NBA:Der Star ist der Coach

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Keine Hektik, aber viel Verbindlichkeit: Brad Stevens (rechts) hat die Celtics in die Conference-Finals geführt. (Foto: Morry Gash/AP)

Zweimal schien die Saison von Boston schon gelaufen zu sein. Doch dank Brad Stevens kommt der Klub seinem 18. Titel unerwartet nahe.

Von Philipp von Nathusius, Boston/München

Noch vor dem Ende des ersten Viertels im ersten Spiel der regulären Saison schien die Saison der Boston Celtics schon gelaufen zu sein. Gordon Hayward war von den Utah Jazz nach Boston gewechselt und Kyrie Irving von den Cleveland Cavaliers. Zwei Spieler, mit denen die Celtics den Angriff auf den Titel starten wollten. Das Saison-Eröffnungsspiel gegen LeBron James und seine Cavaliers sollte ein Vorgeschmack darauf sein, was diese junge, komplett neu formierte Truppe im Stande wäre zu leisten. Doch nicht einmal sechs Minuten waren gespielt, da brach Hayward sich den Knöchel. Eine Verletzung, die sich einbrennt ins Gedächtnis. Eine, wie sie gemeiner, ekliger nicht sein kann, körperlich wie mental.

Die Celtics aber erholten sich vom Schock, gewannen nach der Niederlage in jenem verhängnisvollen Spiel gegen die Cavaliers und einer weiteren sechzehn Spiele in Serie. Mit dem Anführer Irving eilte das Team den Playoffs entgegen. Anfang März dann machte allerdings Irving sein letztes Spiel für die Celtics in dieser Saison. Anhaltende Knieschmerzen zwangen den Guard, sich einer Operation zu unterziehen: das Saisonaus auch für ihn. Die Saison der Celtics schien bereits zum zweiten Mal gelaufen zu sein. Dass sich auch noch der deutsche Liga-Neuling Daniel Theis nach vielversprechenden 63 NBA-Spielen für Boston vor Playoff-Start verletzte und für den Rest der Saison ausfiel, passte ins Bild. Spätestens in den Playoffs würden die für die K.o.-Runde bereits qualifizierten Celtics die Ausfälle ihres Spitzenpersonals nicht kompensieren können, urteilten die Analysten.

Die Celtics haben noch Brad Stevens, ihren Trainer

Denkste. Zwei Monate später schicken sich die Celtics an, auch die dritte Best-of-seven-Serie der Playoffs zu gewinnen. Milwaukee haben sie ausgeschaltet, die hoch gehandelten Philadelphia 76ers auch. Gegen James und die Cavaliers liegen sie in Führung und sind den NBA-Finals so nahe wie keine der anderen, hochkarätig besetzten Mannschaften im Halbfinale. Die Cavaliers haben die Überfigur LeBron James, dem Kevin Love assistieren darf. Bei den Houston Rockets setzt James Harden eine MVP-würdige Saisonleistung in den Playoffs fort, kein geringerer als Chris Paul hilft ihm dabei. Die Golden State Warriors (in der Serie der beiden Teams im Westen steht es 1:1) haben in Steph Curry und Kevin Durant zwei der begabtesten Würfeversenker der Liga. Und die Celtics? Die haben Brad Stevens, ihren Trainer.

Stevens, 41 Jahre alt, unscheinbar, Sachbearbeiter-Frisur, ist der Überflieger unter den Übungsleitern. Seit 2013 ist er Coach in Boston. Unter seiner Leitung haben sich die Celtics in jeder Spielzeit steigern können, in der regulären Saison und auch in den Playoffs. Spieler wie der in Vorjahren in Boston unter ihm spielende Isaiah Thomas sagen: "Stevens ist der beste Coach in der NBA." Andere pflichten ihm bei, vergleichen den Trainer mit Gregg Popovich. Coach "Pop" hat mit San Antonio fünf Championships gewonnen. "Er wird ein großartiger Coach sein", sagt Popovich selbst über Stevens, "er ist jetzt schon überragend."

Von den Lobeshymnen, die ihm Basketball-Amerika zusäuselt, will Stevens nichts hören. "Dummes Zeug", findet er. Den Spielern gebührten die Komplimente und Manager Danny Ainge, der die Mannschaft vor Saisonbeginn zusammengestellt hat. "Wir haben alle unsere Rolle, die wir erfüllen müssen", sagt der Trainer.

Dass Stevens in der Lage ist, mit viel Akribie, großem Sachverstand und zurückhaltendem Auftreten Außenseiter-Mannschaften zum Erfolg zu führen, hat er erstmals als College-Trainer unter Beweis gestellt. 2010 coachte er die Butler Bulldogs als jüngster Trainer in der Geschichte ins NCAA-Finale (übrigens mit eben jenem Gordon Hayward), scheiterte dort denkbar knapp an Duke. Im Jahr darauf glückte ihm der College-Finaleinzug erneut. Celtics-Manager Ainge verpflichtete Stevens daraufhin. "Seine Mannschaften spielen immer hart, defensiv wie offensiv", sagte Ainge damals. "Ich freue mich darauf, mit ihm auf ein 18. Meisterschaftsbanner hinzuarbeiten."

Stevens verteilt die Last stets auf mehrere Schultern

In den laufenden NBA-Playoffs zeigt Stevens' Mannschaft eben jene Tugenden, die Ainge damals pries. Die Celtics verteidigen konzentriert. Taktisch geschickt machen sie die Räume, in denen die gegnerische Offensive agieren darf, klaustrophobisch eng. Im ersten Spiel der Cavs-Serie bekam LeBron James dies zu spüren. Im Schnitt erzielt er 33,4 Punkte pro Playoff-Partie. Im ersten Spiel in Boston fanden nur fünf seiner Würfe ins Ziel, James kam auf nur 15 Zähler.

Im Angriff verteilt Stevens die Last bei Boston gleichmäßig auf die verschiedenen Rollenspieler-Schultern, die ihm im Kader noch geblieben sind. So ist Rookie Jayson Tatum der beste Werfer des Teams in den Playoffs. Fünf weitere Spieler punkten im Schnitt zweistellig. Stevens hat die Celtics schwer ausrechenbar gemacht. Für welchen Spieler der Trainer Spielzüge in der Auszeit vor dem entscheidenden Wurf auf sein Taktikbrett malt, ist nicht vorhersagbar.

Das hat Stevens den Ruf eines ATO-Genius eingebracht. ATO steht für after timeout play, den Spielzug nach einer Auszeit. In der zumindest den Ergebnissen nach knappen Serie gegen Philadelphia haben gleich drei dieser von ihm ad hoc mit dem Filzstift entworfenen Schemata zu Siegen geführt. In den ersten zwei Spielen gegen Cleveland waren derartige Winkelzüge bisher nicht nötig. Zu deutlich gewannen die Celtics Spiel eins und zwei.

© SZ vom 20.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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