Leverkusen:Sie waren mal Diven

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Überflieger: Leon Bailey (links) ist in Topform – und damit am Samstag zu gut für Hoffenheim. (Foto: Jan Huebner/imago)

Leverkusen beweist beim 4:1 in Hoffenheim erneut die Nachhaltigkeit des Aufschwungs unter Trainer Herrlich - und legt die Schwächen der TSG offen.

Von Tobias Schächter, Sinsheim

Der damalige Manager Ernst Tanner lotste 2011 den sehr jungen Julian Nagelsmann als Co-Trainer der U 17 zur TSG Hoffenheim. Nicht jeder im Nachwuchsleistungszentrum der TSG hieß den forschen Neuankömmling wegen dessen besonderer Verbindung zu Tanner willkommen, die beiden kannten sich aus gemeinsamen Zeiten bei 1860 München. Xaver Zembrod, Nagelsmanns damaliger Cheftrainer bei der U 17, fand aber auf Anhieb, dass dieser Nagelsmann ein Supertyp sei, dem er blind vertrauen konnte, weil er schon damals unheimlich viel vom Trainerdasein und dem Fußball wusste. So erzählte es Zembrod jedenfalls vor dem Wiedersehen der beiden am Samstag in der Bundesliga. Zembrod, mittlerweile 51, ist jetzt Assistenztrainer von Heiko Herrlich bei Bayer Leverkusen und Nagelsmann, 30, Chefcoach in Hoffenheim. Nagelsmanns TSG unterlag Bayer mit 1:4.

Zembrod hatte vor dem Anpfiff vermutet, das Ergebnis hänge am Ende davon ab, welche Elf die taktischen Vorgaben des jeweiligen Trainers besser umsetze. Aus Leverkusener Sicht ist der Plan aufgegangen. Heiko Herrlich erklärte: "Hoffenheim ist im Zentrum unheimlich stark. Wir wussten aber, wir bekommen irgendwann auf den Flügeln Platz, um durchzukommen." So kam es: Gegner ausgeguckt und kalt erwischt, Plan umgesetzt. Das ist die eine Wahrheit dieses Ergebnisses, die den Blick gleichsam auf die Stärke Leverkusens und die Schwäche Hoffenheims lenkte.

Viel ist darüber diskutiert worden, ob die TSG in Sebastian Rudy auf der Sechserposition im Vergleich zur erfolgreichen vergangenen Saison (Platz 4) den wichtigsten Spieler an den FC Bayern verloren hat. Doch es zeigt sich immer mehr, dass Innenverteidiger Niklas Süle, den es ebenfalls nach München zog, eine noch größere Lücke hinterlassen hat als Rudy. Auf der rechten Verteidigerposition in der Dreierabwehr fehlt der TSG Süles Schnelligkeit und Wucht, um jene Räume zu schließen, die durch die offensive Spielweise der Außenverteidiger in der 3-5-2-Grundordnung entstehen. Dem als Süle-Ersatz eingeplanten Havard Nordtveit, für sieben Millionen Euro von West Ham United verpflichtet, fehlt dazu ebenso das Tempo wie etwa Ermin Bicakcic. Der Bosnier war gegen Leverkusens Tempodribbler Leon Bailey so überfordert wie Nordtveit bei der 2:4-Pleite in der Champions-League-Qualifikation im August in Liverpool gegen Sadio Mané.

Das Team in der Vorsaison war ausgebrannt, "es gab Grüppchen, wie das so ist, wenn es nicht läuft"

Die TSG macht zudem in dieser Saison aus ihren vielen Chancen zu wenig Tore, auch deshalb stehen nur zwei Siege in den letzten zehn Pflichtspielen in der Statistik. Erst verhinderte gegen Leverkusen die Latte (26.) die 1:0-Führung, dann der Pfosten (46.) den möglichen 1:1-Ausgleich. "Der Spielstand von 0:2 war zu diesem Zeitpunkt nicht gerechtfertigt", sagte Nagelsmann genervt. Am Ende fiel der Sieg der Leverkusener vielleicht zu hoch aus, aber die Herrlich-Elf war eben doch konzentrierter im Abschluss - und individuell besser.

Durch den Wegfall der Zusatzbelastung nach dem vorzeitigen Aus in Europa-League und DFB-Pokal erhoffen sich die Hoffenheimer neue Energie in der Liga-Rückrunde. Trainer Nagelsmann muss nun beweisen, dass er seine Spieler wieder in Bestform bringen kann. Und vielleicht belasten ja die Debatten um sichere und mögliche Weggänge den einen oder anderen Spieler doch mehr als zugegeben.

In Leverkusen hingegen spielt so mancher Profi, der zu Saisonbeginn noch seine Form suchte, inzwischen auf Topniveau - allen voran Leon Bailey. Der Jamaikaner, 20, hat die Technik eines Brasilianers und könnte wohl auch in der 100-Meter-Sprintstaffel seines Heimatlandes mitrennen. Mit dem Rücken zum Tor stehend, traf er aus acht Metern mit der Hacke zur Führung, er initiierte auch das 2:0 von Julian Baumgartlinger durch ein elegantes Dribbling und bereitete das 3:0 durch Lucas Alario mit schönem Pass vor. "Leon gelingt zurzeit alles", schwärmt Trainer Herrlich.

Auffällig ist auch, dass der junge Profi, der im vergangenen Winter aus Genk nach Leverkusen kam, inzwischen nicht nur versichert, ein Teamspieler zu sein ("Ich arbeite viel, ich höre zu und ich will besser werden"), sondern auf dem Platz tatsächlich keinerlei Divenhaftigkeit zeigt.

Der Aufschwung der Leverkusener hat nach einer vermaledeiten vergangenen Saison viele Gründe. Co-Trainer Zembrod erinnert sich: Als er in der letzten Rückrunde mit Chefcoach Tayfun Korkut begann, habe die Mannschaft ausgebrannt gewirkt: "Es gab Grüppchen, wie das eben so ist, wenn es nicht läuft. Heiko Herrlich aber hat es hingekriegt, dass die Mannschaft wieder als echte Einheit auftritt." Kevin Volland, der wie die beiden potenziellen Hoffenheimer Nationalspieler Mark Uth und Serge Gnabry im Schatten von Bailey stand, bestätigte: "Der Teamgedanke steht hier über allem."

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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