Leichtathletik:Noch längst nicht satt

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Federleicht im Federschuh unterwegs: Karsten Warholm zeigt sich beim Istaf in Berlin noch einmal in Topform. (Foto: Reuhl/Fotostand/Imago)

Wie geht es weiter für einen Olympiasieger und Weltrekordhalter, der mit 26 Jahren alle Hauptpreise gewonnen hat? Hürdenläufer Karsten Warholm hat nach einer holprigen Saison ein paar Antworten gefunden.

Von Johannes Knuth

Manchmal muss man nicht nur die Athleten sanft zu ihrem Glück tragen, sondern auch die Veranstalter. Das Berliner Istaf hatte für seine diesjährige Auflage zunächst keine 400 Meter Hürden im Angebot, aber weil Karsten Warholm, immerhin diensthabender Weltrekordhalter, anfragen ließ, ob er nicht wieder in Berlin mitmachen könne, hievten sie dessen Disziplin auch noch ins Programm.

Der Norweger war offenbar auf der Suche nach einem würdigen Saisonausstand; er hatte sich wegen einer Verletzung nicht für das Finale der Diamond League qualifiziert, das am Mittwoch anbricht. Warholm enttäuschte jedenfalls nicht: Er gewann beim Istaf in 47,24 Sekunden, die deutschen Kollegen Joshua Abuaku (48,55) und Constantin Preis (48,85) trieb es in diesem Sog zu zwei Topzeiten.

Die Veranstalter des ältesten und größten deutschen Leichtathletik-Meetings haben mal wieder den erhofften Sommerausklang bekommen: 37 000 Zuschauer, dazu viele Gäste, die ihren strapazierten Körpern noch mal ein paar Topleistungen abrangen. Speerwurf-Europameister Julian Weber gewann mit 84,90 Metern, 400-Meter-Läuferin Luna Thiel überraschte mit Bestzeit (51,28 Sekunden), Weitspringerin Malaika Mihambo gewann mit 6,92 Metern (und sagte, dass ihre Lunge nach Covid-Infekt und Kreislaufkollaps bei der EM noch immer nicht ganz erholt sei). Bei Warholm wiederum spürte man, dass er mit seiner Saison am liebsten erst loslegen würde, so sehr war er zuletzt durch den Sommer gerumpelt. Das hatte nebenbei auch ein paar bemerkenswerte Einblicke in die Schaffenswelt eines Hochleistungsathleten gewährt.

Rund ein Jahr ist es her, da verlieh der 26-Jährige den Sommerspielen in Tokio die irrste Pointe. Gold in Weltrekordzeit von 45,94 - solche Marken, das hatte Warholm damals eingeräumt, würden ihm als neutralen Beobachter auch erst einmal unglaubwürdig vorkommen. Nach solch einer Tat, sagte Warholm nun in Berlin am ARD-Mikrofon, ändere sich jedenfalls "alles". Es sei hart gewesen, wieder Motivation zu finden. In seiner Vita sind ja auch schon je zwei WM- und EM-Titel vermerkt. "Es ist viel leichter, die Augen von den Hauptpreisen abschweifen zu lassen, wenn du schon alles erreicht hast", assistierte Warholms Trainer Leif Alnes zuletzt im Gespräch. Als die aktuelle Saison begann, hatte Warholm dann noch ganz andere Probleme: Eine Oberschenkelverletzung ließ auch seine Form zusammenschnurren.

Es war just dieser Schadensfall, glaubt Warholm heute, der ihn letztlich aus seinem Motivationstal geführt habe. "Ich liebe den Sport noch immer", sagte er in Berlin, "jetzt will ich zeigen, dass ich der Beste darin bin, von solch einer Verletzung zurückzukehren." Die WM in Eugene beschloss er noch als Siebter, in 48,42 Sekunden (der Brasilianer Alison dos Santos gewann in 46,29), in München war er zuletzt so schnell wie noch kein Hürden-Europameister vor ihm, in 47,12. Das vergangene Jahr, sagte Warholm hernach, habe ihn daran erinnert, wie schnell sich die Dinge wenden können - und wie schön und wenig selbstverständlich es sei, seine Kunst für ein paar Minuten auf der großen Hochleistungsbühne ausstellen zu dürfen, nach monatelanger Plackerei im Schatten. Da klang er schon nicht mehr wie ein arbeitsmüder Olympiasieger.

In München schon wieder festlich gekleidet: Karsten Warholm nach seinem EM-Triumph. (Foto: Mathias Bergeld/Bildbyran/Imago)

Nüchtern betrachtet wirkt es unvorstellbar, dass Warholm noch einmal schneller sein kann als bei seinem unwirklichen Rekord von Tokio. Sein Trainer sieht das freilich ganz anders. "Ich bin der Überzeugung, dass du eine Sache, die du gut gemacht hast, immer noch verbessern kannst", sagt Alnes. Das Trainingspensum an sich könne man kaum mehr steigern; die Qualität der Übungen sehr wohl. Alnes ist studierter Biomechaniker, er kann lange darüber reden, wie er das klassische Reißen der Gewichtheber so umgebaut hat, dass Warholm die Gewichte nicht empor wuchtet, sondern mit der Hantelstange regelrecht in die Höhe springt - um so die Beinstreckung fürs Sprinten zu verbessern.

Und dann sind da noch die neuartigen Spikes, die auch in den Bahn-Wettbewerben der Leichtathletik immer präsenter sind. Alnes seufzt, wenn er darauf angesprochen wird. Der Materialwettstreit sei nun mal eröffnet, sagt er dann, und was das Tüfteln angehe, lasse er sich erst recht von seinem Motto leiten: dass sich das Großartige noch immer ein paar Umdrehungen weiterschrauben lasse.

Vor einem Jahr wetterte Warholm über "Bullshit"-Spikes. Jetzt trägt er sie selbst

Vor Tokio hatten Warholm, Alnes und ihr Ausrüster einen Schuh mit einer Karbonplatte entworfen - ohne neuartiges Schaummaterial, das manche Konkurrenten damals einsetzten und das zu einer Art Trampolineffekt führen soll. Solche Modelle seien "Bullshit", wetterte Warholm damals, sie saugten die Glaubwürdigkeit aus dem Sport.

Heute? Ist Warholm selbst in "Bullshit"-Spikes unterwegs, weshalb er, in einem Anflug von Selbstironie, das Kürzel "BS" (für Bullshit) auf sein neues Modell gepinselt hat. Alnes hat sogar noch eine Art "Kralle" an die Schuhspitze montieren lassen; sie hilft dem Athleten offenbar dabei, dass er seine Kraft noch besser zum Abdrücken nutzen kann. Die Details behält Alnes lieber für sich, er sagt bloß: "Ich verstehe, dass Puristen das nicht mögen. Ich möchte auch nicht, dass am Ende das Material über den Sieg entscheidet." Aber schon jetzt, räumt er ein, schenke solch ein Schuh einem Athleten kleine Vorteile. Und die entscheiden in der Spitze gewöhnlich auch darüber, neben Form und Motivation, wer am Ende die Hauptpreise abschleppt.

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