Leichtathletik:Netter Killer

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Vier Olympiasiege, neun Weltmeistertitel, seit diesem Wochenende auch offiziell die konstanteste 200-Meter-Läuferin der Saison: Allyson Felix. (Foto: Olivier Hoslet/dpa)

Die US-Sprinterin Allyson Felix verliert in Brüssel über ihre Paradestrecke, verfeinert aber ihre beeindruckende Saison.

Von Johannes Knuth, Brüssel/München

Ein wenig pikiert war Wilfried Meert ja schon. Meert hatte Jamaikas Spaßsprinter Usain Bolt für sein Diamond-League-Meeting in Brüssel am Wochenende eingeladen, als Hauptattraktion für den letzten großen Bahnwettkampf dieser Saison. Aber Bolt mochte dann doch nicht. Er sei müde nach der WM in Peking, richtete er aus. Wobei Meert die müden Beine noch mit ein paar außersportlichen Aktivitäten in Verbindung brachte: "Usain sagt ja immer: Wenn die Arbeit getan ist, beginnt die Party." Sie waren also ein wenig traurig in Brüssel, andererseits gab der Jamaikaner mit seiner Absage auch den Blick frei auf einige Hauptdarsteller, die sonst nicht oft als Hauptdarsteller gewürdigt werden. Zum Beispiel Allyson Felix.

Felix hatte von der WM in Peking drei Medaillen mitgenommen, Gold über 400 Meter, zwei Mal Silber mit den Staffeln. Sie hat mittlerweile 13 WM-Plaketten gesammelt, so viele besitzt ansonsten nur ein gewisser Usain Bolt. In Brüssel verlor Felix über 200 Meter in 22,22 Sekunden zwar gegen Hollands Weltmeisterin Dafne Schippers (22,12), die Gesamtwertung in der Diamond League gewann sie trotzdem. Gemessen an ihrer Konstanz war Felix wohl die Klassenbeste der Saison. Was wiederum viele kaum mitbekamen, siehe Bolt. "Ich bin einfach froh über die Saison, die ich hatte", sagte Felix in Brüssel. Das war wohl charmant untertrieben. Und erzählte einiges über Allyson Felix, 29, aus Los Angeles/Kalifornien.

Hinter Felix' sonnigem Gemüt verbirgt sich große Härte

Bolt möchte oft so wahrgenommen werden, wie ihn die Branche überhöht: als lebende Legende. Felix gibt sich demütig, fromm. Ihr Vater ist Pfarrer, Felix besuchte eine Baptistenschule, sie hielt Kindergottesdienste, und wenn man sie heute nach ihrem Können fragt, sagt sie: "Mein Talent ist ein Geschenk Gottes." Es gibt keine Brüche in ihrer Biografie, Sprüche schon gar nicht. "Jeder drückt Allyson die Daumen", sagt Joanna Hayes, eine ehemalige US- Hürdensprinterin, "du kannst einfach nicht gegen sie sein."

Hinter Felix' sonnigem Gemüt verbirgt sich freilich große Härte, gegen sich selbst, wenn es sein muss auch gegen andere. Bei den US-Meisterschaften 2012 waren Felix und Teamkollegin Janeba Tarmoh über 100 Meter zeitgleich als Dritte im Ziel eingetroffen. Platz drei qualifizierte für die Olympischen Spiele. Alle erwarteten, dass Felix ihrer Kollegin den Reiseschein überlassen würde, Felix' Paradestrecke sind ja die 200 Meter. Aber Felix forderte einen Entscheidungslauf, sie wollte die 100 Meter in London als Temposchule für die 200 nutzen. Tarmoh gab freiwillig auf. "Sie ist ein Killer. Ein netter Killer", sagt Hayes über Felix. Für die aktuelle Saison traf das vor allem auf ihren Trainingsplan zu, "reine Folter", sagt Felix, für die WM hatte sie sich in eine 400-Meter-Läuferin verwandelt. "Darum geht es doch in einem Sportlerleben", findet sie. "Du darfst niemals zufrieden sein. Es gibt immer ein anderes Ziel, das du erfüllen kannst."

Felix gilt als Musterschülerin der US-Leichtathletik. Sie läuft nicht nur schnell, sie läuft so elegant, als sei sie einem Lehrbuch entstiegen. Mit ihren raumgreifenden Schritten hebt sie sich ab von vielen muskelbepackten Sprinterinnen; in Amerika sehen manche in ihr gar das personifizierte Gewissen in der von Skandalen geplagten Hochgeschwindigkeitsbranche. Und das, obwohl ihr Trainer Bob Kersee heißt. Kersee trainierte Florence Griffith-Joyner, die in der hochanabolen Ära ihres Sports wirkte und mit 39 Jahren starb. Felix wirbt für einen sauberen Sport, sie unterzieht sich zusätzlichen Tests, sie versucht, Glaubwürdigkeit herzustellen. Das ist zumindest mehr, als man über andere Vertreter der Branche sagen kann.

Bescheidenheit, dieses Wort wird oft mit Felix verknüpft. Tatsächlich drängt die 29-Jährige schon auf mehr. Bei den Spielen in Rio will sie nicht nur die 400, sondern auch die 200 Meter gewinnen. In Peking ließ der Zeitplan das nicht zu, Felix tröstete sich mit Gold über 400 Meter. "Mir bedeutet das eine Menge, dass ich mich so aus meiner Komfortzone gewagt habe", sagte sie. Usain Bolt hatte vor ein paar Jahren ebenfalls überlegt, mit den 400 Metern fremdzugehen. Es war ihm dann zu anstrengend.

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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