Leichtathletik:Einfach laufen lassen

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Überwältigt: Hanna Klein läuft bei der Hallen-EM in Torun zu Bronze über 1500 Meter. (Foto: Axel Kohring/imago)

Die deutschen Leichtathleten starten nach langer Wettkampfpause bei der Hallen-EM ordentlich ins Olympia-Jahr. Hanna Klein steuert über 1500 Meter den emotionalen Höhepunkt bei.

Von Johannes Knuth, Torun/München

Hanna Klein war etwas aus der Übung. "Meine letzte Fahne um die Schultern hatte ich bei der Universiade", sagte sie, nachdem sie bei der Hallen-EM in Torun gerade die ersten Feierlichkeiten anlässlich ihrer Bronzemedaille über 1500 Meter absolviert hatte. Bei den Welt-Studentenspielen hatte Klein vor vier Jahren über 5000 Meter triumphiert, aber die Konkurrenz war dort, mit Verlaub, nicht ganz so robust gewesen wie nun in Polen. Da hatte sich Klein kraft ihrer Spurtstärke noch auf den dritten Rang geschoben, in 4:20,07 Minuten, knapp hinter der Belgierin Elise Vanderelst und der Britin Holly Archer. Auch beim obligatorische Posieren mit den Fahnen war die 27-Jährige leicht verspätet, ein Betreuer reichte ihr schließlich eine Flagge von der Tribüne. Die Tränen kamen dafür recht bald, ganz von allein.

Nach dem wettkampfarmen Sommer 2020 hatte die sonst unscheinbare Hallen-EM nun den Stand einer wichtigen Standortbestimmung für die nahende Olympiasaison. Die knapp 50 Athleten starke Reisegruppe des Deutschen Leichtathletik-Verbands sammelte sechs Medaillen, eine passable Ausbeute, auch wenn am Ende kein Titel darunter war. Christina Schwanitz hatte im Kugelstoßen Bronze erkämpft (19,04 Meter), Malaika Mihambo wurde im letzten Versuch noch von der Ukrainerin Maryna Beck-Romantschuk überboten, die 6,92 Meter und somit vier Zentimeter besser war. Kevin Kranz hätte nach seinem deutschen Hallenrekord zuletzt über 60 Meter (6,52 Sekunden) schon gerne auch in Torun gewonnen, aber in 6,60 war er gegen den Italiener Lamont Marcell Jacobs (6,47) chancenlos. Auch Dreispringer Max Heß ärgerte sich nach Bronze und 17,01 Metern, dass es ihn nicht etwas weiter getragen hatte. Die Glücklichste der deutschen Medailleninhaber - neben Neele Eckhardt-Noack, die mit 14,52 Metern Dreisprung-Bronze gewann - war wohl Hanna Klein, die bestätigt hatte, dass auf den Mittelstrecken viele Wege zum Erfolg führen.

Klein hat sich mit ihrem Heimtrainer Uwe Schneider über Jahre behutsam in die Elite vorgearbeitet. Vor vier Jahren wurde sie bei der WM in London Elfte über 1500 Meter, im Jahr darauf deutsche Meisterin über 5000 Meter, bei der EM in Berlin stieg sie über diese Strecke aber überraschend aus. Ihr Trainer vermutete eine mentale Blockade, Klein machte einen Infekt geltend. Es war ein Vorbote, dass sich durch das Fundament des Vertrauens erste Risse zogen; 2019 schloss sich Klein jedenfalls der LAV Stadtwerke Tübingen und Trainerin Isabelle Baumann an. Die nahm dort, wie sie heute im Gespräch sagt, eine ziemlich verunsicherte Athletin in Empfang. Sportlerin und Trainerin gossen erst mal ein neues Fundament, was Ziele und Taktik betraf, und als das Vorjahr gerade stimmig anbrach mit zwei nationalen Hallen-Titeln über 1500 und 3000 Meter, kam die Pandemie.

Ihr erstes Höhentrainingslager bestritt Klein vor zwei Jahren - lieber nichts überstürzen

Wer sich im internationalen Laufgewerbe behaupten will, braucht einen langen Atem, so oder so. Gesa Krause, die zweimalige WM-Dritte über 3000 Meter Hindernis, hechelt seit Jahren von Trainingslager zu Trainingslager, Südafrika, USA, Kenia. Konstanze Klosterhalfen, die WM-Dritte über 5000 Meter, wechselte Ende 2018 in das Läufercamp von Alberto Salazar in Oregon. Kurz darauf befand ein Schiedsgericht, dass der Trainer über Jahre Grenzen des Erlaubten überschritten habe, einstige Athleten warfen ihm körperlichen und seelischen Missbrauch vor (Salazar hat gegen seine Sperre Berufung eingelegt). Sie habe gewaltigen Respekt vor Klosterhalfens Leistungen, sagte Klein vor zwei Jahren der Stuttgarter Zeitung, aber was die Trainingsmethoden betreffe: "Das ist nicht meine Philosophie." Sie glaube, dass Leistungssport auch mit Mitteln möglich sei, "von denen ich weiß, dass sie gesundheitserhaltend sind".

Kleins Weg verläuft behutsamer, bis heute. Im Höhentraining war sie das erste Mal vor zwei Jahren, in Kenia. Als sie dort beim Geländelauf auf mehr als 2000 Metern Höhe nicht mit den afrikanischen Athleten mithalten konnte, stürzte sie sich nicht gleich in Zweifel: "Jeder Trainingseffekt, den man in der Höhe hat, ist gut", hat sie einmal erzählt. Das Training in Afrika, 150 Athleten jeden Morgen auf einem staubigen Sportplatz, habe sie auch sonst beeindruckt: "Ich finde es so toll, dass das Laufen so viele zusammenführen kann und man so zusammen trainiert."

Heute, sagt ihre Trainerin, sei Klein viel selbstbewusster geworden, auf und abseits der Bahn. Das habe auch das Finale in Torun gezeigt, in dem Klein sich zutraute, weit hinters Feld zu fallen, ehe sie auf der Schlussrunde eine Konkurrentin nach der anderen einfing, die sich im Gerangel aufgerieben hatte. Oder in Kleins Worten: "Scheiß drauf, Hanna, lauf einfach!" Nach ihrer Hallensaison liegt sie in der neuen Weltrangliste so gut, dass es mit einen Startplatz für die Spiele in Tokio sehr gut aussieht, wobei Baumann auch den zweiten Qualifikationspfad über die Norm-Erfüllung beschreiten will, über 1500 Meter (4:04:20 Minuten) und 5000 Meter (15:10), sicher ist sicher. Über die kürzere Strecke müsste Klein dafür ihre Bestzeit schaffen (4:04,15), über die 5000 diese um sieben Sekunden verbessern, wobei ihr Baumann sogar eine Zeit unter 15 Minuten zutraut.

Klein befand in Torun jedenfalls: "Diese Medaille und die Gewissheit, mich auch in einem solchen taktischen Rennen behaupten zu können, gibt mir viel Selbstvertrauen für den Sommer." Vielleicht liegt dann ja auch irgendwann wieder eine Flagge über ihren Schultern.

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