NBA:Kunstwerk aus Schnäppchen

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Stephen Curry (r.) beim 110:106-Sieg der Golden State Warriors gegen die Houston Rockets und Trevor Ariza im ersten Playoff-Halbfinale. (Foto: Ben Margot/AP)

Die Golden State Warriors sind das Überraschungs-Team der NBA Saison - dank einer virtuosen Kaderplanung.

Von Jürgen Schmieder, Oakland

Das Timing war perfekt bei diesem Tanz von Stephen Curry: zwei Schritte nach rechts, vier nach links, einer nach hinten. Ball aufnehmen, springen, werfen. Es war aber auch deshalb perfekt, weil die Zahl auf der Anzeige über dem Korb immer kleiner wurde und exakt in jenem Moment 0,0 anzeigte, als sich der Ball ins Netz senkte. Dieser Drei-Punkte-Wurf zum Ende der ersten Hälfte war der Schlussakkord einer Aufholjagd der Golden State Warriors, plötzlich führten sie sogar gegen die Houston Rockets. Am Ende gewannen sie die erste Partie der NBA-Halbfinalserie 110:106.

"Die Rockets und vor allem James Harden haben ein paar verrückte Körbe geschafft, obwohl wir ordentlich verteidigt haben", sagte Curry nach der Partie und hatte dabei mehr Probleme mit seiner aufgeregten Tochter Riley auf dem Schoß als zuvor mit den Verteidigern der Rockets: "Wir haben nicht nachgelassen, haben immer besser in der Defensive gearbeitet, daraus resultieren Punkte in der Offensive. Dann hatten wir das Glück, dass der Ball zur richtigen Zeit in den Korb gefallen ist."

286 Dreier: Das ist NBA-Rekord. Stephen Curry, 27, tanzt die Gegner regelmäßig aus

Natürlich gibt es keinen falschen Zeitpunkt, den Ball von jenseits der Drei-Punkte-Linie in den Korb zu werfen, Curry hat das in dieser Saison bereits 286 Mal geschafft (NBA-Rekord), in den Playoffs bislang 52 Mal - so wie es beim Singen keinen falschen Zeitpunkt für einen getroffenen Ton gibt. Wenn jedoch jemand wiederholt den Ball in den Korb wirft oder Töne trifft und das auch noch in den prägenden Momenten einer Aufführung tut, dann entsteht dabei nichts weniger als Kunst.

Curry traf 13 Mal an diesem Abend, sein Kumpel Klay Thompson sechs Mal, gemeinsam erzielten die unter dem Spitz- namen Splash Brothers bekannten Kollegen 49 Punkte. Es war ein sportliches Kunstwerk, das 19 600 Zuschauer in der Halle bewunderten und in den offiziellen Warriors-Bars in San Francisco und Oakland noch einmal etwa eine halbe Million Menschen. "Ich glaube, wir haben die Leute gut unterhalten und sie auch ins Spiel zurückgeholt", sagte Curry.

Wer verstehen möchte, warum die Warriors in der Hauptrunde der Saison ligaweit die meisten Spiele gewonnen haben (67), warum Curry zum wertvollsten Akteur der Spielzeit gewählt wurde und warum sich die Menschen im Norden Kaliforniens nicht mehr nur für den Football-Klub 49ers oder die Baseballklubs Giants und A's interessieren, der muss zwei Schritte nach rechts machen, vier nach links und einen nach hinten. Erst dann erkennt er das formschöne Gebilde, das die Architekten Larry Riley und Bob Myers da in den vergangenen Jahren errichtet haben. Riley, bis 2012 Manager und seitdem Scouting-Chef, und sein Nachfolger Myers haben diesen Kader nicht zusammengestellt, sie haben ihn über Jahre komponiert - so virtuos, dass er auch bei Aufführungen in den Playoffs bislang stimmig erklingt.

Es waren wohlüberlegte Entscheidungen bei der Auswahl der besten Nachwuchsspieler (Curry im Jahr 2009, Thompson zwei Jahre später), es waren mutige Tauschgeschäfte (sie schickten etwa 2012 Monta Ellis weg und holten Andrew Bogut), vor allem aber waren es herausragende Verhandlungen bei auslaufenden Verträgen. Curry, der wertvollste Spieler, verdient in dieser Saison 10,6 Millionen Dollar. Der bestbezahlte NBA-Akteur, Kobe Bryant, erhält mit 23,5 Millionen bei den Lakers mehr als doppelt so viel.

Myers weigerte sich vor der Saison zudem, Thompson gegen Kevin Love zu tauschen, obwohl es das Angebot gab. Er verlängerte lieber mit Thompson, der in dieser Saison deshalb drei Millionen Dollar erhält und erst von der kommenden Spielzeit an mehr als 15 Millionen Dollar verdienen wird. Das Gehalt der fünf Stamm- spieler beträgt insgesamt 30,5 Millionen Dollar, bei Gegner Houston bekommt alleine Center Dwight Howard 22,4 Millionen. Die Verträge mit den prägenden Akteuren ermöglichten es Myers, herausragende Ergänzungsspieler wie Andre Iguodala, Marreese Speights oder Shaun Livingston zu verpflichten und langfristig zu binden. Der Kern dieses Kaders, er dürfte mindestens noch zwei Spielzeiten so aussehen.

Vor der Saison verpflichtete Myers dann Steve Kerr als Trainer - einen Neuling, der als Spieler mit den Chicago Bulls und den San Antonio Spurs fünf Titel gewonnen hat. Er kombiniert nun die Philosophien seiner ehemaligen Trainer Phil Jackson (eine schnelle Version der Triangle Offense) und Gregg Popovich (das Spiel entzerren, schnell und viel passen), vor allem aber ist Kerr ein cooler Typ, der Zuschauern in der ersten Reihe während einer Partie schon mal zuraunt: "Mensch, jetzt habt ihr 1000 Dollar für das Ticket bezahlt und seht nur meinen Hintern." Kerr wurde zum Trainer, Myers zum Manager des Jahres gewählt.

Es passt einfach bei den Warriors, die einzelnen Töne verbinden sich zu einer stimmigen Komposition. So sehr, dass der derzeit teuerste Spieler des Unternehmens ohne Misstöne meist auf der Bank sitzt. David Lee verdient mehr als 15 Millionen Dollar, passt aber nicht so recht in Kerrs Konzept. Letzterer sagt: "Der blöde Trainer lässt ihn nicht oft genug spielen, aber er ist immer bereit, er will immer gewinnen, er will immer helfen." Lee selbst sagt: "Natürlich ist das nicht einfach für mich, doch jeder hier akzeptiert seine Rolle in diesem Klub. Manchmal muss man sein Ego einem größeren Ziel unterordnen. Wir wollen den Titel." Er will es nicht verschandeln, dieses kalifornische Kunstwerk, sondern ein Teil davon sein.

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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