NBA Finals:Mit Zaubertrank

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Schrecken der Gegner: Chris Paul verwirrt und überläuft im ersten NBA-Finalspiel die Abwehrspieler der Milwaukee Bucks. (Foto: Matt York/dpa)

Die Phoenix Suns gewinnen dank ihrer Topstars Chris Paul und Devin Booker das erste Spiel der NBA-Finalserie gegen die Milwaukee Bucks - und können sich dabei noch einen Werbe-Gag fürs Kino leisten

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Da war es: Doping! Nicht zu übersehen! Schlimmer noch, Chris Paul und Devin Booker gaben sich keine Mühe, das leistungsfördernde Mittel zu verbergen. Auf einer Flasche stand "Chris' Secret Stuff", das geheime Zeug von Chris, drin war eine neongelbe Flüssigkeit; auf der anderen war "Book" zu lesen, der Inhalt eher gräulich. Beide tranken, für alle zu sehen. Droht da etwa ein Basketball-Skandal? Muss das erste Spiel der NBA-Finalserie annulliert, den Phoenix Suns der 118:105-Sieg gegen die Milwaukee Bucks aberkannt werden?

Keine Sorge, die 32 Punkte und neun Zuspiele von Paul, und auch die 27 Zähler und sechs Assists von Booker sind legal - die Zaubertrank-Flaschen waren vielmehr kaum versteckte Hinweise auf einen neuen Kinofilm. Zur Erinnerung: Vor 25 Jahren besiegte Basketball-Legende Michael Jordan gemeinsam mit Bugs Bunny, Daffy Duck und den anderen Looney Toons im Film Space Jam eine Bande Außerirdischer, die sich das Talent anderer NBA-Stars stibitzt hatte. Zur Halbzeit liegen die Guten hinten, also verkauft der ausgebuffte Hase seinen Mitspielern Wasser als "Michaels geheimes Zeug" - mit Erfolg. Am Freitag kommt die Fortsetzung Space Jam: A New Legacy in die US-Kinos, Paul spielt eine Nebenrolle; Protagonist ist diesmal LeBron James.

Es war wie im Taktik-Lehrfilm: der Gegner wurde schwindlig gespielt

Es war ein Gag und schamlose Werbung, und doch dürften sich die Bucks fragen, was in aller Welt da passiert ist bei dieser ersten Partie der Best-of-seven-Serie. Es gibt beim Basketball kaum einen schöneren Moment als den, wenn eine Defensive aufgrund eines cleveren Spielzugs implodiert und ein freistehender Schütze nur noch treffen muss. Es ist ein Augenblick destruktiver Poesie, wenn irrlichternde Verteidiger die Balance verlieren, und diese Partie könnte als Lehrfilm mit dem Titel "Wie man Gegner schwindlig spielt" bei Taktiklehrgängen gezeigt werden. Die Suns dominierten ab der zweiten Halbzeit, als hätten sie Zaubertrank eingenommen, Booker und Paul suchten sich ihre Gegenspieler über Pick-and-Roll quasi aus.

Bei dieser sehr simplen und doch höchst komplizierten Spielzug-Variante sperrt einer dem Mitspieler den Weg frei - der Gegner muss nun entscheiden: übergeben oder vorbeilaufen, hilft zur Not noch ein anderer? "Sie haben fast immer übergeben", sagte Phoenix-Trainer Monty Williams danach, und das bedeutete: Paul konnte sich einen Gegenspieler (der den blockstellenden Mitspieler bewachte) aussuchen, und je nachdem konnte er danach zwischen den Varianten Drei-Punkt-Wurf, Zug zum Korb oder Versuch aus der Mitteldistanz wählen - oder einen Mitspieler finden. Das Schöne an Pick-and-Roll ist, dass der Moment der kollabierenden Defensive bei perfekter Ausführung mit einem Pass erreicht werden kann - und Paul ist nun mal der beste Passgeber der Geschichte.

"Ich habe in meinem Leben so viel Basketball gespielt; ich habe, glaube ich, jede Verteidigung gegen Pick-and-Roll gesehen. Das kann ich im Schlaf", sagte Paul danach, über den Trainer Williams sagte: "Wenn er so spielt, dann lasse ich ihn einfach machen." Früher, er hatte Paul vor zehn Jahren als damals jüngster NBA-Coach (38 Jahre) bei den New Orleans Hornets trainiert, habe er sämtliche Spielzüge selbst ansagen wollen - heute überlasse er meist dem 36 Jahre alten Paul die Regie: "Wenn er die Hand hebt, lasse ich ihn in Ruhe; wenn er Blickkontakt sucht, weil er Hilfe braucht, dann biete ich etwas an."

Die Bucks dürfen noch hoffen - Führungsspieler Antetokounmpo kommt zurück

Es war nicht so, dass die Verteidigung der Bucks schlecht oder gar tölpelhaft gewesen wäre; zum einen waren die Suns wirklich so gut, und zum anderen kehrte bei den Bucks Superstar Giannis Antetokounmpo erst kurz vor der Partie in den Kader zurück. Er hatte sich im Halbfinale gegen die Atlanta Hawks das linke Knie überdehnt und sogar befürchtet, dass die Saison beendet sein könnte. Er konnte spielen, er agierte solide (20 Punkte, 17 Rebounds) und präsentierte einen großartigen Block, allerdings war er in der Defensive manchmal diesen einen Schritt zu spät bei der Hilfe gegen das Pick-and-Roll. Das ist keine Kritik an Antetokounmpo als vielmehr nochmals ein Lob an Paul und Booker, die Lücken fanden, wo sie sich auftaten.

Es war freilich nur eine von möglichen sieben Partien, das zweite Spiel findet am Donnerstag erneut in Phoenix statt, dann wechselt die Serie für zwei Duelle nach Milwaukee. Antetokounmpo dürfte mit jedem Tag fitter werden, und außerdem wurde im ersten Spiel ja auch bewiesen, dass dieses geheime Zeug von Paul nicht vor Torheit schützt. Sechs Sekunden waren noch zu spielen, die Partie war gelaufen; da warfen die Bucks noch einmal daneben. Phoenix-Center Deandre Ayton tippte den Ball in der Luft; ein Mal, zwei Mal, drei Mal - dann pflückte ihn Chris Paul, und er war sich sofort der Unsinnigkeit seiner Tat bewusst. Ayton hätte ein "20/20" geschafft, mindestens 20 Punkte und 20 Rebounds, das hatte es in der NBA-Finalserie seit 2004 (Shaquille O'Neal, Los Angeles Lakers, 36 Punkte und 20 Rebounds) nicht mehr gegeben. Ayton schaffte 22 Zähler und, nun ja, 19 Rebounds.

Paul argumentierte mit den Kampfrichtern, doch die hätten sich nicht mal mit dem geheimen Zeug von Chris umstimmen lassen. Paul entschuldigte sich deshalb bei Ayton, doch dessen Blick sagte: Mach dich mal locker, Anführer, wenn du weiter so spielst und mit mir den Titel holst, sind mir persönliche Statistiken egal. Ein paar Tickets für die Premiere von Space Jam sollten dennoch drin sein.

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