Nach der Niederlage:Wie geht das Leben jetzt weiter?

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Pizzapause machen, Fahnen sachgerecht lagern, ein neues Lied lernen - Ratschläge für den Umgang mit der deutschen Niederlage.

Titus Arnu, Jan Grossarth, Frank Müller, Tanja Rest

Ist jetzt alles vorbei?

Was tun mit der Fahne? Bis zur nächsten EM zwischenlagern. (Foto: Foto: dpa)

Auch, wenn es auf den ersten Blick danach aussieht: nein. Wichtig ist jetzt, für Ankerpunkte in der näheren Zukunft zu sorgen, an denen das neu erwachte Bedürfnis nach euphorisiertem Zusammentreffen in größeren Menschenmengen festmachen kann. Es bieten sich an: Open-Air-Konzerte von Robbie Williams (ab 10. Juli in Deutschland); die während der WM gedrehte Dokumentation über die deutsche Mannschaft von Sönke Wortmann (ab Herbst im Kino); das nächste "Public Viewing" in München zum Papstbesuch von Benedikt XVI im September und, natürlich, der Auftakt zur EM-Qualifikation (Deutschland - Irland am 2. September in Stuttgart).

Welche Form der Trauer ist angemessen?

Die Tageszeitung Sydney Herald titelte nach dem WM-Aus der australischen Mannschaft: "Fucking bullshit!" Fluchen und Schreien kann eine Möglichkeit sein, den Schmerz rauszulassen. Eleganter ist es, ein paar Tage lang still zu weinen. Beide Extreme seien nicht ideal, sagen Fachleute. Der Psychotherapeut Stephan Lermer rät enttäuschten Fans zur Gruppentherapie. "Ich sehe in der Clique die größte Chance, dass man sich aufrichtet."

Wie begegnet man feiernden Italienern?

Jede Anbiederung vermeiden. Wer sich gar auf die andere Seite stellt und plötzlich blaue Trikots trägt, schließt sich aus der Fußball-Wertegemeinschaft aus. Auf der anderen Seite: ja kein schlechter Verlierer sein. Am einfachsten wird alles, wenn man an die Tränen denkt, die italienische Fans an diesem Sonntag ab etwa 22 Uhr weinen werden.

Und wenn das auch nicht hilft?

Folgende Fakten auswendig lernen: In der Schlacht am Teutoburger Wald (9 n. Chr.) erlitten drei römische Legionen unter Publius Quinctilius Varus eine Niederlage gegen das germanische Heer. Im April 1924 unterlag die italienische Fußballnationalmannschaft Ungarn mit 1:7. 1990 scheiterte die Nationalelf im WM-Halbfinale im eigenen Land - an Argentinien. 2006 wird Italien von einem Fußballskandal erschüttert. Zudem hat Italien den zweithöchsten Schuldenstand der Europäischen Union: Die Staatsverschuldung beträgt 106,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (in 2004).

Schmeckt Bohnenkaffee nicht doch besser als Cappuccino?

Die Deutschen haben sich angewöhnt, Cappuccino, Latte macchiato und Espresso zu trinken, am liebsten beim "Stehitaliener." Genau jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, diese mediterrane Sitte zu hinterfragen. Was ist eigentlich so toll daran, einen überteuerten Fingerhut voller schwarzer Brühe zu schlürfen, und das auch noch im Stehen? Der deutsche Bohnenkaffee mag genauso schal und bitter schmecken wie eine Niederlage gegen Italien, aber das wäre die richtige Geste.

Ist es charakterlos, jetzt in eine Pizzeria zu gehen?

Ja. Nichts einzuwenden ist jedoch gegen eine Pizza, die am Sonntag zwischen 20 und 22 Uhr von einem italienischen Pizzaboten ins Haus geliefert wird. Am Tag nach dem Finale darf auch die Pizzeria wieder besucht werden. Verlierer sollten sich einfach austauschen.

Zu wem soll man jetzt halten?

Romantiker zu Frankreich, denn ein WM-Titel zum Karriereende Zidanes wäre doch so rührend. Portugiesinnen und Portugiesen zu Portugal. Und alle anderen, wie masochistisch es zunächst klingen mag, zu Italien. Gegen den Weltmeister ausgeschieden zu sein, ist am Ende nur dreiviertel so schlimm.

Was tun mit der Deutschlandfahne?

Bis zur EM 2008 zwischenlagern. Der Hersteller Fahnen Fuchs in Dietzenbach rät: waschen, falten und wie ein Betttuch in den Schrank legen. Feuchtigkeit meiden. Mottenkugeln sind laut Fahnen Fuchs nicht erforderlich: "Fahnen sind ja nicht aus Baumwolle, sondern aus Polyester. Da geht die Motte nicht dran."

Spüren Haustiere die WM-Trauer?

Trauer ist ansteckend, und viele Haustiere haben eine feine Antenne für die Emotionen der Menschen. Hunde zum Beispiel können heilen, wie man aus Versuchen mit psychisch Kranken und Dementen weiß. Also können sie ihr Herrchen bei Fußball-Kummer trösten - auch wenn Bello kaum versteht, was ein 0:2 gegen Bella Italia für die Familie bedeutet.

Darf man den WM-Song der "Sportfreunde Stiller" noch hören oder singen?

Ja und nein. Der Refrain von "'54, '74, '90, 2006", seit einigen Tagen auf Platz eins der deutschen Singlecharts, muss umgelernt werden. Passenderweise hat die Band bereits das Lied "'54, '74', '90, 2010" aufgenommen. Darin heißt es: "Die ganze Welt greift nach dem goldenen Pokal / Am Kap der Guten Hoffnung probieren wir's nochmal / Als Gast in Südafrika / Wird unser Traum dann endlich wahr."

Wie kann man das Ergebnis schönreden?

Da nach der ersten Woche alle geglaubt haben, dass Argentinien Weltmeister wird, wir die Argentinier jedoch geschlagen haben, sind wir seitdem Weltmeister, wenn auch inoffiziell. Und wenn die Italiener nicht dafür gesorgt hätten, dass Frings wegen einer Streicheleinheit unter Freunden gesperrt wird, wären wir's am Sonntag auch offiziell.

Soll man das Samstagsspiel anschauen?

Ja. Und das 3:0 wie Weltmeister feiern.

© SZ vom 6.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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