Motorsport:Sparsam in der Sommerhitze

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Weil Formel-E-Pilot Maximilan Günther nach dem Wechsel zu BMW seine Zukunft kennt, kann er sich besser auf die Gegenwart einlassen. In Chile hat er gewonnen, nach drei Rennen ist er auf Rang vier.

Von Anna Dreher

Um im entscheidenden Moment schneller sein zu können, musste Maximilian Günther erst einmal langsam fahren. Sonst wäre er vielleicht einfach stehen geblieben. Wenn die Batterie überhitzt, kann das passieren. Er wartete also, bis kurz vor Schluss. Und als nur noch drei Kurven übrig waren, als das Formel-E-Rennen in Santiago de Chile schon fast zu Ende war, ging er ins Risiko, zog rechts am golden lackierten Auto des Portugiesen Antonio Felix da Costa vorbei - und fuhr am 18. Januar zum ersten Mal in seiner Karriere in der Formel E als Erster über die Ziellinie. Mit 22 Jahren ist er damit zudem der jüngste Sieger der selbst erst sechs Jahre alten elektronischen Motorsportserie. "Ich kann nur schwer beschreiben, wie viel mir das bedeutet. Den Sieg so am Schluss zu holen, war natürlich ein Highlight", sagt Günther ein paar Tage später am Telefon: "Da ist viel von mir abgefallen. Natürlich habe ich noch viele Ziele, aber der erste Formel-E-Sieg ist für mich schon ein erster wichtiger Meilenstein, den ich jetzt erreicht habe."

Günther fährt sein zweites Jahr in der Formel E. Auch deswegen misst der Mann aus Oberstdorf im Allgäu diesem Sieg in der Sommerhitze Chiles eine so große Bedeutung zu. Er ist noch nicht lange dabei - und längst nicht dort angekommen, wo er immer hinwollte: Von einem Talent aus den Nachwuchsserien des Formel-Sports aufzusteigen zu einem Rennfahrer, der mit der Geschwindigkeit sein Geld verdient. Das hatte er in seiner ersten Saison erreicht, wenn auch nur in Teilzeit. Beim amerikanischen Team Dragon Racing musste er sich 2019 das Cockpit mit dem Brasilianer Felipe Nasr teilen. Er machte dennoch auf sich aufmerksam. Seine ersten Punkte holte er im ersten Regenrennen der Formel E in Paris, die Saison beendete er als 17. unter 25 Fahrern. Im Sommer unterschrieb er dann einen Vertrag bei BMW, seitdem ist er Werksfahrer und Vollzeitpilot für Andretti Motorsport. Und nach drei Rennen Vierter der Gesamtwertung.

Günther spricht von einem guten Paket, wenn er über die Zusammenarbeit spricht: "Das Team arbeitet extrem professionell und ich habe mich vom ersten Moment an unheimlich wohl gefühlt." Er spricht von einem guten Gefühl, von voller Konzentration. Keine Nebenschauplätze mehr, das ist der große Vorteil. Weil Günther durch diese Zusammenarbeit die Rahmenbedingungen seiner näheren Zukunft kennt, kann er sich besser auf die Gegenwart einlassen. Wenn er die an ihn gesetzten Erwartungen erfüllt, dürfte das Engagement eine ganze Weile Bestand haben, das gibt Sicherheit.

Er als Bayer bei einem bayerischen Hersteller, für den er 2011 bereits in der Formel BMW Talent Cup gefahren ist - das passt für beide Seiten auch in Sachen Vermarktung gut. Und bisher sieht es nicht danach aus, als würde sich an dieser Konstellation etwas ändern.

Gleich beim zweiten Rennen in Saudi-Arabien gelang BMW ein Doppelerfolg mit dem Briten Alexander Sims auf Platz eins und Günther auf Platz zwei, der ihm jedoch nachträglich vom Motorsportweltverband Fia wegen eines unerlaubtes Überholmanövers während einer Safety-Car-Phase entzogen wurde. Im dritten Rennen in Chile folgte dann der Sieg. "Unglaublich, wie reif und abgezockt Maximilian in seinem erst dritten Formel-E-Rennen für unser Team gefahren ist", sagte BMW-Motorsportdirektor Jens Marquardt in Chile - schon vor dem Saisonstart meinte er: "Er macht einen echt guten Job. Ich glaube, er wird den einen oder anderen überraschen können."

In der Qualifikation schaffte Günther den Einzug in die Super Pole, wo die sechs schnellsten Piloten um die Pole Position kämpfen. Günther wurde Zweiter hinter Mitch Evans (Jaguar Racing). Im Rennen geriet er erst zurück, um dann nach etwa zur Halbzeit das Fahrerfeld anzuführen. Da Costa (DS Techeetah) startete als Zehnter und beendete seine Aufholjagd erst, als er vor Günther gelandet war. Aber so eine Jagd kostet Energie und, viel entscheidender, treibt die Temperatur der Batterie in die Höhe. 72,5 Grad Celsius - wenn dieser Wert überschritten wird, kann es heikel werden und der Rennwagen stehen bleiben. In der Formel E kommt es auf das Einsparen von Energie an, ohne im Zweikampf auf der Strecke zurückzustecken oder an Geschwindigkeit einzubüßen.

Da Costa konnte zwar weiterfahren, aber das entscheidende Überholmanöver von Günther abwehren konnte er nicht mehr. "Antonio ist durch seine Aufholjagd zu lange aggressiv gefahren. In Santiago war es ja eh schon so heiß", sagt Günther: "Ich habe die Batterietemperatur besser haushalten können. Unsere Strategie ging am Ende voll auf."

An diesem Tag wurde er zum Hauptprotagonisten jener Szenen, die er all die Jahre zuvor aus der Ferne beobachtet und für sich selbst erhofft hatte: emotionaler Boxenfunk, Glücksgefühle, Champagnerdusche, eine Umarmung mit seinem Vater, der seine Karriere von Anfang an begleitet und gemanagt hat, wenig Schlaf. Nicht in der Formel 1, wie es jahrelang Günthers Traum war. Er wollte in der Königsklasse des Motorsports mit so viel Geschichte und Mythos deutschen Fahrern wie den Weltmeistern Michael Schumacher, Sebastian Vettel oder Nico Rosberg nachfolgen. Günther ist dieser Schritt verwehrt geblieben. Aber sein grundsätzliches Ziel hat er erreicht, nur eben über eine andere Abzweigung.

Die auf Nachhaltigkeit und umweltfreundlichen, technologischen Fortschritt ausgerichtete Formel E ist aus seiner Sicht die höchste Formel-Serie, in die man es allein mit Talent schaffen kann - und in der er sich nun durchsetzen will. Für ihn ging es dort im Kreis ehemaliger Formel-1-Fahrer und früherer Piloten der Tourenwagenserie DTM zunächst darum, sich zu etablieren. Der nächste Schritt war ein Sieg auf einem der Stadtkurse. Und nun? "Natürlich möchte ich in den nächsten Jahren den Titel gewinnen", sagt Günther: "Aber an meiner Philosophie wird sich nichts ändern: Ich konzentriere mich voll und ganz auf mich selbst." Dann, schwingt mit, kommen die Punkte von ganz alleine. Maximilian Günther möchte weniger darüber reden, was er noch erreichen will, sondern sich auf seine dafür nötige Arbeit konzentrieren. Bisher hat sich dieser Weg schließlich für ihn bewährt.

© SZ vom 29.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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