Nations League:15 Jahre später

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Als es in Europas Fußball noch lustig zuging: Uefa-Präsident Aleksander Ceferin (links) beäugt amüsiert, wie der Portugiese Cristiano Ronaldo den Pokal für den Gewinn der Nations League wegschleppt. (Foto: Carl Recine/Action Images/Reuters)

Cristiano Ronaldo gewinnt mit Portugal den ersten Titel in seiner Heimat. Und nicht nur deshalb ist der Zuschauerzuspruch beim Finalturnier groß.

Von Sven Haist, Porto

Der Gewinn der Nations League bot Cristiano Ronaldo die Gelegenheit, ein Ritual zu pflegen. Nach erfolgreichen Endspielen reißt sich der Schönste, Beste und Selbstbewussteste aller Portugiesen, kurz CR7, gemeinhin auf dem Spielfeld das eigene Trikot vom Leib, um sich selbst und allen anderen zu beweisen, dass es seinen Oberkörper nur einmal auf der Welt gibt.

Aufgrund der üppigen Titelsammlung des Angreifers von Juventus Turin gehört diese Art der Selbstdarstellung inzwischen zum Programm - und fällt eher dann auf, wenn Ronaldo auf sie verzichtet, wie am Sonntag nach Portugals 1:0 über die Niederlande, das Goncalo Guedes mit seinem Tor in der 60. Minute sicher stellte.

Weil auch der europäische Fußballverband davon absah, das Finale der Nations League mit Eröffnungs- oder Schlusszeremonien bereichern zu müssen, vermittelte das einem das selten gewordene Gefühl, dass es vorrangig um das Spiel an sich ging. Trotz der 112,875 Millionen Euro an Preisgeld für den insgesamt 142 Länderspiele umfassenden, neuen Wettbewerb. Im Gegensatz zu den kürzlich ausgetragenen Endspielen in der Champions League (Madrid) und der Europa League (Baku) erwies sich das finale Viererturnier in seiner Aufmachung als eine Nummer kleiner - und damit eigentlich genau richtig für ein Fußballturnier.

Schon eine Viertelstunde nach Abpfiff bekam Ronaldo ohne Brimborium auf dem Siegerpodest als Kapitän des portugiesischen Nationalteams den Wanderpokal überreicht. Die Freude über die Trophäe verdeutlichte die Ernsthaftigkeit, mit der er trotz des eher geringen Stellenwerts des Cups mit seinen Mitspielern das Heimturnier angegangen war. Im Alter von 34 Jahren war es für Ronaldo mehr oder weniger die letzte Chance in seiner Karriere, einen Titel in seinem Geburtsland zu gewinnen - und damit Frieden schließen zu können mit der Endspielniederlage gegen Griechenland (0:1) bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal, die er als Teenager auf dem Platz miterlebt hatte.

Mit drei Toren gegen die Schweiz rappelte sich Ronaldo im Halbfinale trotz der Strapazen der vorangegangenen Spielzeit noch mal zur Höchstform auf, um den Portugiesen - nach dem EM-Sieg vor drei Jahren - das nächste Erlebnis zu bescheren, das sie in Zukunft mit seinem Namen verbinden werden. Allzu viele werden voraussichtlich nicht mehr folgen. In der Interviewzone nahm er seinen Fans nach dem Finalsieg die Illusion, für alle Zeiten in der Lage zu sein, die Treffer der Seleção zu erzielen. "Cristiano ist nicht ewig", sagte er über sich selbst: "Es wird ein Tag kommen, an dem ich nicht mehr kommen werde, aber dafür fehlen noch viele, viele Jahre."

Bevor Ronaldo sich irgendwann mal zur Ruhe legt, dürften ihn vorher die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2022 in Katar weiter am Ball halten und die Einstellungen der Bestmarken für die meisten Tore (Ali Daei/Iran) sowie Spiele (Ahmed Hassan/Ägypten) in einer nationalen Auswahl.

Neben dem Premierensieg für Portugal war ebenso für die anderen drei Teilnehmer etwas dabei. Die zweitplatzierten Niederländer bestätigten, bald wieder zu den führenden Nationen gehören zu können. Analog zu England, das wie bei der WM 2018 ein Elfmeterschießen gewann. Mit 6:5 setzten sich die Three Lions im Duell um Platz drei mit der Schweiz durch, ohne dabei auch nur einen von sechs Strafstößen zu vergeben. Wenngleich aufgrund des Halbfinal-Aus die Serie anhält, seit dem WM-Sieg 1966 keinen Titel gewonnen zu haben. Den Schweizern blieb immerhin die Gewissheit, vor den besten Fußballländern nicht zurückschrecken zu müssen.

Die vier Finalspiele zeigten außerdem, dass viele Fußballfans scheinbar nicht genug kriegen können von diesem Sport. Allein etwa 18 000 Engländer hatten sich auf den Weg nach Porto an die Atlantikküste gemacht. Selbst die Zugfahrten durchs Hinterland nach Guimarães hielt keinen Anhänger von der Reise ab. Und die Auswahl der beiden Spielorte Porto und Guimares sowie der kompakte Turnierkalender zeigten, dass es nicht verkehrt ist, auf diejenigen Rücksicht zu nehmen, die einem Turnier ein echtes Turniergefühl verleihen. Die vier Spiele waren jeweils nahezu vollständig besucht.

Damit die Endrunde in der Nations League sich etablieren kann, braucht es jedoch weiterhin Spieler, die dieses Turnier auch spielen. Der Qualität der einzelnen Begegnungen war anzumerken, dass die Profis am Ende eines strapaziösen Spielkalenders stehen, bei dem sich die Mehrheit lieber bereits im Urlaub befunden hätte als auf dem Fußballplatz; ein Kalender, der den Teams kaum die Möglichkeit gab, sich vernünftig auf die Partien vorzubereiten.

Das vielversprechendste Spiel des Turniers zwischen England und der Niederlande verkam am Donnerstag auf diese Weise zu einer Aneinanderreihung an Fehlern, die dem Leistungsvermögen der jeweiligen Profis nicht gerecht wurde. Auf den Tribünen schien das niemanden so richtig zu stören. Die Leute freuten sich vielmehr, dass das Spiel in die Verlängerung ging - und sie noch mehr Fußball zu sehen bekamen.

© SZ vom 11.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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