Naomi Osaka:Weltbürgerin mit Medusahaaren

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Ausgestattet mit einer furchteinflößenden Vorhand: Naomi Osaka hat erstmals das Viertelfinale der US Open erreicht. (Foto: Kevin Hagen/AP)

Die Japanerin soll eine Symbolfigur sein für das Zusammenwachsen der Welt.

Von Jürgen Schmieder, New York

Naomi Osaka ist keine Frau, die spricht. Wer ihr eine Frage stellt, der dreht einen Duschkopf auf, aus dem sich dann meist freche und erfrischende Worte über einen ergießen, und wer mit popkulturellen Referenzen nicht vertraut ist, der verpasst oder missinterpretiert was. Vor zwei Jahren zum Beispiel, da sagte die damals 18-Jährige über ihre Ambitionen als Tennisspielerin: "Ich will die Allerbeste sein - eine, die es noch niemals zuvor gegeben hat." Einige hielten das für arg forsch, für arrogant, für einen Affront auf Spielerinnen wie Steffi Graf oder Serena Williams. Allerdings ist Osaka ein Fan des japanischen Videospiels Pokémon, und der Titelsong der dazugehörigen TV-Serie lautet nun mal: "To be the very best, like no one ever was."

Was bedeutet das also, wenn diese dauerlächelnde, dauerredende und dauerfreundliche Frau nach ihrem 6:3, 2:6, 6:4-Erfolg gegen die Weißrussin Aryna Sabalenka noch auf dem Platz in Tränen ausbricht und erklärt, dass sie sich eine Niederlage niemals verziehen hätte? Und was bedeutet es, wenn sie danach in der Pressekonferenz und bei Gesprächen auf der Anlage so wirkt, als würde dieser Duschkopf kaputt sein und nur ein paar Tropfen spenden? Nun, zuerst einmal bedeutet es, dass eine 20 Jahre alte Tennisspielerin das erste Grand-Slam-Viertelfinale ihres Lebens erreicht hat, eine Autostunde von Long Island entfernt, dem Ort ihrer Kindheit. Da darf man schon mal überwältig und auch überfordert sein.

Man muss Osaka allerdings in einem anderen, womöglich viel größeren Zusammenhang betrachten. Sie soll viel mehr sein als nur eine Tennisspielerin, der zugetraut wird, diesen Sport in der Zukunft, vielleicht auch schon in der Gegenwart zu prägen: Sie hat im Frühjahr das Turnier in Indian Wells gewonnen, das viele als den fünften Grand Slam bezeichnen, gleich danach hat sie in Miami ihr Vorbild Serena Williams mit 6:3, 6:2 vom Platz geprügelt. Sie soll aber auch das Symbol einer zusammenwachsenden Welt sein, und sie ist genau deshalb auch immer wieder ein Symbol dafür, dass das mit dem Zusammenwachsen dieser Welt gar nicht mal so einfach ist. Osaka wurde in der gleichnamigen japanischen Stadt geboren, ihr Nachname ist eine stets präsente Erinnerung an ihre Herkunft. Ihre Mutter Tamaki ist Japanerin, Vater Leonard Francois stammt aus Haiti. Viele Japaner sehen Reinrassigkeit noch immer als einzig akzeptable Form des menschlichen Daseins an, Osakas Großvater empfand die Verbindung seiner Tochter zu einem schwarzen Ausländer damals als Entehrung der Familie und verstieß das Paar viele Jahre lang.

Francois sah 1999 im Fernsehen eine Partie der Williams-Schwestern, und er dachte sich, dass dies auch der adäquate Sport für seine beiden Töchter Naomi und die nur 18 Monate ältere Mari (in der Weltrangliste derzeit auf Platz 350) sein könnte, kürzlich sagte er der New York Times: "Die Blaupause war da, ich musste nur alles nachmachen." Die Familie zog 2001, da war Naomi gerade mal drei Jahre alt, nach Long Island an die amerikanischen Ostküste, in ein Land, von dem sie sich weniger Rassismus und eine bessere Tennisausbildung versprachen. Fünf Jahre später siedelten sie um nach Florida, um sich komplett auf Tennis zu konzentrieren.

"Ich fühle mich nicht als Amerikanerin", sagt Osaka, und sie fügt einen wichtigen Satz an: "Ich wüsste aber auch nicht, wie sich das anfühlen sollte." Sie ist in den USA aufgewachsen und spricht perfekt Englisch, sie ist jedoch auch mit der japanischen Kultur vertraut, sie hat eine Vorliebe für Manga-Comicfiguren und Computerspiele. Und sie will auch Haiti repräsentieren, das betont sie immer wieder: "Es ist ein schönes Land, die negativen Berichte werden der Realität nicht gerecht." Francois entschied, da war Osaka 15 Jahre alt, dass die Töchter aufgrund ihres Geburtsortes und der Zuneigung zur Mutter für Japan antreten sollten.

Wie viel gesellschaftliche Relevanz darf man einer 20-Jährigen aufladen? Sie ist eine Weltbürgerin, diese Naomi Osaka, und wäre es wirklich verwerflich, wenn die Entscheidung für Japan eine finanzielle gewesen wäre? Tennisspielerinnen können bei geschickter Vermarktung sehr reich und sehr berühmt werden, wie Serena Williams (Narrativ: das schwarze Mädchen aus dem Gangster-Vorort Compton) und Maria Scharapowa (die von der Eisprinzessin aus Russland zum American-Girl Konvertierte) gezeigt haben, und natürlich bekommt eine dauerlächelnde, dauerredende und dauerfreundliche Frau lukrative Werbeverträge mit weltbekannten Unternehmen. Für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio suchen die Organisatoren bereits jetzt nach möglichen japanischen Protagonisten, und da ist es nun auch egal, dass Osaka ein, wie sie in Japan sagen, "Hafu" ist, ein Mischling. Auch mit ihrem Großvater hat sie sich versöhnt.

Osaka ist nicht zu übersehen bei diesen US Open, wegen ihrer fantastischen Haare, die so aussehen, als habe sie diese von der griechischen Göttin Medusa geschenkt bekommen, aber auch wegen ihrer spektakulären Spielweise. Sie erreicht mit ihren Aufschlägen eine Geschwindigkeit von mehr als 200 Kilometern pro Stunde und ihre nassforsche Art erlaubt es ihr, gerade gegen große Gegnerinnen auf großen Plätzen bei großen Turnieren zu glänzen - im vergangenen Jahr zum Beispiel besiegte sie die damalige Titelverteidigerin Angelique Kerber mit 6:3, 6:1.

In diesem Jahr gab sie in den ersten Runden gegen Laura Siegemund, Julia Glushko (Israel) und Alexandra Sasnowitsch (Weißrussland) insgesamt nur sieben Aufschlagspiele ab. Es folgte diese knifflige Partie gegen Sabalenka, nach der Osaka in Tränen ausbrach. "Die Leute fragen mittlerweile nach jedem Erfolg, ob es noch weiter geht - oder ob die Reise mal zu Ende geht", sagt Osaka, ein kleiner Hinweis darauf, dass ihr da doch viel aufgebürdet wird: "Ich war deshalb einfach glücklich, eines meiner großen Ziele erreicht zu haben." Im Viertelfinale am Mittwoch trifft sie auf die Ukrainerin Lesla Zurenko.

Ein anderes großes Ziel von Osaka: ein Duell gegen Serena Williams bei einem Grand-Slam-Turnier: "Ich habe all ihre Partien hier angeschaut. Es wäre schön, hier gegen sie anzutreten." Da war sie dann wieder, die sprudelnde Osaka mit den knackigen Sprüchen, bei denen man bisweilen zwischen den Zeilen lesen muss. Ein Duell mit Williams ist nämlich erst im Finale möglich. Sie will dann eben doch die Allerbeste sein und eine, die es noch niemals zuvor gegeben hat.

© SZ vom 05.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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