Motorsport:Was die Formel 1 künftig auszeichnen soll

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Was vom Auto übrig blieb: Fernando Alonso entstieg in Melbourne dem Schrotthaufen, das einmal sein Rennwagen war, unverletzt. (Foto: AP)
  • Beim Rennen in China kehrt die Formel 1 fürs Ermitteln der Startaufstellung zum bewährten Modus zurück.
  • Es geht gerade um Grundsätzliches. Die entscheidende Frage: Was soll die Serie künftig auszeichnen?
  • Alle Formel-1-Ergebnisse finden Sie hier.

Von René Hofmann

Der dritte Anlauf führte ans Ziel. Am Donnerstagabend einigten sich alle wesentlichen Kräfte darauf: Beim nächsten Rennen am kommenden Wochenende in China kehrt die Formel 1 fürs Ermitteln der Startaufstellung zum bewährten Modus aus den Vorjahren zurück. Das umstrittene Eliminierungs-Format im 90-Sekunden-Takt in der Qualifikation wird nach zwei Aufführungen wieder abgeschafft. Formal muss dem zwar noch der Weltrat des Automobilweltverbandes FIA zustimmen. Aber das gilt als Formalie. Besteht Einigkeit, nickt das Gremium eigentlich nur ab.

Unmittelbar nach dem Saisonstart Mitte März in Melbourne hatten die elf teilnehmenden Teams das Qualifikationsformat bereits ändern wollen. Ihr Vor- haben aber scheiterte am Veto von FIA-Präsident Jean Todt, 70, und am Einspruch von Vermarkter Bernie Ecclestone. Unmittelbar vor dem zweiten Rennen am vergangenen Wochenende in Bahrain wiederholte sich das Spielchen erneut.

Warum es im dritten Versuch nun klappte? Weil die Rennställe den Spieß umdrehten. Sie signalisierten den beiden maßgeblichen Formel-1-Gewalten: Alles andere als eine Rückkehr zum bewährten System wird es mit uns nicht geben. Für Experimente sehen wir keinen Spielraum mehr. Das ist zu gewagt, dafür wurden bereits zu viele Fans verärgert. Mit dieser entschlossenen Position setzten sich die Teams durch - was Ecclestone gar nicht gefällt. "Die Leute scheinen zu vergessen, dass wir versuchen, die Startaufstellung ein wenig durchzumischen. Denn was wir bislang gesehen haben, sorgt nicht besonders für Spannung", grollt der 85-Jährige dort, wo er gerne grollt, im Fachmagazin Autosport.

Ein Prodezere, das wie eine Karikatur wirkt

Das Ausscheidungsfahren war aus vielen Gründen umstritten. Erst passierte unheimlich viel, so viel, dass es den Zuschauern ohne Zeitenmonitor schwer fiel, den Überblick zu behalten. Gegen Ende hin, wenn sich die Spannung eigentlich zu einem Duell um die Pole-Position verdichten sollte, passierte dann gar nichts mehr, weil nichts mehr passieren konnte: Weil sie sich ihre Reifen fürs Rennen aufsparen mussten, blieben alle Fahrer lieber in der Box, als noch einmal auf eine finale Zeitenjagd zu gehen.

Statt wagemutige Teufelskerle in faszinierenden Maschinen zu bestaunen, sahen die Zuschauer nur eine leere Strecke - und im Kern ging es eine Stunde lang nicht darum, wer am Ende der Schnellste war, sondern wer als Langsamster aus der Wertung fällt: Das ganze Prozedere wirkte wie eine Karikatur dessen, was die Formel 1 lange ausgezeichnet hat - und Sebastian Vettel durfte sich bestätigt fühlen. Der viermalige Weltmeister hatte bereits zur Einführung des neuen Systems gewarnt: Ein bisschen Abwechslung täte der Show sicherlich gut. Zu viel der Abwechslung aber sei gefährlich. Die Formel 1 müsse ein Sport bleiben und dürfe nicht zu einem Glücksspiel verkommen.

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Schon nach dem ersten Rennen hatte die neue Qualifikation kaum Freunde. Jetzt zwingen die Rennställe den Weltverband zur Umkehr.

Was zeichnet die Formel 1 aus? Was soll sie in Zukunft auszeichnen? Das sind die beiden zentralen Fragen, um die derzeit viele Themen kreisen, die heiß debattiert werden. Die Rennserie nennt sich selbst immer noch gerne "Königsklasse". Aber mit welchem Recht tut sie das eigentlich?

Früher war die Sache klarer. In der Serie fuhren die schnellsten Autos und in diesen saßen die besten Fahrer. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung war das unumstritten so. Den Mythos mehrten auch viele Unfälle, von denen viele auch tödlich verliefen. Von 1953 bis 1982 ließen 28 Fahrer bei Trainingsfahrten oder Rennen ihr Leben.

Danach blieb der Tod zwölf Jahre lang auf Distanz, bis es 1994 beim Rennen in Imola gleich zwei Fahrer erwischte: den Österreicher Roland Ratzenberger und den Brasilianer Ayrton Senna, den dreimaligen Weltmeister. Seitdem hat es nur noch einen Toten gegeben: Der Franzose Jules Bianchi starb am 17. Juli 2015, neun Monate nachdem er beim Rennen in Japan auf regennasser Fahrbahn unter einen Bergekran geschleudert war und irreversible Kopfverletzungen erlitten hatte.

Die Statistik ist eindeutig: Die Formel 1 ist sicherer geworden. Alle begrüßen das. Eine Frage aber schwingt trotzdem mit: Ist die Gefahr nicht auch gut fürs Geschäft? Wie weit soll die Rennserie gehen, um sie einzugrenzen?

Beim Saisonauftakt in Melbourne gab es einen schrecklichen Unfall. Der erfahrene Spanier Fernando Alonso fuhr mit seinem Rennwagen am Ende einer langen Geraden bei einem Überholmanöver gegen das linke Hinterrad seines Rivalen Esteban Gutiérrez. Alonsos Wagen hob daraufhin spektakulär ab und flog sehr weit durch die Luft, bevor er in einem Kiesbett aufschlug, wo er sich noch mehrmals überschlug.

Der 34-Jährige konnte sich aus eigener Kraft aus seinem völlig zerstörten Auto befreien. Nur kurz nach dem Aufschlag wankte er schon - durchgeschüttelt, aber offenbar wenig berührt - zu den Streckenposten. Erst später, als sein Körper durchleuchtet worden war, fanden sich gebrochene Rippen. Die Szene illustrierte, welch unglaubliche Einschläge sich in den Hochsicherheitszellen überleben lassen, in denen die Fahrer inzwischen sitzen. Sie fachte aber auch die Sicherheitsdebatte wieder an.

Im kommenden Jahr würde der Automobilweltverband gerne ein weiteres Sicherheitsfeature einführen. Einen Bügel, der sich horizontal über die Cockpits spannt, um die Köpfe der Protagonisten vor umherfliegenden Teilen zu schützen. Arbeitsname des Systems: "Halo", was übersetzt Heiligenschein heißt. Der Bügel, der in den Wintertestfahrten als Prototyp einmal ausgeführt wurde, erinnert tatsächlich ein wenig an einen Heiligenschein.

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Hübsch ist er nicht, da sind sich die meisten Betrachter einig. Titelverteidiger Lewis Hamilton fand ihn beim ersten Anblick sogar so hässlich, dass er jeden Kommentar dazu verweigerte. "Ich werde euch bestimmt keinen O-Ton dazu geben", ließ der Mercedes-Fahrer die Fachjournalisten wissen. Sein Gesichtsausdruck in dem Moment aber ließ eindeutig erkennen, was er von der Nummer hält: nichts.

Rennwagen gelten als Traumwagen. Traumwagen sind schön. Wie hässlich dürfen sie werden, um immer noch eine Faszination auszustrahlen? Das ist eine spannende Frage. Den Alonso-Unfall nahmen sowohl Halo-Zweifler wie auch Halo-Befürworter zum Anlass, um für ihre Position zu werben. Mit dem Bügel hätte sich der Havarierte nie so schnell befreien können, argumentierten die Zweifler. Mit dem Bügel hätte er sich im Auto in noch größerer Sicherheit befunden, hielten dem die Befürworter entgegen.

Wie die Argumentationslinien verlaufen, ließ sich gut beobachten, als der deutsche Formel-1-Sender RTL zu dem Thema beim Rennen darauf die beiden Österreicher Alexander Wurz und Niki Lauda vor die Kamera bat. Wurz, 42, ist der Vorsitzende der Fahrervereinigung GPDA. Er ist ein kompromissloser Kämpfer für mehr Sicherheit. Lauda, 67, hat seine drei WM- Titel in einer Zeit eingefahren, als noch so gut wie jedes Jahr mindestens ein Formel-1-Fahrer bei dem Spektakel sein Leben ließ.

Klassik oder Moderne? Laut oder leise?

Für ihn sei der Flirt mit der Gefahr immer ein Teil der "DNA der Formel 1" gewesen, trug Lauda vor - was sich als Forderung verstehen ließ, dies solle auch so bleiben. In seinem Konter nahm Wurz das Bild elegant auf: Das Streben nach immer besseren Sicherheitsvorkehrungen sei inzwischen doch ebenfalls zu einem Teil des Markenkerns der Serie geworden. Und wenn die Autos nun dank des Heiligenscheins noch sicherer würden, dann bräuchte man auch keine so ausladenden Auslaufzonen mehr. Dann ließe sich noch öfter durch Städte brausen.

Von den Stadtrennen geht eine ganz besondere Faszination aus. In Monte-Carlo ist das schon lange so. Die Stadtrundfahrt durch das mit Flutlicht beleuchtete Singapur hat sich seit 2008 ebenfalls zu einem Höhepunkt der Saison entwickelt. Am 19. Juni wird es erstmals in Baku rundgehen. Der Kurs dort führt direkt an der Mauer der Altstadt vorbei. An einer Stelle ist die Strecke nur sieben Meter breit. Wo künftig gefahren werden soll - das ist ebenfalls eine Frage, die Grundsätzliches tangiert.

In diesem Jahr sind 21 Rennen geplant. Mehr gehen kaum, weil jedes Team sonst zwei Mechaniker-Crews beschäftigen müsste, damit den Helfern zwischen den Rennen genügend Zeit zur Regeneration bleibt. Für noch mehr Rennen auf neuen Märkten schreckt Vermarkter Bernie Ecclestone auch nicht davor zurück, Klassiker in Frage zu stellen. Sein jüngstes Opfer: der Italien-Grand-Prix in Monza, der seit WM-Beginn an eigentlich immer zum Programm gehörte.

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Klassik oder Moderne? Laut oder leise? Weiter hochmoderne, aber eben auch hochkomplexe Sechszylinder-Turbo-Hybrid-Triebwerke? Oder zurück zu simplen Verbrennungsmotoren? Es sind sehr grundsätzliche Fragen, von denen sich da gerade sehr viele zur gleichen Zeit stellen. Eine Zeitenwende kündigt sich an.

Die Serie muss kämpfen, wenn sie ihren Status im Motorsport verteidigen und im Kampf um die Publikumsgunst bestehen will. Und in einem Punkt, das zeigt der Erfolg der Teams in der Auseinandersetzung um die Frage über das Qualifikationsformat, ist die Zeitenwende bereits vollzogen. Im Streit darüber, wohin der ganze Zirkus steuert, erheben inzwischen wesentlich mehr ihre Stimme. Was die Formel 1 auszeichnet und was nicht - das bestimmten Jahrzehnte lang Bernie Ecclestone und seine Bezugspersonen bei der FIA alleine.

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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