NBA:Gute Freunde muss jemand trennen

Lesezeit: 4 min

Ein Bild, das bald Seltenheitscharakter haben könnte: James Harden (li.) und Russell Westbrook sollen Houston künftig getrennt zum Erfolg führen. (Foto: Nick Wass/AP)

Die Houston Rockets haben zwei der besten Einzelkönner - aber noch keinen nachhaltigen Erfolg als Mannschaft.

Wer sich eineinhalb Stunden vor Spielbeginn in der Umkleidekabine der Houston Rockets umsieht, der bekommt einen interessanten Einblick in das Innenleben dieses Basketball-Franchise. Vor der Partie bei den Los Angeles Clippers sind alle da, nur zwei fehlen: James Harden und Russell Westbrook. Die Katakomben der Arena im Stadtzentrum von Los Angeles sind nicht gerade großzügig gestaltet, doch es fällt auf, dass sich gerade diese beiden woanders ankleiden. Später, beim Aufwärmen auf dem Parkett: Die Kollegen üben Korbleger. Harden und Westbrook liefern sich ein Tanzduell auf der Ersatzbank.

Es sind dezente Hinweise, dass es bei den Rockets zwei Klassen von Spielern gibt: Harden/Westbrook - und alle anderen. Dieser Eindruck wird während der 119:122-Niederlage gegen die Clippers bestätigt; es gibt bis auf drei Konter keinen Spielzug, bei dem nicht einer der beiden den Ball berührt. Sie übernehmen fast die Hälfte aller Würfe und erzielen 59 Punkte selbst, insgesamt sind sie an 95 Zählern direkt beteiligt. Wer Basketball als Aneinanderreihung von Höhepunkten interpretiert, dürfte daran seine Freude haben - alle andere dürften sich fragen, ob das tatsächlich funktionieren kann: Dem aktuellen Regelwerk zufolge müssen ja fünf Spieler gleichzeitig für eine Mannschaft auf dem Parkett stehen, nicht nur zwei.

Die Trainer der Gegner fanden zuletzt eine Strategie, um die beiden Starspieler zu ärgern

Harden und Westbrook haben den Ball gerne in ihren Händen, sie gestalten, bestimmen das Tempo, sie schließen gerne selbst ab - nicht unbedingt, weil sie Egomanen sind, sondern weil sie wirklich daran glauben, dass ihre Mannschaft dann die größtmögliche Aussicht auf Erfolg hat. Können solche Spieler überhaupt nebeneinander existieren, zumal Harden einen eher gemächlicheren Spielaufbau bevorzugt und der athletische Westbrook gerne schnell und dynamisch spielt?

Es gibt auch bei anderen Klubs zwei prägende Akteure: Bei den Clippers sind es Kawhi Leonard und Paul George, bei den Lakers LeBron James und Anthony Davis, bei den Philadelphia 76ers Tobias Harris und Joel Embiid. Doch kein Klub hat diesen Fokus auf die beiden so genannten Superstars derart verinnerlicht wie Houston. Trainer Mike D'Antoni geht sogar so weit, im Training alle anderen anzuweisen, nur ja nicht so intensiv gegen seine beiden Starspieler zu verteidigen, damit die nur ja nicht ihr Selbstvertrauen verlieren. Er praktizierte das schon in den vergangenen beiden Spielzeiten, als noch Chris Paul an der Seite von Harden war - die Beziehung der beiden war allerdings, wie man so schön sagt, eine rein geschäftliche.

Harden und Westbrook sind tatsächlich Freunde, sie kennen sich nicht erst seit ihrer gemeinsamen Zeit bei Oklahoma City Thunder (2009-2012), sondern von Jugendturnieren in ihrer südkalifornischen Heimat. Als im Sommer der Wechsel von Westbrook nach Houston feststand, besuchten sie gemeinsam ein Konzert des Rappers Meek Mill, sie feuerten gemeinsam (und in gleichen Jacken) die Houston Astros in den Baseball-Playoffs an. Sie sind also gute Freunde, die niemand trennen soll und die einander persönlichen Erfolg gönnen.

Alles zum Wohl der Mannschaft, natürlich. "Wir verstehen uns privat, wir können uns alles sagen", sagt Harden: "Wenn Russ gut drauf ist und einen grandiosen Abend hinlegt, lehne ich mich zurück und genieße die Show." Westbrook sagt: "Wenn es bei James läuft, dann sehe ich mir das ganz locker an." Die typischen Spielzüge der Rockets sehen dann so aus: Harden dribbelt den Ball, gerne im zweistelligen Bereich durch die eigenen Beine. Dann hüpft er, meist unter Zuhilfenahme grotesker Schrittfehler, nach hinten und versucht einen Drei-Punkte-Wurf. Oder er stürmt, meist wieder unter Zuhilfenahme grotesker Schrittfehler, zum Korb und hofft auf einen Korbleger oder ein Foul. Oder er spielt zu Westbrook, der zum Korb stürmt, ebenfalls oft unter Zuhilfenahme grotesker Schrittfehler.

Das ist schwer zu verteidigen - nicht nur, weil Schiedsrichter in der nordamerikanischen Profiliga NBA die Schrittfehler gerne übersehen, sondern auch, weil Harden und Westbrook formidable Einzelkönner sind. Die Gegner bekommen so eine Aufgabe, die an die Chicago Bulls um Michael Jordan und Scottie Pippen aus den Neunzigerjahren erinnert: Sollen sie die Stars über Doppel- und Dreifachdeckung bearbeiten und Würfe der anderen provozieren - oder den beiden ihre Punkte gönnen und möglichst deren Teamkollegen ausschalten?

Es hat einige grandiose Abende gegeben für die Rockets in dieser noch jungen Saison, elf Siegen stehen aber auch schon sechs Niederlagen gegenüber. Die Rockets verloren gegen die Clippers, die Dallas Mavericks, die Denver Nuggets - jene Rivalen, auf die sie in den Playoffs im Frühjahr erneut treffen dürften. Clippers-Trainer Doc Rivers wählte in der vorigen Woche durchgehend eine Defensiv-Strategie, die schon die Mavericks und die Nuggets vereinzelt orchestriert hatten: Er attackierte Harden früh mit zwei Spielern und positionierte die anderen Verteidiger so, dass der Korb beschützt war. Die Botschaft: Wenn ihr uns besiegen wollt, dann mit Würfen von außen - gerne von Westbrook, der jenseits der Drei-Punkte-Linie nur selten trifft. "Habt Ihr so was schon mal gesehen?", fragte Harden die Reporter nach der Partie und stellte die Antwort gleich selbst bereit: "Ich habe so was noch nicht erlebt." Trainer D'Antoni will auf diese Art der Bewachung nun mit einer neuen Strategie reagieren: Harden und Westbrook sollen nur etwa ein Drittel der Spieldauer gemeinsam agieren, jeweils zu Beginn von Partien und in entscheidenden Momenten. Ansonsten soll jeweils einer alleine das Kommando übernehmen. Den guten Freunden steht also eine Trennung bevor, damit sie letztlich doch miteinander Erfolg haben. Sie sollen Einzelkönner bleiben und zu keinem Duo verschmelzen, wie es Leonard/George bei den Clippers und Davis/James bei den Lakers innerhalb weniger Wochen getan haben. "Die beiden sind unfassbar gut, die können das alleine", findet D'Antoni, schließlich seien Harden (2018) und Westbrook (2017) bereits als wertvollste Spieler der Liga ausgezeichnet worden: "Ich will es nicht verkomplizieren." Miteinander können die beiden dann ja in ihrer eigenen Umkleide, bei Baseball-Spielen oder auf Rap-Konzerten sein.

© SZ vom 28.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: