Leverkusen - Bremen 2:2:Test für die Zeit nach Havertz

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Selbst reingestochert: Oemer Toprak mit dem Eigentor zur 1:0 Führung für Leverkusen. (Foto: imago images/Jörg Schüler)

Bayer Leverkusen vergibt beim Unentschieden gegen Werder Bremen die Chance, auf Platz drei zu springen - auch weil der Videoschiedsrichter die Tormelodie von Status Quo jäh unterbricht.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Der Schlusspfiff des guten Schiedsrichters Martin Petersen hinterließ auf dem Rasen ein Bild der Erschöpfung und Enttäuschung. Auf beiden Seiten ließen die Beteiligten die Köpfe hängen, wenn sie nicht gerade ermattet auf dem Rasen saßen und lagen. Die Partie zwischen Bayer Leverkusen und Werder Bremen hatte keinen Sieger und keinen Verlierer ermittelt, aber das 2:2 stellte keine Seite zufrieden, was im Sinne des Sports ehrenwert ist, dem Spielverlauf aber durchaus gerecht wurde.

Bayer hatte die besseren Chancen gehabt, aber Werder hielt bis in die Nachspielzeit wirkungsvoll dagegen, so ergab sich eine nicht immer schöne, doch meistens sehenswerte Partie. "Wir hätten auch verlieren können, aber es kein komplett unverdienter Punkt, wir sind zufrieden", stellte Werder-Trainer Florian Kohfeldt fest, während sein Kollege Peter Bosz eher betrübt in die Runde blickte. Fünf Pflichtspiele ist Bayer nun ohne Sieg, ein Erfolg gegen Bremen wäre eigentlich Pflicht gewesen, meinte Bosz. "Wir haben es versucht, aber es ist leider nicht passiert", sagte der niederländische Coach, "wir müssen weiter auf diese Weise nach vorn spielen, dann wird das Glück drehen, dass wir es auf unserer Seite haben."

Der krankheitsbedingte Ausfall von Kai Havertz gab den Hausherren Gelegenheit zu üben, wie man eines Tages ohne den vielfach bewanderten Mittelfeldspieler zurechtkommen könnte - dass dieser Tag eher früher als später kommen wird, das steht ja weitgehend außer Zweifel. Die ersten Schritte sahen recht vielversprechend aus: Kaum vier Minuten waren vorbei, da lag der Ball zum 1:0 im Bremer Tor. Als Schützen gab der Stadionsprecher Sven Bender an, doch das war lediglich eine freundliche Geste gegenüber dem vormaligen Bayer-Profi Ömer Toprak, der in eine Kopfball-Verlängerung von Lucas Alario gelaufen war - ein Eigentor. Kein schöner Einstand, nachdem er zwei Monate wegen eines Muskelfaserrisses gefehlt hatte.

Erst nach einer halben Stunde entzerrte sich das zähe Spiel

Dass die Bremer danach eine ganze Weile brauchten, um ihren typischen Vorwärtsdrang auszuleben, lag weniger an den durchs 1:0 entfesselten Leverkusenern, als an ihnen selbst. Es hakte in den Bremer Kombinationen, es hakte aber auch im Leverkusener Zusammenspiel. Fehlpässe pflasterten die Wege der beiden Mannschaften. Bis zur 30. Minute dauerte es, ehe Werder den ersten zwingenden Vorstoß zu inszenieren wusste. Nuri Sahin, immer konstruktiv und einfallsreich, hatte mit einer Zidane-Pirouette eingeleitet, Milot Rashica rannte dem Nationalspieler Jonathan Tah so zügig davon, dass es den Bundestrainer ängstigen müsste (der aber in Freiburg weilte), und Josh Sargent verfehlte das Tor bloß um Zentimeter.

Auf einmal tat sich nun etwas in den Strafräumen, das zähe Spiel entzerrte sich, beide Abwehrreihen taten mit ihrer Unvollkommenheit das Ihrige dazu. Nadim Amiri vergab eine gute Schuss- und Kevin Volland eine gute Kopfballgelegenheit (31., 33.), und nachdem Volland ein weiteres Mal das Ziel verfehlt hatte (37.), lag der Ball zum zweiten Mal im Netz. Diesmal war es nur ein halbes Eigentor: Aleksandar Dragovic fälschte den Schuss von Rashica gerade so ab, dass ihn Lukas Hradecky nicht halten konnte. Sein Schuldanteil war trotzdem weit geringer als der seiner Kollegen Julian Baumgartlinger und Amiri, die sich zuvor nicht hatten einigen können, wer den Ball nimmt. So nahm ihn halt keiner und er landete bei Rashica.

Außer der kühlen Spielintelligenz von Kai Havertz fehlte bei Bayer 04 auch sonst der planende Verstand im Spiel, Neuzugang Kerim Demirbay lieferte selten erhellende Momente. Man sah viel Eifer, aber auch sehr viel Übereifer, worin sich namentlich Karim Bellarabi hervortat. Sein Fleiß und seine Sprintbereitschaft waren vorbildlich, und sein Gegenspieler Marco Friedl hatte keinen schönen Abend, doch der Ertrag blieb gering.

Die zweite Hälfte nahm Anleihe bei der ersten, als Davy Klaassen die Bremer nach nur drei Minuten in Führung brachte. Dieses Tor sah dank der gemeinschaftlich untätigen Leverkusener Deckungskräfte aus wie die leichteste aller Übungen. Vorlagengeber Sargent durfte mit dem Ball durch den Leverkusener Strafraum spazieren, als ob er eine Sondergenehmigung dazu hätte, Klaassen erhielt zum Einschuss freie Bahn.

Eine kurze Weile sah es nun ziemlich übel aus für Bayer, die Fehlerquote nahm bedrohliche Ausmaße an, fast wäre Leonardo Bittencourt das 3:1 gelungen (52.). Dann aber fand Bellarabi doch noch das Korn, nach dem er so lange vergeblich gesucht hatte. Wieder war er an Friedl vorbeigerannt, Alario nahm seine Vorlage am kurzen Pfosten auf und beförderte sie zum 2:2 ins Tor (58.).

Nun äußerte sich der Siegeswille der beiden Teams in einem wilden Schlagabtausch, der fern von Perfektion war, aber immer aufregend blieb. Die Leverkusener waren dabei der Führung ein ganzes Stück näher: Ein Kopfball von Alario landete an der Latte, den Nachschuss jagte Dragovic übers Tor, und dann dröhnte auch schon wieder die mehr als altbekannte Tormelodie von Status Quo aus den Boxen, während Alario sein Tor zum 3:2 bejubelte (73.). Zu früh gefreut, die Videorichter intervenierten. Zuvor war Amiris Hand im Spiel gewesen, unfreiwillig und unverschuldet, aber unzweifelhaft, und eine Handbeteiligung ist nach den neuen Spielregeln kategorisch verboten. Seltsam, aber so steht es geschrieben.

Zum Schluss immerhin durfte sich Amiri freuen, dass der Schiedsrichter nicht einschritt, als er, fröhlich durch den Strafraum rutschend, mit beiden Händen eine Hereingabe aufhielt. "Stützhand" entschied Richter Petersen. "Für mich keine Stützhand, weil er mit beiden Händen reinrutscht", befand Werder-Trainer Kohfeldt.

© SZ vom 27.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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