Leichtathletik:Dünnes Netz

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Vor drei Jahren wurde Pascal Behrenbruch Europameister im Zehnkampf. In dieser Saison wird sich der 30-Jährige wohl nicht für die WM qualifizieren. (Foto: Ina Fassbender/dpa)

Zehnkämpfer Pascal Behrenbruch steckt im Leistungstief. Der Europameiser von 2012 ist von seiner Bestleistung weit entfernt.

Von Johannes Knuth, Ratingen/München

Der Zehnkämpfer Pascal Behrenbruch wirbt seit kurzem für einen Automobilhandel. Das Unternehmen fand, dass Behrenbruch ganz gut zu ihren Produkten passe, der 30-Jährige sei "sprintgewaltig", heißt es auf der Website, und "sprintgewaltig ist auch der neue Mercedes-AMG GT". Sportler sind oft gern gesehene Werbeträger, sie bündeln das, was Unternehmen gerne in ihren Produkten sehen wollen. Problematisch wird es bloß, wenn sich der Sportler ein lästiges Formtief einfängt.

Man tritt Pascal Behrenbruch von der LG Eintracht Frankfurt nicht zu nahe, wenn man ihm derzeit eine suboptimale Sprintgewalt attestiert. Oder generell eine suboptimale Verfassung. Behrenbruch wurde 2012 in Helsinki Europameister, als Zugabe gab es eine persönliche Bestleistung von 8588 Punkten. Seit zwei Jahren laufen die Geschäfte nun eher schlecht. Vor allem in dieser Saison. Anfang Mai schwänzte er das Mehrkampfmeeting in Götzis, wegen Formschwäche, richtete er aus. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) vergab am Sonntag in Ratingen die letzten Startberechtigungen für die WM Ende August in Peking, Behrenbruch sammelte 7826 Punkte, das war zu wenig, viel zu wenig, um Rico Freimuth, bis zuletzt Inhaber des dritten und letzten deutschen Startplatzes für Peking, zu verdrängen. Freimuth beendete in Ratingen bereits nach dem ersten Tag den Wettkampf. Er wusste, dass ihm keine Gefahr droht.

Die Mehrkämpfer des DLV können sich, rund zwölf Jahre nach ihrer großen Leistungsdelle, international längst wieder blicken lassen. Im Siebenkampf hat sich die junge Carolin Schäfer in die Weltspitze aufgemacht, Claudia Rath und Jennifer Oeser werden sie nach Peking begleiten; Oeser sicherte sich in Ratingen nach Babypause mit 6306 Punkten die letzte vakante WM-Stelle. Die Zehnkämpfer haben ein paar Ausfälle zu beklagen, dafür ist Michael Schrader nach diversen Verletzungen wieder in stabiler Verfassung. Er gewann am in Ratingen (8419), ist in dieser Saison zweitbester Deutscher, knapp hinter Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied/8462), knapp vor Freimuth (8380); letztere hatten ihre Punktzahlen Ende Mai in Götzis erwirtschaftet. In dieser Besetzung werden sie nun Richtung Peking aufbrechen. Bundestrainer Rainer Pottel hat für seine drei Besten seit längerem eine eigene Linie entworfen, ein Hochbegabter kann ja nicht immer so genau einschätzen, welche Förderung seine Talente am besten zum Vorschein bringt. Kazmirek, Freimuth und Schrader lassen sich helfen, mal mehr, mal weniger. Behrenbruch war meistens beratungsresistent, irgendwann war der DLV so genervt, dass er seinen Querkopf 2011 aus der Förderung warf. Behrenbruch schloss sich der Trainingsgruppe von Olympiasieger Erki Nool und Trainer Andrej Nasarow an. Ein Jahr später wurde er Europameister, das war natürlich eine tolle Geschichte, nach all den Dissonanzen. Behrenbruch und der DLV schlossen einen Friedenspakt, der Verband finanzierte wieder seine Pläne. Es gab immer mal wieder spitze Bemerkungen, ansonsten ging jeder seinen Weg, Behrenbruch als freischaffender Europameister, die anderen als Angestellte im DLV. Bis zu diesem Leistungsloch, in dem der 30-Jährige seit einer Weile steckt, aus dem er gerade nicht so richtig herauskommt.

Wenn Behrenbruch noch einmal in die Vergangenheit leuchtet, sieht er das Vorjahr. Nasarow, sein Trainer, habe ihn damals sitzen gelassen, sagte er vor Kurzem, erst beim Trainingslager, dann vor der EM in Zürich. Behrenbruch trainierte zwei Monate lang ohne Anleitung im Alltag, das ist in etwa so, als müsse man ein kleinteiliges Modellbau-Set mit verbundenen Augen zusammenbasteln. Er verpasste die EM. Er wanderte nach Phoenix aus, in die USA, suchte Asyl beim Trainer Dan Pfaff. Bei dem standen vor allem Athletik und Technikeinheiten im Stundenplan, Behrenbruch hielt das acht Monate lang aus. Nach Ratingen wird er vermutlich nicht in die USA zurückkehren. Er benötigt jemanden an seiner Seite, der ihn triezt, im Training Aufgaben stellt. "Das Selbstvertrauen", sagt der 30-Jährige, "ist nicht richtig da."

Der Zehnkampf ist ein kraftraubendes Gewerbe. Die zweitägige Quälerei zehrt an Körper und Nerven, der Gemeinschaftssinn unter Mehrkämpfern ist sehr ausgeprägt, das ist kein Klischee. Behrenbruch hat in dieser Welt mit seinem kantigen Ego und seinen Sprüchen lange gefremdelt. Ihm war das egal, zumindest, wenn er Erfolg hatte. Jetzt, im Misserfolg, wenn andere von Sicherheitsnetzen aufgefangen werden, von Kollegen oder Trainern, prallt er ziemlich hart auf. "Ich habe von Pascal keine Informationen", sagte Pottel zuletzt, "ich möchte eigentlich auch keine." Behrenbruch, Europameister a.D., wandelte lange auf einem Grat zwischen Prahlerei und Demut, wobei die Demut zuletzt überwog. In Rating vermittelte er den Eindruck, als habe er sich mit der Zehnkampf-Welt versöhnt. "Ich habe hier wieder Spaß bekommen", sagte Behrenbruch. Er hat den Fokus auf die Sommerspiele 2016 gerichtet. Er wird wohl demnächst wieder in der Heimat trainieren, in Offenbach, dort fühle er sich einfach wohl, sagt er zuletzt. Das merkt man ja oft erst, wenn man eine Weile nicht da war.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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