Manuel Neuer:Den Kopf oben

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Am Ende einer weiteren schmerzhaften Saison, in der er zum Sinnbild der Krise beim FC Bayern wurde, meldet sich Manuel Neuer auf den Punkt zurück. Und zeigt ein Spiel wie in jungen Tagen.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Niko Kovac legte Manuel Neuer den Arm auf den Rücken, als der Rest der Mannschaft schon Richtung Medaillen marschierte. Neuer zupfte sich die Stutzen zurecht, Kovac streichelte seinen Torwart mit Stolz im Gesicht. Das Protokoll beim DFB-Pokal sieht das ja vor, dass Kapitän und Trainer gesondert aufgerufen und zur Ehrung gebeten werden; es war ein besonderes Bild, wie sie in inniger Vertrautheit auf ihren großen Moment warteten: Ausgerechnet Kovac und Neuer, die in dieser Saison schon gemeinsam gelitten hatten, standen nun im Scheinwerferlicht als Protagonisten eines versöhnlichen Abschlusses.

So ist das manchmal in einer langen Saison: Wenn am Ende der Goldflitter vom Dach des Olympiastadions segelt und du Gesprächsthema Nummer eins bist, wirken die Blessuren der vergangenen Monate nur noch als verblasste blaue Flecken. "Besser hätte man das Drehbuch nicht schreiben können", sagte Neuer am ARD-Mikrofon, und auch wenn er das nur auf sein rechtzeitiges Fitwerden zu diesem Pokalfinale bezog, galt das vor allem für seine Leistung auf dem Rasen. Beim 3:0 gegen RB Leipzig war dem 33-Jährigen ein Spiel gelungen, nach dem Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge ihn als "Giganten" bezeichnete, und Thomas Müller sagte: "Er hat diese Saison ziemlich leiden müssen, nicht nur körperlich, er hat auch so viel aufs Dach bekommen. Er hat es allen wieder gezeigt, dass er da ist, wenn es brennt." Und tatsächlich: Dieses Finale war die Wiederauferstehung des Manuel Neuer.

Ohne Neuer "wäre das Spiel nicht so ausgegangen", glaubt Leipzigs Angreifer Yussuf Poulsen

Er lugte schon einmal um die Ecke in der Stadionausfahrt der Arena, als gerade noch Mats Hummels seine Lobeshymnen in die Reporter-Mikrofone sprach. Ein "super Typ" und "super Kapitän" sei Manuel Neuer, "mehr kann man sich nicht wünschen", sagte also Hummels und fasste den Spielverlauf auf ihn zugeschnitten zusammen: "Leipzig hatte Chancen zur Führung, wo Manu einmal überragend hält. Und dann eine gute Chance zum Ausgleich, wo Manu wieder überragend hält." Nach elf Minuten hatte Yussuf Poulsen einen Kopfball aus wenigen Metern aufs Tor befördert, Neuer parierte geistesgegenwärtig mit der rechten Hand. Kurz nach der Pause ließ er den auf sich zustürmenden Emil Forsberg entsetzt zurück, im direkten Duell wehrte Neuer den Ball mit Hand und Fuß ab. "Wenn er nicht so einen Tag gehabt hätte wie heute, wäre das Spiel wohl auch nicht so ausgegangen", sagte später auch RB-Angreifer Poulsen.

Das Repertoire eines Großen: Manuel Neuer zeigt einen phänomenalen Reflex beim Kopfball von Yussuf Poulsen (Nr. 9). (Foto: Jon MacDougall/AFP)

Dabei hatten einige schon gemunkelt, ob das wirklich so ratsam sei, den Keeper ausgerechnet im Pokalfinale wieder ins Spiel zu bringen: 41 Tage hatte er wegen einer Wadenverletzung pausieren müssen. "Die Mannschaft vertraut mir, der Trainer vertraut mir. Ich war vom Kopf her bereit", sagte Neuer, als er frisch geduscht im Anzug fürs Bankett bereitstand. Außerdem wollte er noch etwas nachholen aus der vergangenen Pokalsaison. "Es war bitter im letzten Jahr, dass ich ausfallen musste für das Pokal-Endspiel", sagte er, "ich mag den Wettbewerb und war hoch motiviert."

Der Fußball kann ungerecht sein, und gemeinhin erwischt diese Erkenntnis Torhüter und Trainer am ehesten. Es sind zwei Posten mit Verantwortung, und die holt einen eben wieder ein, wenn es mal nicht so läuft. Bei Neuer war das im Herbst der Fall, als man es als Nationalspieler nach der vergeigten WM ohnehin nicht leicht hatte. Am fünften Bundesliga-Spieltag segelte Neuer gegen Augsburg an einem Eckball vorbei und ermöglichte so erst das 1:1, es war der erste Punktverlust der Münchner und Auftakt einer ernsthaften Krise. Drei Wochen später unterlief Neuer ein ähnlicher Fehler im DFB-Trikot beim 0:3 gegen die Niederlande; im Hinrunden-Spiel gegen Dortmund verschuldete er ungestüm einen Elfmeter gegen Marco Reus. Bayern verlor 2:3. Der lange Unfehlbare wurde plötzlich zum Verwundeten, stand in seiner Doppelfunktion gleichsam für einen angreifbaren FC Bayern und eine angeschlagene Nationalmannschaft. Seine Gabe, die unhaltbaren Bälle halten zu können, machte ihn berühmt, nun musste er sich auch daran messen lassen. "Bei uns war es jetzt auch sehr kritisch in den letzten Wochen. Man konnte nie durchatmen", sagte Neuer im Spätherbst. Die Krise beschäftigte ihn.

Auch in dieser Saison hatte sein Körper gestreikt: zuerst ein Daumen, zuletzt die Wade

Hinzu kamen die Probleme mit dem Körper: Eine Daumenverletzung setzte ihn außer Gefecht, zuletzt waren es die Wadenprobleme. "Das bringt immer etwas Negatives mit sich, wenn man ausfällt", sagte Neuer nun, der sich mit seinem 33-jährigen Körper im Nationalteam des sechs Jahre jüngeren Marc-André ter Stegen erwehren muss. In der Vorsaison war Neuer wegen eines Mittelfußbruchs acht Monate lang ausgefallen, hatte es nur knapp zur WM geschafft. Doch wer sich mit Verletzungen so auskennt wie Neuer, der weiß auch, wie Regeneration funktioniert. Und dass es wichtig ist, den Kopf oben zu behalten. "Ich habe auf gar keinen Fall eine schlechte Saison gespielt, ich habe eine gute Saison gespielt und eine gute Halbserie jetzt", sagte Neuer in Berlin. Als Kapitän durfte er als Erster den Pokal stemmen, und selten war dieser Teil des Protokolls so gerechtfertigt wie an diesem Abend.

Manuel Neuer brilliert in einer klassischen Eins-gegen-eins-Situation gegen Emil Forsberg. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

"Ich mache nicht irgendwelche Kampfansagen oder sage gegen irgendwelche Kritiker was, das war noch nie meine Art", sagte Neuer noch. Es ist tatsächlich eine Eigenschaft, die er mit Niko Kovac teilt. Wo andere Münchner schon mal zu Süffisanz neigen und sich nicht ungern in Genugtuung suhlen, lassen die beiden ihre Taten für sich stehen. Als im November Nachfolge-Kandidaten für Kovac diskutiert wurden, verteidigte Neuer den Trainer als einer der wenigen Spieler. "Wenn wir das umgesetzt hätten, was der Trainer gesagt hat, hätten wir 5:0 gewonnen", sagte der Torhüter nach dem 3:3 gegen Düsseldorf. Er gratuliere Manuel Neuer "von Herzen", betonte Kovac nun auf der Pressekonferenz nach dem Double. Und im Fußball ist es dann manchmal wie im echten Leben: Wer schwierige Phasen gemeinsam durchsteht, kann sich am Ende wirklich näherkommen.

© SZ vom 27.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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