bei der EM. "Wa-hout Weg-horst", skandierten 16 000 Fans in Amsterdams Johan-Cruyff-Arena. In der Ehrenloge applaudierte der König. "Ich bin so stolz", sagte Weghorst.

Mit einem Sieg gegen Österreich an diesem Donnerstag (21 Uhr, ZDF) können die Niederländer den Einzug ins Achtelfinale bereits perfekt machen. Als Turnierziel gilt im Lande mindestens das Viertelfinale. Der mit Ambitionen reichlich ausgestattete Weghorst würde sich damit aber erst einmal nicht zufrieden geben wollen.

Nach vier Minimalsteinsätzen schien seine Karriere in der Elftal schon wieder vorbei zu sein

Dabei hatte den eher durchsetzungsstarken als filigranen Fußballer vor ein paar Monaten für Oranje so recht noch niemand auf der Rechnung. Ende März 2018, da spielte Weghorst noch für Alkmaar, hatte der damalige Bondscoach Ronald Koeman ihn zwar erstmals für eine Minute in ein Länderspiel eingewechselt, acht Tage später für sechs Minuten, vier weitere Tage später für 13 Minuten und dann im November 2019 noch einmal für 27 Minuten. Doch mit diesen vier Minimalsteinsätzen schien seine Karriere in der Elftal auch schon wieder vorbei zu sein.

Obwohl er in der abgelaufenen Saison in 41 Pflichtspielen für Wolfsburg 25 Tore und neun Vorlagen ablieferte, bekam er zunächst keine Signale mehr aus der Heimat. Im März quittierte er einen Bundesligatreffer für Wolfsburg zynisch mit dem Löwenfauchen. Er fühlte sich übergangen. Doch weil der Nationaltrainer Frank de Boer zunächst 26 Spieler in den erweiterten EM-Kader berufen durfte, gehörte plötzlich auch Weghorst wieder dazu. Im letzten Test gegen Georgien erzielte er beim 3:0-Sieg den zweiten Treffer. Erstmals stand er in einer Oranje-Startelf. Auf der Tribüne im Stadion von Enschede, zehn Kilometer von seinem Heimatstädtchen Borne, schauten seine Freundin und die gemeinsamen Töchter zu.

Jedes Tor steigert die Nachfrage. Als interessiert gelten bereits Tottenham Hotspur, AS Rom oder der FC Chelsea

Und nun sogar ein EM-Tor. Wieder fuhr der Löwe die Krallen aus und fauchte ins Publikum. Und anders als noch vor EM-Beginn wurde Weghorst diesmal sogar von den stets überkritischen TV-Experten gelobt. Im Februar, als vielleicht die Champions-League-Qualifikation mit Wolfsburg zu erahnen gewesen war, aber nicht Weghorsts Teilnahme an der EM, da wurde er bei Sky in einem Entweder-Oder-Spiel gefragt, ob er lieber mit Wolfsburg die Champions League erreichen oder bei der EM mitspielen wolle. Seine Antwort: "Beides!"

Nun hat er tatsächlich beides. Aber die Frage wird sein, ob er das erste Champions-League-Spiel seines Lebens im Herbst wirklich mit dem VfL Wolfsburg bestreitet. Weghorsts Leistung bei der EM macht ihn nach einer herausragenden Saison in Wolfsburg erst recht attraktiv für ohnehin als interessiert geltende Klubs wie Tottenham Hotspur, AS Rom oder FC Chelsea. Obwohl sein Vertrag beim VfL bis 2023 gilt, will er kein Versprechen über einen Verbleib dort abgeben. Gespräche zu diesem Thema kann Weghorst demnächst auf Niederländisch führen. Der neue Wolfsburg-Trainer Mark van Bommel wird wortreich versuchen, seinen Landsmann zum Bleiben zu überreden. Mit einem niederländischen Löwen in seiner Wolfsburger Mannschaft würde er sich in der Champions League gewiss besser fühlen.

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