Leroy Sané:Nur kurz gewälzt

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"Ein ganz, ganz übles Foul": Der hart attackierte Leroy Sané hat seine Zeit in der Premier League zur Abhärtung und Schärfung seines Spiels genutzt.

Von Carsten Scheele, Wolfsburg

Kurzzeitig stand zu befürchten, dass die DFB-Medienabteilung am Donnerstagmorgen ein offizielles Kommuniqué versenden müsste. "Schwere Verletzung bei Leroy Sané" hätte vermutlich darüber gestanden, im Text dann eine Spezifizierung, Bruch des Sprunggelenks zum Beispiel. Oder: schwere Bänderverletzung. Der Serbe Milan Pavkov war in der dritten Minute der Nachspielzeit mit derartiger Verve auf das linke Sprunggelenk des deutschen Nationalstürmers gestiegen, dass er Sanés Fuß in bedrohliche Schräglage brachte und schlimmste Befürchtungen um die Gesundheit des Spielers von Manchester City heraufbeschwor.

Normalerweise ist ein solcher Tritt der Anfang einer mehrwöchigen Pause, doch Sané hat sich tatsächlich nur kurz auf dem Rasen gewälzt - und es sogar geschafft, im Schreckmoment noch die Contenance zu wahren. Er zog seine umherfliegenden Füße zurück, die drohend vor Pavkovs Gesicht schwebten, um keine Tätlichkeit zu riskieren. Stattdessen warf er dem jungen Serben eine Reihe giftig-böser Blicke zu, was absolut angebracht erschien und von Schiedsrichter Bobby Madden auch ungeahndet blieb. Letzterer schickte Pavkov dafür mit der fälligen roten Karte vom Feld, in dessen erstem Länderspiel. Von Joachim Löw konnte der Spieler dafür kein Mitleid erwarten. "Ein ganz, ganz übles Foul in so einem Testspiel an der Mittellinie", echauffierte sich der Bundestrainer, der genau wusste, dass er Sanés Ausfall im EM-Qualispiel am Sonntag gegen die Niederlande kaum hätte auffangen können.

Das sah auch Serbien-Coach Mladen Krstajic ein, der sich sofort bei Löw für den Krafttritt entschuldigte. "Es war sein erstes Spiel für sein Land, es steckte keine Absicht dahinter", so Krstajic, der selbst lange in der Bundesliga für Sanés früheren Verein Schalke 04 aktiv war. "Da kann er ihm auch den Fuß brechen", schimpfte Löw dennoch - doch Sanés Gelenk bewies herausragende Festigkeit. "Alles okay", bestätigte er, was auch seinen Trainer bei Manchester City erfreut haben wird, denn Pep Guardiola will mit Sané in dieser Saison noch zwei Titel gewinnen: die englische Meisterschaft und die Champions League.

Dass der Flügelstürmer weiter im Spiel ist, mag in der entscheidenden Sekunde mit Glück zu tun gehabt haben. An einem anderen Tag hätte er sich in ähnlicher Situation vielleicht schwer verletzt; es zeigt aber auch, dass Sané die Zeit auf der Insel zur Abhärtung genutzt hat - nicht nur in modischen Fragen, wie er bei der Ankunft in Wolfsburg mit gefiederter Jacke bewies.

Beim 1:1 (0:1) gegen Serbien zeigte sich aber vor allem, dass der Gegner ganz genau wusste, wo man ansetzen muss, um das deutsche Spiel zu bremsen: bei Sané, der eine völlig andere Energie auf den Platz brachte als zum Beispiel seine noch sehr jugendlich anmutenden Offensivnachbarn Kai Havertz und Julian Brandt. In den ersten 45 Minuten ließ Sané mit seinem Antritt ab und zu zwei Serben stehen, war den Ball aber gleich darauf auch wieder los, weil er keinen zum Mitspielen fand. Der Gegner hing ihm mitunter sekundenlang am Trikot, was der schottische Schiedsrichter konsequent ignorierte - vielleicht im Wissen, dass Sané diese Linie im Ligaalltag gewöhnt ist.

Auffallend trotzdem, wie beherrscht Sané blieb. Er wartete einfach weiter auf seine Chancen, und die kamen pünktlich mit Wiederanpfiff, als Sané zum Hauptdarsteller der deutschen Mannschaft wurde. Er trieb das Spiel an, quasi im Fünf-Minuten-Takt beteiligte er sich am Chancenwucher, den das deutsche Team an diesem Mittwochabend betrieb: Er scheiterte per Kopf (64.), per Schuss nach einem flinken Haken, mit dem er zwei Serben hatte aussteigen lassen (73.), und abermals per Schuss (77.) am starken Torwart Marko Dmitrovic. Einmal setzte er in der eigenen Hälfte zu einem Solo an, das erst durch ein Foul tief in der serbischen Hälfte endete.

Bei seiner Leistungssteigerung nach der Pause profitierte Sané freilich auch von der Hereinnahme des Dortmunders Marco Reus, der zusammen mit ihm das Offensivspiel vitalisierte. "Wir hatten gute Ansätze", erklärte Sané später, "aber da muss noch mehr kommen. Ich versuche, die Mannschaft zu pushen."

Auf welcher Position Sané das Projekt Wiederaufbau des DFB am besten pusht, muss Bundestrainer Löw dabei noch entscheiden. Am Mittwoch setzte er ihn auf allen Offensivpositionen ein: zunächst auf der linken Außenbahn wie im Verein, Sané kam manchmal aber auch über rechts, schließlich über die ungewohnte Mittelstürmerposition. Vielleicht tut Löw auch gut daran, sich eine gewisse Flexibilität zu wahren, denn auch die Niederländer werden verfolgt haben, wen man im deutschen Spiel vor allem zu kontrollieren hat.

Dass Löw noch mal freiwillig auf die Künste des Mannes mit den Gummigelenken verzichten wird wie vor der WM 2018: Das scheint absolut, völlig und ganz und gar ausgeschlossen.

© SZ vom 22.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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