Leichtathletik:Zahmes Biest

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Wada-Chef Craig Reedie irritiert mit Aussagen im Leichtathletik-Skandal um Russland, was die Frage aufdrängt: Welche Rolle spielt der Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur lieber: Kontrolleur oder Beschützer des Sports?

Von Johannes Knuth, München

Auf der Vorderbühne war alles ruhig. Am Donnerstag fand keine Vorstellung statt im großen Theater der Welt-Leichtathletik, drei Tage, nachdem eine Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada eine "tief verwurzelte Kultur des Betrügens" im russischen Verband freigelegt hatte. Allein die halbstaatliche VTB-Bank aus Russland teilte mit, dass sie den Weltverband IAAF demnächst nicht mehr unterstützen werde. Das habe aber nichts mit den Doping-Enthüllungen zu tun. Der Vertrag laufe demnächst halt aus.

Auf der Hinterbühne ging es geschäftiger zu. Russlands Funktionäre erklärten sich der IAAF, beschwichtigten, beteuerten, angeblich gaben sie sogar Verfehlungen zu. Russland will verhindern, dass seine Leichtathleten 2016 von internationalen Wettkämpfen verbannt werden, Olympia inklusive. So hatte es die Kommission von Ex-Wada-Präsident Richard Pound der IAAF empfohlen. Deren Präsident Sebastian Coe wird an diesem Freitag darüber mit seinem Council richten. Wladimir Putin, Russlands Staatschef, ließ Coe bereits wissen: "Wenn Regeln gebrochen wurden, müssen die Individuen zur Verantwortung gezogen werden, nicht die ehrlichen Athleten." Was Coe der krisengeschüttelten Leichtathletikgemeinde aber kaum vermitteln kann. Britische Journalisten spekulierten am Donnerstag, Coe werde den Verband wohl provisorisch sperren - mit der Option, ihn vor den Spielen zu begnadigen.

Reedie soll intern gegen die Wada-Kommission gewesen sein

Es sind schwere Tage für den Sport und seine Selbstkontrolle. Die IAAF steckt mitten in den ersten Aufräumarbeiten (während Staatsanwälte im Hinterzimmer gegen die alte IAAF-Führung ermitteln). In der Vergangenheit hatte sich der Verband bei harten Debatten oft ins Ungefähre geflüchtet, aber diese alten Reflexe funktionieren nicht mehr so recht. Dafür ist das Ausmaß der Verschmutzung zu groß. Wobei die Reflexe bei manchen Funktionären schon noch intakt sind, bei Craig Reedie zum Beispiel, Chef der Wada. Der hatte vor einem Jahr zwar Pounds Kommission auf die russische Leichtathletik angesetzt, dem Vernehmen opponierte er intern aber gegen eine derartige Mission. Die Daily Mail hatte zudem enthüllt, dass Reedie im Sommer sanfte E-Mails an Witalij Mutko schickte, den russischen Sportminister: Man werde schon nichts ausgraben, was die Partnerschaft zu Russland beeinträchtigt , beteuerte Reedie. Die Wada-Kommission stellte in ihrem Bericht nun pikiert fest: "Derartige Zusicherungen wurden gegeben, bevor die Vorwürfe gegen Russland überhaupt untersucht werden konnten." Was Reedie jetzt, in einem Interview mit der New York Times, gar nicht leugnet. Er bedauert vor allem, dass die E-Mail in die Öffentlichkeit gezerrt wurde. Was die Frage aufdrängt: Welche Rolle spielt der Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur lieber: Kontrolleur oder Beschützer des Sports?

Auf die Frage, ob er als Wada-Mitglied 2013 erste Zeitungsberichte über Doping in Russland wahrgenommen habe, antwortet Reedie nun: "Ich habe es damals wohl gesehen, kann mich jetzt aber nicht daran erinnern." Wusste er denn, dass die Stepanows, die Informanten der ARD-Dopingenthüllungen, zuvor belastendes Videomaterial an die Wada herangetragen hatten? "Davon hatte ich keine Kenntnis." Hatte er später zu ihnen Kontakt? "Nein." Die Wada, schrieb der Guardian zuletzt, habe sich "in ein zahmes Biest verwandelt, gefesselt von ihrer Verfassung und ihrem Budget". Zuletzt nahm die Agentur 26 Millionen Dollar jährlich ein, ein kümmerlicher Betrag, um ein weltumspannendes Netz gegen Dopingtäter zu knüpfen. Andererseits hängt sie an den Gremien des Sports; Reedie, seit 2013 Präsident, ist auch Vizepräsident im Internationalen Olympischen Komitee und Vertrauter Thomas Bachs.

Ob er jemals Wada-Präsident habe werde wollen, fragte die Times Reedie noch. Reedie sagte: "Nein."

© SZ vom 13.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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