Linksaußen:Gefrorene Himmelsboten

Lesezeit: 3 min

Vorsicht vor Niederschlag: Grüne Leguane in Florida. (Foto: Teister/imago)

Wenn die Temperaturen unter null fallen, stürzen auch die Tiere zu Boden. Investoren für Fußballklubs regnet es dagegen eher selten vom Firmament. Nicht einmal bei Türkgücü.

Von Andreas Liebmann

Filomena war eine christliche Jungfrau, die im Jahre 302 unter Kaiser Diokletian (soll heißen: unter dessen Regentschaft) in Rom enthauptet wurde. Bis dahin schrieb sie sich mit Ph, weigerte sich aber der Überlieferung zufolge, den Kaiser zu heiraten, weshalb er sie erschießen, im Tiber versenken und letztlich erfolgreich töten ließ (Pfeile und Wasser hatte sie überlebt). Übrigens tut das alles überhaupt nichts zur Sache: In Spanien wurden minus 35,8 Grad Celsius gemessen, im Schatten, auf dem Thermometer und in der Provinz León, darum soll es hier gehen.

Philomena arbeitet seit ihrem grausamen Dahinscheiden ehrenamtlich als Patronin der Kinder und Kleinkinder, weshalb man sie vermutlich anrufen darf, wenn man Probleme mit Betreuung oder Homeschooling hat. Papst Pius IX. soll sie einst von Krämpfen geheilt haben. Und obwohl sie ferner für werdende Mütter, Gefolterte und Gefangene zuständig ist, hatte sie sogar noch Zeit, ihren Namen (mit F) jenem Tief zur Verfügung zu stellen, das in Spanien gerade diese Rekordkälte verursacht. Soweit zur Einleitung...

Die Sorgen der Fußballvereine sind nicht weniger geworden, aber die Zufriedenheit mit ihrem Verband ist gestiegen

Dass nun ausgerechnet in Spanien Iglus gebaut werden und Langläufer durch Madrids Straßen staksen, sollte man Filomena nachsehen: Kopflose Patroninnen neigen zu Orientierungsschwäche. Andernorts käme man damit sicher besser klar, weiße Flocken im Winter soll es ja geben. In Rom fielen Silvester Hunderte Vögel tot vom Himmel, das war doch gruseliger. Unzählige Stare, die in der ewigen Stadt Schlafgemeinschaften auf Bäumen gebildet hatten und von der Ballerei sprichwörtlich zu Tode erschreckt wurden, lagen rund um den Hauptbahnhof herum.

Und was sollen sie erst in Florida sagen? Kurz vor Weihnachten warnte dort der Wetterdienst mal wieder vor Leguanen, die von Bäumen plumpsen. Kein Witz: Sobald die Temperaturen unter vier Grad fallen, tun dies auch die wechselwarmen Reptilien: erst in die Kältestarre, dann von den Schlafbäumen. Spaziergänger müssen aufpassen, nicht erschlagen zu werden, weil grüne Leguane bis zu zwei Meter lang sind; die Echsen indes müssen hoffen, dass kein hungriger Passant kommt, während sie schockgefrostet am Boden liegen - die "grünen Hähnchen" gelten manchen als Delikatesse.

Und was stürzt hierzulande so zu Boden? Bisher nichts. Vor Monaten ging der Bayerische Fußball-Verband schwer davon aus, dass es zahlreiche seiner Klubs sein könnten, wegen der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Filomena kann sich nicht auch noch darum kümmern. Eine aktuelle Umfrage des Verbands ergab nun aber, dass zwar 17,2 Prozent der Vereinsfunktionäre weiterhin Existenzsorgen haben, etwas mehr sogar als im Frühjahr, dass aber von ihnen nur noch halb so viele ihren Klub als stark gefährdet ansehen. Die Zustimmung zum Kurs des BFV ist derweil auf knapp 120 Prozent gestiegen. Großzügig aufgerundet.

In Türkgücüs Geschäftsstelle stapelten sich Auflösungsverträge wie Stare in Roms Silvesternacht

Und nein, auch Türkgücü wird diesen Winter nicht abstürzen. Die Rücktrittsankündigung des Investors Hasan Kivran kurz vor Weihnachten hat ihn ähnlich kalt erwischt wie einen Leguan, der als Gefriergut von der Palme kracht. Es war ja auch Pech: Spöttern, die auf seinen bisherigen Zuschauerschnitt verwiesen, hätte der Verein allzu gerne mal ein volles Grünwalder oder gar Olympiastadion entgegengehalten, seine Facebook-Seite hat ja mehr als 22 000 Likes. Wegen des Zuschauerverbots bleibt die Zahl des potentiellen Türkgücü-Publikums allerdings hypothetisch, und die Einnahmen fehlen.

Zum Start ins neue Jahr, weiter ohne Zuschauer, verfiel der Drittligist auf die Idee, Supporter- (5 Euro), Premium-Supporter- (15 Euro) und VIP-Supporter-Tickets (50 Euro) an seine Fans zu verkaufen, um Unterstützung einzusammeln. Mehr als 7500 Tickets wurden verkauft. Dass der Plan, auch gleich die Gäste von Dynamo Dresden zu Ticketkäufen zu animieren, weniger glorreich war, ließ sich absehen und Verzweiflung erahnen. Und der Kader wurde verkleinert. In der Geschäftsstelle stapelten sich Auflösungsverträge wie Stare in Roms Silvesternacht. Doch nun bleibt Kivran ja doch. Davon, dass ein neuer, ähnlich finanzstarker Investor vom Himmel fallen könnte, war eh niemand ausgegangen. Da stürzt an der Heinrich-Wieland-Straße eher ein weiß-blauer Leguan mit Türkgücü-Schal vom Baum. Falls das noch geschehen sollte: Könnte lecker sein!

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: