Leverkusen:Das Bosz-Syndrom

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Die eigenen Zweifel und der Fehler des Schiedsrichters: Leverkusen verliert den Anschluss an die Spitze.

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Geht es schon wieder los? Das Bosz-Syndrom? Diesmal in Leverkusen? Das Syndrom gliedert sich in zwei Phasen: erst berauschender Fußball, dann der Kater. Man erinnere sich: Als Peter Bosz im Sommer 2017 Trainer bei Borussia Dortmund geworden war, gewann der BVB zunächst sechs der sieben ersten Bundesligaspiele, verlor keines und kam auf ein Torverhältnis von 21:2. Der Niederländer wurde bejubelt. Dann kam der Bruch. Von den nächsten acht Bundesligaspielen gewann der BVB kein einziges mehr, Torverhältnis: 14:21. Danach wurde Bosz entlassen.

Seit Anfang des Jahres ist Bosz Trainer in Leverkusen. Von den ersten acht Bundesligaspielen gewann man sechs, unter anderem 3:0 in Wolfsburg, 3:1 gegen München und 5:1 in Mainz. Leverkusen kletterte zwischenzeitlichen auf einen Europa-League-Platz. Dann wieder der Bruch. Die jüngsten drei Spiele hat Bayer alle verloren: 1:3 gegen Bremen, 1:4 in Hoffenheim und am Samstag 2:4 gegen Leipzig. In den ersten acht Bundesligaspielen: acht Gegentore - in den jüngsten drei Spielen: elf. Das erinnert alles auffallend an die damaligen Entwicklungen in Dortmund.

Beim Bosz-Syndrom gehen einer Mannschaft zwei Dinge verloren: der Glaube und die Balance. Die Spieler sollen aggressiv verteidigen, Bälle erobern, schnell spielen, Tore schießen. Das haben die Leverkusener anfangs gut gemacht, genau wie damals die Dortmunder unter Bosz. Aber die risikoreiche Spielweise entwickelt im Misserfolgsfall offenbar eine negative Eigendynamik. Wenn die eigenen Chancen nicht genutzt werden und der Gegner zeigt, wie's geht, fällt das Kartenhaus zusammen. Bei Bayer war das nun drei Mal nacheinander der Fall. "Ich weiß, woran es liegt", behauptet Bosz, "aber darüber spreche ich nur intern mit der Mannschaft." In Dortmund hat er das Problem damals nicht gelöst bekommen.

Vor dem Handelfmeter läuft beim Videobeweis alles falsch, was man falsch machen kann

Auch gegen Leipzig war der Bosz-Fußball ein Ritt auf der Rasierklinge. Bis zur 64. Minute hat Leverkusen durch zwei Kai-Havertz-Tore mit 2:1 geführt, ein drittes Tor durch Leon Bailey war aufgrund einer haarscharfen Abseitsentscheidung in der 51. Minute zurückgenommen worden. Danach wandte sich alles gegen Bayer: Timo Werner glich zum 2:2 aus (64.) und Emil Forsberg verwandelte einen Handelfmeter (71.), der nie und nimmer hätte gegeben werden dürfen - das haben hinterher sogar die Leipziger gesagt. Und in der 83. Minute wurden die Leverkusener final düpiert von einer Zirkusnummer des Brasilianers Matheus Cunha. "Vor ein paar Wochen sind wir gefeiert worden", sagte Leverkusens Sportdirektor Simon Rolfes, "jetzt verteidigen wir nicht mehr gut und haben ein bisschen was zu tun." Vielleicht sogar mehr als ein bisschen was.

In Dortmund damals war Bosz nicht in der Lage, seinen Fußball anzupassen, zu variieren, auf Gegner und kurzfristige Spielsituationen einzustellen. Auch jetzt sagt er: "Ich zweifle nicht an unserer Philosophie - und ich hoffe, die Spieler tun das auch nicht." Dabei hatten ihm kurz zuvor Leipzig und der Trainer Ralf Rangnick gezeigt, wie man ein Spiel drehen kann, wenn man variiert. Leipzig war mit einer 4-4-2-Formation mit Mittelfeldraute in die Partie gegangen, bekam in der ersten Halbzeit aber keinen Zugriff und erspielte kaum Torchancen. Das zwischenzeitliche 1:1 durch Marcel Sabitzer (17.) fiel per Freistoß. Doch nach der Pause stellte Rangnick auf ein 3-5-2 um. "Diese Umstellung und dass wir mutiger gespielt haben" nannte er hernach als Gründe für die Wende.

Und noch etwas nannte Rangnick: "Matchglück." Damit meint man im modernen Fußball die Gunst des Videobeweises. Diesmal war Leipzig begünstigt. Leverkusens Mitchell Weiser sprang im eigenen Strafraum der Ball minimal an die Hand. Es war keine Absicht, keine unnatürliche Bewegung, er hat kein Tor verhindert, hat den Ball kaum abgelenkt und sichtlich versucht, die Hand noch wegzuziehen. Schiedsrichter Tobias Welz hatte zunächst weiterlaufen lassen, dann meldete sich Videoreferee Sören Storks bei ihm, obwohl Welz ja gar keine krasse Fehlentscheidung getroffen hatte. Storks konnte Welz aber trotz seines Eingreifens offenbar nicht definitiv mitteilen, ob es sich um einen Elfmeter handelt und schickte ihn zum Monitor am Spielfeldrand, wo Welz erst erkennbar eine Entscheidung scheute - und dann absurderweise auf Elfmeter entschied. Dieser Fall war nach all den diskutablen Fällen der vergangenen Monate deshalb etwas Besonderes, weil hier wirklich alles falsch gemacht wurde, was man falsch machen kann. Matchglück für Leipzig.

Die Sachsen haben damit einen großen Schritt Richtung Champions League gemacht. "Das waren Big Points", sagte Rangnick. Sein Team ist seit zwölf Pflichtspielen ungeschlagen, gewann neun. Zu den sechs verbleibenden Gegnern gehören mit Wolfsburg, Gladbach, München und Bremen aber noch vier Hochkaräter. Der neuerliche Weg in die Meisterklasse bleibt anspruchsvoll.

© SZ vom 08.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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