Motorrad-Weltmeister Casey Stoner:Vermächtnis eines Göttlichen

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Einst despektierlich "Rolling Stoner" genannt wegen seiner vielen Unfälle, heute der wohl beste Motorradfahrer der Welt: Mit 27 Jahren beendet der zweimalige Weltmeister Casey Stoner seine Karriere. Weil sich sein Sport so sehr veränderte, dass er ihn nicht mehr erträgt.

Philipp Schneider

Am Ende haben sie eine Kurve nach ihm benannt, sie trägt jetzt den Namen des Mannes aus Kurri Kurri, und wenn man so will, ist das eine beachtliche Wendung, denn früher war es einmal andersherum, da hatten sie den Mann aus Kurri Kurri nach einer Kurve benannt. Es war sogar so, dass die Lästerer Casey Stoner nur auf ein Element der Kurve reduzierten, jenes Kiesbett nämlich, das er einst in regelmäßiger Frequenz durchpflügte und wenn immer seine Reifen mal wieder das Granulat in die Lüfte wirbelten, dass es Steine vom Himmel regnete, dann nannten sie ihn "Rolling Stoner".

Auch weil er sein Motorrad mehr schob als fuhr. Und ein bisschen witzig war das schon. Nur Stoner hat nie darüber gelacht, was aus Sicht der Lästerer wiederum daran liegt, dass Stoner später zwar den tiefen Kurvenritt in Perfektion erfand, doch niemals den Humor entdeckte.

Aber nun: Kurve drei. Die Rennstrecke in seiner Heimat auf dem australischen Eiland Phillip Island hat fortan eine "Stoner-Corner". Er durfte sich einen Abschnitt erwählen und Stoner, klar, er entschied sich für jene Linkssause, in der er selbst den Geschwindigkeitsrekord hält. 262 km/h. Da muss man "echt Eier" haben, sagte er bei der Taufzeremonie, um die Wahl irgendwie zu begründen; und selbst sein italienischer Kollege Valentino Rossi sah das ähnlich, als er meinte, Stoner fahre in Australien und der Stoner-Corner "wie Gott".

Doch Stoner, 27 und zweimaliger Weltmeister, er hört nun auf. Rossi hingegen, 33 und neunmaliger Weltmeister, er knattert fröhlich weiter. Gott hat genug, Rossi nicht.

Wenn Sportler ihre Karriere beenden, dann geschieht das für die Menschen, die sie verehren (oder einst verehrten), entweder zu früh, oder es war überfällig. Auch weil sich der Fehler sehr viel einfacher finden lässt als das Lob. Matthäus, Neuner, Schumacher, egal ob Toni oder Michael: Niemand klatschte, als sie schieden. Bei Casey Stoner ist der Zeitpunkt eigentlich so gut wie ideal. Nur applaudiert nun doch wieder niemand, weil Stoner mit seinem Abschied die Grundfesten des Motorradzirkus' abzureißen droht.

"Nach so vielen Jahren in diesem Sport, nach so vielen Jahren des Versuchs, dorthin zu kommen, wo wir jetzt sind", erklärte Stoner im Mai, "hat sich der Sport so verändert, dass ich ihn nicht mehr genießen kann." Ja, er habe "keine Leidenschaft mehr", sagte Stoner. In seinen fast depressiven Worten schwang mehr mit als in den üblichen Begründungen, die Sportler sonst liefern (Familie, Knie, Nachwuchs, Alter, Rücken, Karriereplanung), seine Fundamentalkritik überlagerte die ganze Saison. Jeder Fahrer musste sie kommentieren. Sie ist Stoners Vermächtnis.

Der Honda-Pilot war in die Saison, die am Sonntag mit dem Rennen in Valencia enden wird, als Weltmeister gestartet. Danach hat er sich auf der Strecke fast nur noch gelangweilt. Denn 2012 kamen erstmals die sogenannten Claiming Rule Teams (CRT) zum Einsatz, um das Fahrerfeld aufzufüllen. Ohne sie hätte es nach dem Ausstieg von Suzuki nur noch zwölf Prototypen-Maschinen von Honda, Ducati und Yamaha in der Startaufstellung gegeben. Die CRT setzen zwar auf getunte, seriennahe Motoren, die sie in Prototypen-Chassis verstecken. Doch da ihre Elektronik-Systeme bei weitem nicht so gut entwickelt sind wie die der großen Hersteller, tuckerten sie den zwölf echten Motorrädern seither hinterher.

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Und sie standen Stoner mehrfach im Weg, weswegen er darin, nicht ganz zu Unrecht, auch ein Sicherheitsrisiko erkannte. Zuletzt beklagte sich Stoner auch über die verbaute Standard-Elektronik, die Drehzahlbegrenzer, die Reifen und überhaupt alles Mögliche. Im Prinzip aber sehnte er sich schlicht nach den Zeiten, als noch Chancengleichheit herrschte.

Als der Weltmeister am Ende der Saison noch von sich behaupten konnte, dass er auch der beste Fahrer sei. Und der ist Stoner wohl noch immer. Hätte er sich nicht in Indianapolis schwer verletzt und drei Rennen pausiert, er hätte seine Karriere wohl mit dem dritten Titel beendet. Und wenn ein Weltmeister abtritt, nur weil er das Reglement blödsinnig findet, dann läuft irgendetwas schief in einem Sport.

Als sich zuletzt noch Valentino Rossi beklagte, weil auch ihm aufgefallen war, dass diese Saison in Langweile vor sich hin waberte, da hielt es Stoner nicht mehr aus: "Er war es doch, der dabei geholfen hat, dass sich die elektronische Seite weiterentwickelt hat", erwiderte er und vergaß auch nicht eine kleine Gemeinheit: "Natürlich ist es für Valentino langweilig. Er ist nicht vorne und kämpft um Siege". Das war fast witzig, zumal ihn Stoner damit auch erinnerte, dass es Rossi niemals schaffte, auf der schier unbezähmbaren Ducati Desmosedici Weltmeister zu werden. Nur der Mann, der einst ins Kiesbett fuhr, weil er noch wilder war als das italienische Motorrad, ihm war das 2007 gelungen.

Sein Sport müsste "deutliche Veränderungen erfahren", ehe er an ein Comeback denken würde, sagt Casey Stoner. Also wird er am Sonntag in Valencia wohl letztmals seine Runden drehen. Doch mit etwas Glück fährt er noch einmal ein kleines bisschen wie Gott.

© SZ vom 09.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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