Leichtathletik:"Zur Hölle, nein!"

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Konkurrenzlos: Caster Semenya gewinnt die 800 Meter beim Diamond-League-Auftakt in Doha. (Foto: dpa)

Eine neue Testosteron-Obergrenze - na und? Die Südafrikanerin Caster Semenya kündigt an, die neue Vorschrift des Leichtathletik-Weltverbandes zu ignorieren.

Von Johannes Knuth

Der Abend bündelte noch einmal die konfuse Gemengelage, er verhandelte nicht nur Fragen der Gegenwart und Zukunft, er wirkte auch wie ein Trip in die Vergangenheit. Und dabei zog er, je nach Sichtweise und Parteibuch der Betrachter, die Entwicklungen der vergangenen Tage in Zweifel - oder lieferte den finalen Beleg dafür, dass diese Entwicklungen dringend nötig sind.

Das Diamond-League-Meeting in Doha am Wochenende, die Premierenvorstellung der neuen Leichtathletik-Saison, war ja so verlaufen: Die Südafrikanerin Caster Semenya gewann über 800 Meter, auf ihrer Leib- und Magenstrecke, wobei sich ihr Auftritt mal wieder nur schwer mit der Logik eines handelsüblichen Rennens erfassen ließ: Die 28-Jährige benötigte für die zwei Stadionrunden 1:54,98 Minuten, Francine Niyonsaba (1:57,75) hielt als Zweite schon großen Sicherheitsabstand. Und alle anderen Mitbewerberinnen sowieso. Sie wirkten nicht nur optisch so chancenlos wie Nachwuchsläuferinnen, die sich im falschen Rennen verirrt hatten.

1:54,98, das war auch gar nicht so weit vom unwirklichen Weltrekord der Tschechin Jarmila Kratochvilova entfernt, die in den Achtzigerjahren wie so viele Kollegen wohl etwas tief in den Dopingtopf gelangt hatte (was Kratochvilova bestreitet). Semenya und Niyonsaba wiederum waren der Konkurrenz in den vergangenen Jahren auch deshalb so sehr überlegen gewesen, weil ihre Körper, grob gesagt, von Natur aus mehr Testosteron produzierten als andere Frauen - so weit die landläufig verbreitete Theorie.

Der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) hatte zuletzt also einen Paragrafen entworfen, den der Internationale Sportgerichtshof (Cas) in der vergangenen Woche in den Stand der Rechtmäßigkeit hob: Athletinnen wie Semenya müssen ihren Testosteronspiegel von diesem Mittwoch an auf fünf Nanomol pro Liter Blut dimmen, um in der Frauenklasse zu starten. Ein tiefer, diskriminierender Eingriff, klar, argumentierte der Cas, aber der stehe halt auch im Dienste der Chancengleichheit. Das Urteil provozierte heftige Reaktionen, in Südafrika natürlich, aber auch bei unabhängigen Medizinern, Ethikern, Experten. Die neuste Wendung: Semenya sieht gar nicht ein, bei dieser Testosteronkur mitzumachen. "Hell no", sagte sie in Doha auf eine entsprechende Frage, zur Hölle mit dieser Regel! Aber was werde sie dann tun - auf andere Distanzen ausweichen? Der Testosteron-Paragraf gilt ja nur für Rennen über 400 Meter bis zur Meile. Nein, nein, beteuerte Semenya, sie werde weiter auf ihrer Lieblingsstrecke antreten. Wenn jemand ihre Karriere beende, dann sei das nicht die IAAF, sondern höchstens Gott. Und jetzt?

Zuspruch erhielt die Südafrikanerin am Wochenende vom Weltärztebund (WMA). "Wir halten es für sehr bedenklich, wenn ein internationales Sportreglement Ärzten vorschreiben will, Athleten Hormonpräparate zu verschreiben, um normale Vorgänge in ihrem Körper zu verändern", sagte der Deutsche Frank Montgomery, Vorstand im WMA, im australischen Rundfunk. Seine Kammer rief zudem alle Kollegen in ihren 114 Mitgliedsländern auf, sich dem IAAF-Paragrafen zu widersetzen. Andere Mediziner verwiesen darauf, dass die Regel schon deshalb widersinnig sei, weil man ja auch nicht die Körperlängen von Basketballprofis normiere, um den Wettkampf fairer zu gestalten.

Allerdings schimmerte in der ersten, dürren Urteilsbegründung des Cas schon durch, dass Athletinnen wie Semenya gar nicht über einen XX-Chromosomensatz verfügt (wie die meisten Frauen) - sondern über XY-Chromosomen, was die Ausschüttung von vermännlichenden Hormonen wie Testosteron ankurbeln kann. Der südafrikanische Sportwissenschaftler Ross Tucker widersprach zudem Experten, die behauptet hatten, sportliche Hochleistungen könne man nicht allein mit erhöhten Testosterongaben erklären. Eine Weltklasseleistung werde natürlich von vielen Faktoren geformt, sagte Tucker - das sei aber auch deshalb so, weil das physiologische Vermögen von Spitzensportlern so dicht beieinanderliege. Sobald sich die Perspektive weite, könne man bereits aus einem Faktor einen massiven Unterschied ableiten - zum Beispiel, wenn man die Sauerstoffaufnahme von Marathonprofis und die der Normalbevölkerung vergleiche. Oder halt die Testosteronproduktion von Athletinnen mit DSD ("Differences of Sex Development", wie bei Semenya) und jene von anderen Frauen.

Andererseits: Der Vorteil, den DSD-Athletinnen deshalb genießen, könne zwischen null und zwölf Prozent pendeln, sagte Tucker. Bei Frauen, deren Körper stark auf die erhöhte Testosteronproduktion anspreche, ergebe ein Grenzwert also durchaus Sinn. Bei anderen überhaupt nicht. Schon deshalb sei es falsch, Semenya pauschal als "biologisch männlich" zu klassifizieren. Wobei die 28-Jährige ganz offenkundig auf die erhöhte Testosteronproduktion in ihrem Körper reagiert, wie die IAAF am Mittwoch noch mal indirekt bestätigte.

Letztlich bekräftigten all diese Beiträge die These, wonach es in dieser Debatte kaum Antworten in Schwarz oder Weiß gibt, nur sehr viel Grau. Und dass sich derartige Grautöne kaum in einen Paragrafen gießen lassen, hatte sich schon vor dem Cas-Verdikt abgezeichnet. Zumal die IAAF zur Beweisführung eine Studie angefertigt hatte, deren Methodik unter manchen Experten in etwa als so belastbar gilt wie der Brandschutz am Berliner Hauptstadtflughafen.

Noch ist nicht ganz klar, was Semenyas Zukunftspläne ("Hell no!") für die kommenden Monate bedeuten: Wird sie den Cas-Spruch vor ordentlichen Gerichten anfechten? Läuft sie die 800 Meter vorerst nur bei kleineren Meetings, was das Regelwerk ja zulässt, und hofft, dass der IAAF-Paragraf bis zur WM im Herbst aus den Angeln gehoben wird? Der Abend in Doha hatte, wie so oft in dieser ewigen Geschichte, mehr Fragen als Antworten provoziert.

© SZ vom 06.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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