Bogen-EM:Aus Spaß wird Ernst

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"Davon träumt man manchmal": Michelle Kroppen gewinnt bei der EM in Garching und München drei Medaillen. (Foto: Sven Beyrich/Sports Press Photo/Imago)

Als erste Schützin in allen Disziplinen im Finale: Michelle Kroppen schafft bei der Bogen-EM auf der Theresienwiese Außergewöhnliches - und ist doch nicht ganz zufrieden.

Von Benjamin Zügner

Als Michelle Kroppen um 15.24 Uhr auf dem Siegerpodest stand, konnte sie wieder strahlen. Sie hatte gerade ihre dritte EM-Medaille des Tages umgehängt bekommen, in Silber, und da wichen die Tränen, die hinter den Kulissen wegen des verpassten Golds geflossen waren. Kroppen, 26, hatte ja Besonderes geleistet: Noch nie zuvor war eine Bogenschützin in allen Disziplinen im Finale gestanden, sowohl im Mixed, im Team und eben nun im Einzelbewerb. Nur konnte sich Kroppen, Schützin der Hallenbundesliga-Mannschaft der BSG Ebersberg, unter dem Jubel der 1250 Fans am Sonntag noch nicht so ganz damit anfreunden, nur eines der drei Finals gewonnen zu haben. Anders erging es dem Bundestrainer. Schon vor Beginn der Finals schwelgte Oliver Haidn sichtlich berührt: "Davon träumt man manchmal."

Sein Arbeits-Sonntag begann bereits in der Früh mit der "Banana-Crew", wie sich das Frauenteam um Kroppen, Charline Schwarz, 21, und Katharina Bauer, 26, nennt. Sie tragen Schlüsselanhänger in Form der Tropenfrüchte am Brustschutz, als Glücksbringer. Katharina Bauer bemühte sich zwar noch redlich in Zurückhaltung - "i glab, es is koana bes, wenns ned hihaun soid", meinte die Raublingerin -, und doch sollte der außergewöhnliche Talisman helfen.

Der Teamsieg gegen die Türkei gelingt erst im Shoot-off, "knapper als erhofft"

Im Schießen um Gold schlug das Frauenteam die türkische Auswahl 6:4, "absolut verdient", wie Marc Dellenbach, der die Deutschen als Co-Trainer an die Abschusslinie begleitete, feststellte. Damit war er nicht im Unrecht: Sie sind die besten Europäerinnen in der Weltrangliste, hatten sich ohne Passenverlust durch die Ausscheidungsrunden geschossen. Die Entscheidung in Finale fiel jedoch erst im Shoot-off, bei dem jeder Teilnehmerin nur ein Pfeil übrig blieb. Es war "knapper als erhofft", sagte Dellenbach, es bedurfte für den Goldauftakt auch seiner Anfeuerung - mit Unterstützung einer übergroßen Plüschbanane.

Während in Charline Schwarz die erste deutsche Recurve-Schützin ihr Tagwerk beendet hatte, durften Bauer und Kroppen auf der Theresienwiese verweilen, sie hatten noch Medaillen im Visier. Kroppens zweiter Auftritt folgte sogleich mit Unterstützung ihres Mixed-Partners Florian Unruh, und vor den Augen seiner Frau Lisa Unruh. Die hatte als erste deutsche Bogenschützin eine Einzelmedaille bei Olympischen Spielen geholt, Silber 2016 in Rio de Janeiro, nun pausiert sie aus privaten Gründen. Aber sie wollte ihrem Mann zugucken, der sich mit Kroppen an der Spitzenposition qualifizierte. Im Finale wartete nun das niederländische Duo Rick van der Ven/Gaby Schloesser.

Schloesser hatte sich bereits am Compound-Finaltag über eine Goldmedaille ihres Mannes Mike gefreut, nun unterbrach die gebürtige Mexikanerin selbst die deutschen Jubelarien in München. In einem hochklassigen, weil äußerst präzisen Mixed-Finale hieß der Endstand 5:3, und zum ersten Mal stand Kroppen nicht auf der obersten Stufe des Podestes.

Kroppen ist Teil der Spitzensportförderung und kann sich ihrem Sport vollumfänglich hingeben

Kroppen ist Teil der Spitzensportförderung, als eine der wenigen deutschen Bogenschützinnen kann sie sich ihrem Sport vollumfänglich hingeben. Zuvor schloss sie in diesem Winter aber die Ausbildung bei der Bundespolizei ab, "zwischen September und Ende Februar konnte gar kein regelmäßiges Training stattfinden", blickte Bundestrainer Haidn zurück. Auch in der internen Ausscheidung im Frühjahr hatte sie noch kämpfen müssen, die Teilnahme an der "EM dahoam" war in Gefahr.

Kroppen selbst war also "froh, überhaupt hier zu sein", wie sie die EM-Woche Revue passieren ließ - angefangen mit der Qualifikation am Dienstag, in der sie persönliche Bestleistung schoss. Weiter bestand sie am Donnerstag auch in strömendem Regen auf der Olympia-Schießanlage, die sich in eine Schlammgrube wandelte. Die Zuschauer waren da noch recht spärlich nach Garching gekommen, am Wochenende aber füllten sich die Plätze auf der Theresienwiese rasch. Unter wolkenlosem Himmel und bei brütender Hitze ließ sich selbst Mats Hummels blicken.

Am Nachmittag war Kroppen dann noch eine dritte Darbietung vergönnt: das Einzelfinale, in dem sie nach eigenen Angaben nur "Spaß haben" wollte. Doch so kompetitiv sie das Mixed-Finale analysierte, so sehr wollte sie die zweite Goldmedaille holen - aus Spaß wurde Ernst. In der dritten Passe aber verlor sie die Konzentration, sie musste sich der Türkin Gulnaz Coskun letztlich 2:6 geschlagen geben.

Bei einer Goldmedaille und zwei silbernen dürfte dennoch ordentlich gefeiert werden, oder? "Ich mache mich später erst einmal mit meiner Mama acht Stunden auf den Heimweg", verabschiedete sich Michelle Kroppen. "Morgen wird dann gegrillt." Und bestimmt nicht mehr geweint.

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