Mainz 05 / Schalke 04:Retro-Therapie

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Von Philipp Selldorf

Er habe bei Mainz 05 einen Abschied erleben dürfen, den er nie vergessen werde - "aber die Betonung liegt auf Abschied, und dabei wird es bleiben". Dies hat Christian Heidel vor knapp zwei Jahren gesagt, als er in Gelsenkirchen längst nicht mehr unumstritten war und in seiner Heimatstadt längst wieder vermisst wurde. Heidel hat das damals ganz und gar ernst gemeint. Ihm war zwar klar, dass er wegen der fortgeschrittenen Beziehungsprobleme nicht mehr lange Sportvorstand des FC Schalke 04 bleiben würde, doch eine Rückkehr zum FSV 05 hat er deswegen nicht in Betracht gezogen. Vernunft und Verstand rieten ihm dringend davon ab.

Kein Sportmedium auf der Welt wird ihn jetzt im Querformat als Umfaller abbilden, weil er auf Drängen des Vereins seine Überzeugung aufgegeben hat. Mainz 05 hat lange genug um ihn geworben. Je prekärer die sportliche und innerbetriebliche Lage wurde, umso mehr drängte man den Manager aus erfolgreichen Mainzer Tagen in die Verantwortung. Aus dem zunächst vorgesehenen externen Ratgeber Heidel ist somit der hauptamtliche Vorstand Sport, Strategie und Kommunikation mit Vertrag bis Ende 2022 geworden. Dies hat in der Stadt offenbar euphorische Reaktionen ausgelöst - und Heidel zu dem Hinweis genötigt, dass er nicht der Messias sei.

Der dramaturgische Reiz seines Comebacks besteht aus einem Gegensatz: Während er beim Tabellenvorletzten Mainz als Erlöser von der nach seinem Fortgang 2016 eingetretenen Krise begrüßt wird, lastet man ihm beim Tabellenletzten Schalke, dem er bis Februar 2019 diente, nicht nur den sportlichen Niedergang des Vereins an, sondern auch einen wesentlichen Teil der Schulden, die den Klub im Corona-Sommer handlungsunfähig machten. Somit läuft Heidel Gefahr, in ein paar Monaten an zwei Orten zugleich für das größte anzunehmende Unglück eines Bundesligaklubs und jede Menge Enttäuschungen herangezogen zu werden. Zweifellos wäre es für ihn wesentlich komfortabler gewesen, den Saisonausgang von seinem Wohnsitz auf Mallorca aus der Ferne zu verfolgen.

Sozusagen mit Gewalt versuchen die Mainzer durch Heidels Heimführung und die Rückgewinnung des populären Ex-Trainers Martin Schmidt jene seligen Zeiten wiederherzustellen, in denen der Klub eine Vorzeigeadresse der Liga war: Wirtschaftlich gesund, sportlich sorgenfrei, smart geführt, und dank der Trainer Klopp und Tuchel eine Quelle der Innovation. Von finanzieller Stabilität kann aktuell in Mainz genauso wenig die Rede sein wie in Gelsenkirchen, was an beiden Orten die Möglichkeiten einengt, die Weihnachtspause zum Aufrüsten gegen die sportliche Not zu nutzen.

Dem Mainzer Retro-Revirement mit Heidel und Schmidt (und demnächst womöglich dem Ex-Spieler Bo Svensson als Trainer) setzt Schalke eine alternative Form der Rückbesinnung entgegen: Der neue Trainer Christian Gross tritt als artverwandte Variante an die Stelle der Vereinslegende Huub Stevens. Zwar stellt der 66 Jahre alte Schweizer ebenso wie sein 67 Jahre alter niederländischer Kollege ein unverwechselbares Original dar, aber er ist offensichtlich ein Angehöriger der gleichen Gattung und Generation. Das Versprechen, das in der Respektsperson Gross steckt, hätte auch Stevens geboten, wenn er dem Beruf nicht längst entsagt hätte.

Da erst 13 Spieltage der Saison absolviert sind, bleibt noch Raum für dynamische Entwicklungen im Abstiegskampf. Mainzer wie Schalker haben sich dafür plausibel und kostengünstig organisiert, die Spielerkader bleiben allerdings die gleichen, die bisher lediglich vier respektive fünf Punkte gesammelt haben.

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