Leverkusen:Frische Tulpen bei Bayer

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Stammt aus Buenos Aires und wurde in Leverkusen schnell Stammkraft: Exequiel Palacios. (Foto: Ronny Hartmann/AFP)

Der Niederländer Peter Bosz will durch den Vorstoß ins Halbfinale des DFB-Pokals die von ihm formulierten Titelambitionen des Klubs stärken.

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Es hat nicht gerade Wellen geschlagen, als Peter Bosz Mitte Januar sagte: "Wir wollen Titel gewinnen." Die Rückrunde hatte nicht mal begonnen, und Bayer Leverkusen verdaute noch eine mittelmäßige Hinrunde. Außerdem sprach da der Trainer eines Fußballklubs, der seit 27 Jahren keine Trophäe mehr in eine Vereinsvitrine hineinstellen durfte, die im Wohnbereich eines Appartements hinter dem Sofa Platz fände. 1988 Uefa-Pokal-Sieger und 1993 DFB-Pokal-Sieger - das sind die einzigen großen Referenzen von Bayer Leverkusen. Von Titeln hat dort schon lange niemand mehr gesprochen.

Die Rückrunde, die der Niederländer Bosz so anspruchsvoll eingeläutet hatte, ist mittlerweile zehn Pflichtspiele alt und Folgendes ist passiert: Leverkusen ist ins Viertelfinale des DFB-Pokals eingezogen und ins Achtelfinale der Europa League. An diesem Mittwochabend besitzen die Rheinländer die Chance, mit einem Heimsieg gegen den Bundesliga-Konkurrenten Union Berlin ins DFB-Pokal-Halbfinale vorzustoßen und Mitte März stehen die Chancen nicht schlecht, gegen den schottischen Tabellenzweiten Glasgow Rangers ins Europa-League-Viertelfinale vorzudringen. Ende März gastieren die Leverkusener bei Borussia Mönchengladbach und könnten dann womöglich in die Champions-League-Zone (Platz eins bis vier) der Bundesliga einsteigen. Bayer macht den Ambitionen seines niederländischen Trainers alle Ehre. Wenn das so weitergeht, bepflanzen die Menschen in Leverkusen ihre Vorgärten im Frühling mit Tulpen und organisieren einen Festumzug mit Wohnanhängern. Wobei: In solch billigen Klischees denken Rheinländer gar nicht, und von Bosz weiß man, dass er im Urlaub am liebsten in die Karibik fliegt.

Von zehn Pflichtspielen in 2020 wurden acht gewonnen

Des Trainers Titelträume hatten umso anspruchsvoller gewirkt, als seine Mannschaft einen deprimierenden Advent hinter sich hatte mit einem 0:2-Champions-League-Aus gegen Juventus Turin, einer 0:2-Blamage beim Nachbarn in Köln und dem 0:1 gegen die Berliner Hertha, damals noch unter Jürgen Klinsmann. Nach diesen drei Niederlagen in Serie sagte Bosz zerknirscht: "Man bekommt das Gefühl, dass man eher gegen sich selber spielt."

Mittlerweile spielen die Leverkusener wieder gegen andere, und das sehr erfolgreich. Von den zehn Pflichtspielen in 2020 haben sie acht gewonnen, eines verloren (Hoffenheim), eines endete mit einem Remis (in Leipzig). Erstaunlich ist dieses Comeback vor dem Hintergrund, dass man im Sommer den Kreativspieler Julian Brandt an Borussia Dortmund verloren hat, dass man im kommenden Sommer recht sicher den besten Fußballer Kai Havertz wird abgeben müssen, dass der Mittelstürmer Kevin Volland längerfristig ausfällt, und dass in Lars Bender ein routinierter Defensivspieler verletzt fehlt.

Die daraus resultierenden Erfordernisse setzt die Mannschaft laut Bosz aber besonders gut um: "Wir haben in der Rückrunde erkennen lassen, dass wir taktisch sehr flexibel sind." Der Trainer überträgt seinen Spielern explizit taktische Verantwortung, sie sollen während eines Spiels zumeist selbst entscheiden, wie sie sich gegen die Formation und Spielweise eines Kontrahenten positionieren. Bosz sagt: "Ich erwarte von meinen Spielern, dass sie darauf reagieren, was das Spiel von ihnen verlangt." Dass sie das bereits so gut umsetzen, überrascht den Trainer womöglich selbst ein bisschen, er sagt jedenfalls: "Wir haben in der Winterpause über Stabilität gesprochen, weil sie uns in der Hinrunde gefehlt hat - aber jetzt spielen wir stabiler, die Mannschaft wirkt erwachsener."

Das ist ein noch größeres Kompliment, wenn man bedenkt, dass Flügelstürmer Moussa Diaby, 20, erst im Sommer zum Kader stieß und Mittelfeldmann Exequiel Palacios, 21, sowie Innenverteidiger Edmond Tapsoba, 21, sogar erst kürzlich im Winter. Alle drei gehören regelmäßig zur Startformation und wirken, als spielten sie schon länger in dieser Mannschaft.

Das alles klingt fast so, als sollte sich die Stadt Leverkusen ruhig schon mal auf die ersten Titel-Feierlichkeiten seit 27 Jahren vorbereiten. Doch vor dem Pokalspiel bremst Bosz die von ihm geschürten Erwartungen ein bisschen. "Ich habe das mit dem Titel gesagt, stimmt", gestand er, "aber ich habe nicht für sechs Monate unterschrieben, sondern für zweieinhalb Jahre." Soll heißen: Bosz hatte im Januar seine Vertragsverlängerung bis 2022 mit der Ambition garniert, dass er mit Bayer Titel gewinnen will. Er hat aber nicht gemeint, dass das schon in dieser Saison gelingen müsse. Unabhängig davon spürt er nun, dass diese Chance mit jedem Sieg größer wird. "Im Mai", sagt er also mit einer gewissen Vorfreude in der Stimme, "werden die Preise vergeben"

© SZ vom 04.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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