Sebastian Coe ist ein Meister darin, auch Gewöhnliches mit außergewöhnlichen Worten zu preisen. Und so hat sich der Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF mächtig abgerackert, als er vor einem Jahr ein Potpourri von Reformen präsentierte, die seinen skandalgeschüttelten Sport beruhigen sollten. Das Herzstück, sagte Coe damals, sei die Athletics Integrity Unit (AIU) - eine Art Kriminalbehörde für Doping und Korruption, unabhängig von nationalen Anti-Doping-Agenturen und der IAAF (die freilich das Gros des Jahresbudgets von sieben Millionen Euro stellt). Langfristig, versprach Coe, solle die neue Fahndungstruppe die international teils abenteuerlichen Unterschiede bei Dopingkontrollen beseitigen: "Diese Maßnahme wird den Athleten absolut ins Zentrum unseres Ökosystems rücken. Der Athlet ist der erste, an den wir denken und für den wir handeln."
Tatsächlich ging der AIU zuletzt ein prominenter Athlet ins Netz: Asbel Kiprop, Olympiasieger und dreimaliger Weltmeister über 1500 Meter, wurde im November bei einer Kontrolle in seiner Heimat mit dem Blutbeschleuniger Epo erwischt, wie die Agentur am Freitag bestätigte. Der nächste prominente Fall aus Kenia, das in den vergangenen Jahren immer wieder wegen seiner laxen Kontrollen gerügt wurde. Was zunächst die Potenz der AIU zu belegen schien, entpuppt sich zunehmend als neues Kapitel in einer Saga an ewigen Skandalen.
Denn Kiprop veröffentlichte am Freitag seine Version der Ereignisse. Ein Kontrolleur der AIU habe ihn am 26. November über eine Kontrolle am darauffolgenden Tag informiert, per Telefon und Textnachricht. Eine gravierende Verletzung des Anti-Doping-Protokolls, das unangekündigte Tests vorschreibt. Aber was sollte schon passieren, dachte Kiprop, er habe ja nichts zu verbergen. Nachdem zwei AIU-Fahnder am Tag darauf wie verabredet bei ihm aufgeschlagen und eine Urinprobe genommen hatten, habe einer von Kiprop Geld verlangt. Wofür, sagte er nicht. Kiprop, ein gelernter Polizist, überwies einen kleinen Betrag, digital, er war prompt auf dem Konto des Kontrolleurs verfügbar; den Beleg bewahrte Kiprop auf. Erst dann sei seine Probe versiegelt worden. Später, als er von seiner positiven Probe erfuhr, habe Kiprop das Spiel verstanden: Womöglich habe er den Kontrolleur bestechen sollen, damit dieser die Probe als sauber werte, aber zu wenig überwiesen. Die Kontrolleure hätten seinen Urin leicht manipulieren können, er habe vor der Versieglung kurz den Raum verlassen. Später, sagte der 28-Jährige, habe man ihm eine Rolle als IAAF-Botschafter angeboten, sollte er sich als Doper bekennen. Eines sei jedoch gewiss, sagte Kiprop: "Ich habe nie gedopt."
Die AIU reagierte prompt auf die massiven Vorwürfe. Ja, die Kontrolleure hätten Kiprop vor dem Test informiert, man sei darüber "extrem enttäuscht". Aber das sei im Grunde verschmerzbar, es habe ja keinen Einfluss darauf gehabt, dass Kiprops Probe positiv ausfiel. Die Kontrolleure hätten den Urin jedenfalls nicht verfälscht, man habe Kiprop auch nicht mit Botschafter-Posten erpresst, sondern um Mithilfe gebeten, wie nach jedem Dopingfall. Zu Kiprops zentralem Vorwurf, der monetären Bitte der Tester, sagte die AIU nichts. Der Fall dürfte die Sportgerichte für eine Weile beschäftigen.
Unklar bleibt fürs Erste, wie der Test sich in das Bild der kenianischen Dopingfälle fügt. Mehr als 40 Athleten wurden in den vergangenen Jahren erwischt, darunter die Marathon-Asse Rita Jeptoo und Jemima Sumgong. Beide beschäftigen den Italiener Federico Rosa als Manager, wie Kiprop. Rosa wurde deshalb sogar in Kenia verhaftet, später freigesprochen; er hat stets bestritten, in illegale Praktiken involviert gewesen zu sein. Unbestritten ist, dass die Sicherheitssysteme in Kenias Sport lange von Korruption zerfressen waren, Athleten vor Kontrollen gewarnt wurden oder sich bei korrupten Funktionären freikauften.