Sebastian Weiß bemüht sich tapfer, aber man hört ihm das schon an: dass es schmerzt, Konstanze Klosterhalfen, eine der größten Begabungen der deutschen Leichtathletik, ziehen lassen zu müssen. Weiß hatte die 21-Jährige in den vergangenen Jahren zu nationalen Titeln und Rekorden geführt, vor allem über die 1500 Meter. "Es sind schon gemischte Gefühle", sagt Weiß am Telefon, "sie hätte sich sicher auch hier weiterentwickelt" - bei ihrem Verein, dem TSV Bayer 04 Leverkusen. Aber Klosterhalfen stieg am Mittwoch nun mal in ein Flugzeug in die USA, ihr neuer Lebensmittelpunkt ist jetzt Portland, an der amerikanischen Westküste. Portland?
Die Wechselbörse brummt derzeit in der Leichtathletik, Gina Lückenkemper etwa, die beste deutsche Sprinterin, hat sich gerade dem SSC Berlin angeschlossen. Aber Klosterhalfens Wechsel ist da noch mal eine andere Nummer. Deutsche Athleten wechseln selten ins Ausland, und in Portland ist das Nike Oregon Project (NOP) ansässig, ein Flaggschiff des Nike-Konzerns. Das zeigt, wie sehr Klosterhalfens Potenzial mittlerweile international geschätzt wird, einerseits. Andererseits wirft der Umzug auch Fragen auf.
Das NOP fußt auf einem Traum des Firmengründers Phil Knight: Amerikas Athleten sollten Afrikas Laufdominanz brechen, mit den fähigsten Trainern und Methoden - wie Höhenkammern in den Athletenhäusern, um die Ausdauer zu verbessern. Alberto Salazar ist bis heute Kopf des Projekts, seine Athleten gewannen Medaillen bei Olympia und Weltmeisterschaften, vor allem der Brite Mo Farah und Galen Rupp, USA. Klosterhalfen hatte im Sommer Verletzungsprobleme, ihr Potenzial ist aber weiter unbestritten. Portland sei da "eine Chance, sich sportlich und persönlich weiterzuentwickeln", sagt Weiß, "das ist eine tolle Sache, mit einigen der besten Athleten der Welt in so einem Umfeld trainieren zu können".
Nur: Über diesem Umfeld liegen längst auch ein paar schwere Schatten. Ehemalige Trainer und Athleten, wie die Läuferin Kara Goucher, berichteten vor drei Jahren, dass Salazar Sportler dränge, leistungsfördernde Medikamente zu nehmen. Die amerikanische Anti-Doping-Agentur Usada zeichnete in einem Zwischenbericht, der an die Öffentlichkeit sickerte, ein düsteres Bild. Salazar arbeite mit "Nötigung" und "Abhängigkeiten", habe "höchstwahrscheinlich" das Anti-Doping-Protokoll verletzt (was Salazar dementiert). Nike habe die Ermittlungen zudem massiv behindert (was der Konzern dementiert). Leistungsträger wie Farah haben das NOP mittlerweile verlassen (aber angeblich nicht wegen der Vorwürfe), die Ermittlungen dauern an.
Weiß sagt: "So lange nichts konkret bewiesen oder ein Abschlussbericht veröffentlich ist, gehen wir davon aus, dass alles sauber ist." Klosterhalfen werde sich auch "nicht dem NOP direkt anschließen", sie nutze das Umfeld und werde von Pete Julien betreut. Der ist aber eng mit Salazar vernetzt, als Co-Trainer des NOP. Und wenn man so sehr vom Umfeld und der Konkurrenz profitieren will, die unter NOP-Flagge trainiert - ist man da nicht zwangsläufig ins Projekt eingebettet? Pete Julien hatte vor einem Jahr gesagt: "Wir sind alle ein Team." Hatte Klosterhalfen da keine Bedenken? Auf Anfrage wollte sie sich zunächst nicht äußern.
Weiß, inzwischen zum Bundestrainer für die Mittelstrecke aufgestiegen, sagt, er werde Klosterhalfen weiter beraten. Der Rest muss sich zeigen. Adam Goucher, der Ehemann der Kronzeugin Kara Goucher, sagte jetzt dem Portal Letsrun.com: Er gehe davon aus, dass die Ermittlungen zum NOP "sehr, sehr bald" zu Ergebnissen führen werden.