Leichtathletik:Röhlers Speer wird fast zur Waffe

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Hungrig: Thomas Röhler hat sich schon mit 25 in die Rekordbücher seines Sports eingetragen. Er steht nun auf Platz zwei der ewigen Bestenliste des Speerwurfs. (Foto: Bernd Thissen/dpa)
  • Olympiasieger Thomas Röhler wirft in Doha so weit, dass er fast einen Kameramann trifft.
  • Nur einer hat jemals eine größere Weite mit dem Speer erzielt: Weltrekordhalter Jan Zelezny.
  • Für seinen Sport dreht Röhler auch schon mal einen Imagefilm mit freiem Oberkörper.

Von Saskia Aleythe, Doha/München

Natürlich konnte er darauf keine Rücksicht nehmen, doch als Thomas Röhler am Freitagabend in der Hitze von Doha den Speer kraftvoll auf seine Reise schickte, wurde es bedrohlich. Ein Kameramann hatte sich aufgestellt und sein Stativ festgeschraubt. 95 Meter von Röhler entfernt. Gut, wird sich der Mann gedacht haben, weiter als 93 Meter hatte seit 1999 kein Speerwerfer mehr sein Gerät in ein Stadionrund geschleudert, das wird schon reichen. Gut, hatte sich Röhler gedacht, das hier ist der Saisonstart, mehr als 88 Meter werden es sicher nicht gleich werden. Doch dann lief er an, wuchtete den Speer in die Luft, zielstrebig zischte dieser davon, überquerte die 90-Meter-Marke und schlug ein - keine eineinhalb Meter vom Kameramann entfernt.

Der Tag, an dem er fast für einen herben Unfall sorgte, wird Thomas Röhler zum Glück in anderer Weise in Erinnerung bleiben. 93,90 Meter prangten da schließlich auf der Stadionanzeige, neben der der Olympiasieger von Rio im Anschluss in schnöder kurzer Hose und T-Shirt posierte: Diese Weite war nicht nur deutscher Rekord, sondern, das war dem 25-Jährigen sofort bewusst: "Ich bin jetzt der zweitbeste Speerwerfer der Geschichte. Das zu realisieren, wird ein paar Tage dauern."

Vom deutschen Kollegen Vetter angespornt

Ein "sehr, sehr sauberer Wurf" sei ihm gelungen, sagte Röhler noch recht nüchtern in seiner ersten Analyse, er hatte sich an diesem Abend auch durch die Konkurrenz im eigenen Team anspornen lassen: Johannes Vetter, der in Rio nur um sechs Zentimeter die Bronze-Medaille verfehlt hatte, beflügelte Röhler nun auch in Doha. "Er hat zu Beginn einen sehr guten Wurf gehabt", sagte Röhler, "da habe ich gemerkt: Hey, die Saison ist losgegangen, du musst etwas tun".

Vetter hatte seinen Speer im dritten Versuch auf 89,68 Meter befördert - persönliche Bestweite. Beinahe wäre er der vierte Deutsche geworden, dem ein 90-Meter-Wurf gelungen ist. "Wir haben uns gegenseitig gepusht", erklärte Röhler später. In seinem vierten Versuch flog der Speer dann auf die Rekordweite. Als sie auf der Anzeige aufleuchtete, durchzuckte die Freude seinen Körper. Er ging glücklich zurück zur Bank und musste erstmal verschnaufen, die Augen glänzten.

DDR-Werfer Uwe Hohn hatte 1984 eine Weite von 104,80 Metern erreicht, doch seit 1986 gilt eine neue Zeitrechnung im Sport. Eingeführt wurde ein anderer Speer, der in den Stadien kein Sicherheitsrisiko mehr darstellen sollte. Seit der Einführung ist nur einem Mann eine größere Weite gelungen als Röhler nun: dem Tschechen Jan Zelezny im Mai 1996, er hält den Weltrekord von 98,48 Metern. Das ist noch ein ganzes Stück von Röhlers Weite entfernt, und doch gibt es ein Band, das die beiden verbindet: Zelezny hat die Bestmarke in Jena aufgestellt, Röhlers Geburtsstadt, wo der 25-Jährige noch immer lebt und trainiert, er hat sogar sein eigenes Speerwurfmeeting dort gegründet. "Ich fühle mich geehrt, dass ich einer von wenigen bin, die so weit geworfen haben", sagte Röhler in Doha. Fast, als wäre ihm der Erfolg zugeflogen, als wäre er nicht Produkt seiner Arbeit.

Neun Monate sind vergangen seit Röhler im Olympiastadion von Rio de Janeiro die Goldmedaille mit einer Weite von 90,30 Metern gewann, er hat danach alles aufgesogen, was ihm an Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. In Jena wird er nun auf der Straße erkannt, "das besonders Schöne ist, dass es vor allem die jungen Kinder sind, die ein Vorbild in mir sehen", sagte er vor dem Saisonstart beim Diamond League Meeting in Doha. Er ist nun Botschafter für seinen Sport, den er auch im Studium der Wirtschaftswissenschaften analysiert. Titel der Bachelorarbeit: "Marketingpotentiale der Leichtathletik". Wobei er ja selber als eines gelten kann.

Imagevideo in eigener Sache

Recht eindrückliche Bilder gab es neulich von der Saisonvorbereitung in Südafrika zu sehen: Zusammen mit seinen Kollegen Vetter, Andreas Hofmann (Neunter in Rio) und Lars Hamann drehte er einen Imagefilm in eigener Sache. Einer wirft eine Tonne, einer macht Klimmzüge, einer übergießt den freien Oberkörper mit Wasser. Es sieht ein bisschen aus wie Jeans-Werbung aus den 90er-Jahren, aber es steht auch für einen Weg, den Röhler gerade geht. Und wie sich alles zu ergänzen scheint: Teamgeist und Konkurrenz, neue Aufmerksamkeit und jede Menge Krafttraining. Es gibt unterschiedliche Typen von Speerwerfern, Röhler gehört auf jeden Fall zu den athletischsten.

Dass er gleich zum Saisonstart so weit werfen würde, hat er freilich nicht gedacht. "Die ersten vier bis fünf Wettkämpfe sind eigentlich nur Training auf hohem Niveau", lautete seine Einschätzung vorm Saisonstart. Die Hitze in Doha lag ihm offenbar. Aber Thomas Röhler hatte da noch eine andere Erklärung parat: "Wenn du es einmal raus hast, kann der Speer auch weit fliegen." Was schon als Ansage gelten darf für die kommenden Monate und die anstehende WM im August in London.

© SZ vom 07.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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