Motorrad-Weltmeister Marc Márquez:Unbekümmertheit schlägt Erfahrung

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Im ersten Jahr prompt Weltmeister in der höchsten Kategorie: Marc Márquez. (Foto: Manuel Bruque/dpa)

Marc Márquez hat die Geschichte seiner Sportart umgeschrieben: Der unerschrockene Motorradfahrer aus Spanien stieg erst im vergangenen Winter in die höchste Kategorie auf - und wird sogleich Weltmeister. Der jüngste, den es je gab.

Von René Hofmann

Nicht nur junge Sportler erzählen im Moment eines großen Sieges oft ziemlichen Quatsch. Triumphe können überwältigen, Schleusen öffnen, alles durcheinander bringen. Es ist deshalb bemerkenswert, was Marc Márquez am Sonntag mit als erstes entfuhr, nachdem er in Valencia als bisher jüngster Weltmeister in der höchsten Klasse der Motorrad-WM feststand. Márquez meinte: "Es ist vielleicht ein Traum, der zu früh in Erfüllung geht."

Für einen 20-Jährigen, der sich gerade 40 Minuten lang mit aller Kraft am Gas- hebel festgehalten und die Geschichte seiner Sportart umgeschrieben hat und dafür von mehr als hunderttausend Fans einigermaßen frenetisch gefeiert wird, ist das ein recht abgeklärtes und reflektiertes Statement. Aber so ist Márquez eben: ein ziemlich unerschrockener Draufgänger, dem seine Entschlossenheit, sein Ehrgeiz, seine Nervenstärke und seine Fähigkeit, ein verdammt starkes Motorrad ungeheuer feinfühlig dirigieren zu können, auf den ersten Blick nicht anzusehen ist, weil der erste Eindruck stets ist - da steht bloß ein freundlicher, netter, unbedarfter Junge.

Die Motorrad-WM gibt es seit 1949. Seitdem hat sie schon so einiges erlebt. Aber eine Figur wie Marquez hat sie noch nie hervorgebracht. Der Junge aus Cervera in Katalonien stieg erst im vergangenen Winter in die höchste Kategorie auf. Márquez ist ein Rookie, und Anfänger fahren selten voraus. Seit 1949 hatte es genau einen gegeben, dem es geglückt war, als Rookie Weltmeister zu werden: 1978 war das der Amerikaner Kenny Roberts gewesen. Aber seine Geschichte ist mit der von Márquez nicht zu vergleichen.

"Baby Champ"

Roberts war schon 26, als er einstieg. Er war selbst schon ein großer Junge, als er es mit den anderen großen Jungs und ihren schweren Motorrädern aufnahm. Márquez dagegen wirkt wie ein "Baby Champ". Er weiß das selbst. Der Slogan stand - voller Ironie - auf dem T-Shirt, das Márquez sich im Ziel überstreifte, als er am großen Ziel war.

Sein Triumph kam nicht überraschend. Zwei Matchbälle hatte er schon vergeben, den ersten bei einem denkwürdigen Rennen vor drei Wochen auf Phillip Island in Australien. Weil die Rennstrecke dort neu asphaltiert worden war und der aufgetragene Belag die Reifen zu sehr beanspruchte, hatte es damals ein Novum gegeben: Die Fahrer wurden aufgefordert, zur Hälfte der Renndistanz das Motorrad zu wechseln. Márquez und seine Mannschaft verzählten sich. Der Titel-Favorit wechselte eine Runde zu spät und wurde disqualifiziert, was Jorge Lorenzo noch einmal herankommen ließ.

Lorenzo, den Vorjahres-Champion, der auch aus Spanien stammt und für Yamaha fährt. Noch nie ist es einem Spanier geglückt, den WM-Titel zu verteidigen. Márquez fährt für die zweite große japanische Motorrad-Marke Honda. Es braucht wenig Phantasie, sich auszumalen, wie aufgeladen das Duell zwischen den beiden schon war, bevor es auf die Zielgerade ging.

Lorenzo ist inzwischen 26. Er hat eine außergewöhnliche Saison erlebt. In Assen geriet er im Training auf der nassen Bahn ins Rutschen, stürzte, brach sich das Schlüsselbein. Umgehend ließ er sich nach Barcelona fliegen und operieren und kehrte mit einer Titanplatte im Körper zurück. 48 Stunden nach dem Crash wurde er Fünfter, was zeigt: auch seine Entschlossenheit und seinen Ehrgeiz sollte niemand unterschätzen. Beim Rennen darauf aber übertrieb Lorenzo es: Am Sachsenring landete er erneut auf der lädierten Schulter. Bei dem Sturz wurde nicht nur die eingesetzte Titanplatte verbogen - Lorenzo geriet aus der Erfolgsspur. In dieser Phase zog Márquez entscheidend davon, ihm glückten vier Siege in Serie.

Der Jüngere erlebte keineswegs ein perfektes Jahr. Auch er stürzte. Oft sogar. Aber wenn Márquez vom Motorrad fällt, dann geht es ihm noch so, wie es Lorenzo früher auch oft erging: Er steht meist einfach auf und klettert zurück auf sein Gefährt. Die Unbekümmertheit schlägt beim Um-die-Wette-fahren mit dem Motorrad die Erfahrung mitunter um Längen.

Eine letzte Chance

13 Punkte Vorsprung, womit Márquez schon der vierte Platz zum Titel reichte - so lautete die Ausgangslage vor dem Finale in Valencia, nachdem die beiden sich zuvor in 17 Rennen auf vier Kontinenten über mehr als 1500 Kilometer gejagt hatten. Das letzte Mal, das die WM-Entscheidung im letzten Rennen fiel, war 2006 gewesen; damals hatte Nicky Hayden auf seiner Honda Seriensieger Valentino Rossi (Yamaha) niedergerungen.

Lorenzo kämpfte hart um seine letzte Chance. Er hatte das schnellste Motorrad, doch das nutzte ihm wenig. Er musste auf einen Patzer von Márquez hoffen. Um ihn in einen solchen zu treiben, tat Lorenzo viel: 13 Runden lang bremste er die Spitzengruppe so gut es ging ein, um das Feld zusammenzuhalten. Im Getümmel, so seine Kalkulation, könnte der Rivale vielleicht stürzen. Nach 13 war klar: Mit dem Trick war Márquez nicht beizukommen. Das Greenhorn saß souverän im Sattel.

Daraufhin spielte Lorenzo seine gute Tagesform aus und brauste zu einem ungefährdeten Sieg davon, den zweiten Platz schenkte Márquez seinem Honda-Kollegen Dani Pedrosa. Als Dritter wurde er abgewunken - und anschließend als Weltmeister gefeiert. "Was hätte ich mehr machen können?", wollte Jorge Lorenzo im Ziel wissen. Die Frage nimmt er mit ins nächste Jahr.

© SZ vom 11.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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