Leichtathletik:Auch der Leuchtturm wackelt

Lesezeit: 2 min

Ein halbes Jahrhundert im Zeichen des Sports - und auch des Betrugs: Lamine Diack, hier im Jahr 2003 am Sitz des Leichtathletik-Weltverbands in Monaco. (Foto: Michael Steele/Getty)

Der Korruptionsskandal in der internationalen Leichtathletik zieht immer weitere Kreise. Und die Ermittler, die eigentlich aufklären müssten, geraten selbst unter Druck.

Von Johannes Knuth, München

Die ersten Schockwellen erreichten am Samstag dann auch die Insel, langsam und mit ein wenig Verzögerung zwar, aber das nahm den Neuigkeiten kaum die Wucht. Ein "sensationeller" Fund, schrieb der britische Guardian über jene Belege, die den Leichtathletik-Krimi der vergangenen zwei Jahre um ein dickes Kapitel erweitert hatten.

Dokumente der französischen Ermittler, von der ARD und der französischen Zeitung Le Monde am Freitag veröffentlicht, zeigen, wie tief das Krebsgeschwür der Korruption sich über all die Jahre in den Weltverband IAAF gefressen hatte. Immer mehr Fälle von Athleten werden in die Öffentlichkeit gespült, die sich bei der alten Leichtathletik-Führung um Lamine Diack offenbar freikaufen konnten und bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften bis 2013 Medaillen gewannen - trotz positiver Dopingproben. Allerdings handelt es sich nicht bloß um Athleten aus Russland. Eine pikante Nachricht des ehemaligen IAAF-Schatzmeisters und russischen Verbandspräsidenten Walentin Balachnitschew, der die Schutzgeld-Transfers aus Russland in die IAAF orchestriert haben soll, legt nun eine brisante Fährte in jenen Verband, der sich in den vergangenen zwei Jahren gerne als Leuchtturm in finsteren Zeiten für die Leichtathletik gab: Großbritannien.

Britischer Olympiasieger soll auf Liste mit verdächtigen Blutwerten stehen

Er wisse, dass auch britische Athleten auf einer Liste von Sportlern mit verdächtigen Blutwerten stünden, schrieb Balachnitschew im Sommer 2014 an die IAAF, als er zudem drohte, das schmutzige Werk des Weltverbands auffliegen zu lassen. Unter diesen Sportlern befinde sich auch "ein Olympiasieger, eine Ikone des britischen Sports". Die IAAF benachrichtigt in derartigen Fällen für gewöhnlich den nationalen Verband, der ermittelt dann und richtet über mögliche Sanktionen. Doch die IAAF tat im Fall der Briten offenbar ganz bewusst: nichts.

Unklar ist, wie schwer die möglichen Vergehen der Athleten wiegen. In Balachnitschews Nachricht ist von "Verstößen" im Blutpass der Athleten die Rede. Der britische Verband gab sich am Samstag zurückhaltend: Man habe keine Kenntnis von den Vorwürfen, die Balachnitschew in seiner E-Mail vom Juli 2014 erhebe, hieß es in einer Stellungnahme. "Wir werden natürlich bei jeder Anfrage kooperieren, die wir von Anti-Doping-Behörden in diesem Fall erhalten."

Balachnitschew und Diack streiten alles ab

Das Problem ist nur: Besagte Anti-Doping-Behörden werden selbst immer tiefer in den Strudel des Skandals gezogen. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) wusste laut ARD bereits 2014 um auffällige Werte russischer Athleten und Schutzgeldzahlungen an die IAAF-Spitze; in Balachnitschews Mail ist auch die Rede von "mächtigen Anti-Doping-Personen", die in die Affäre verstrickt seien. Die Wada selbst tat damals allerdings: auch nicht gerade viel. Sie leitete die Vorwürfe an die - formal unabhängige - Ethikkammer jenes Verbandes weiter, der die mafiösen Netze just gesponnen hatte: die IAAF. Erst als die Praktiken im Winter 2014 durch die ARD in die Öffentlichkeit rückten und der Druck wuchs, spürte eine Wada-Kommission den Missständen nach. Wobei Wada-Präsident Craig Reedie den damaligen russischen Sportminister Witali Mutko beruhigte, es werde schon nichts geschehen, was ihre Freundschaft belasten wird.

Balachnitschew und Diack, der in diesen Tagen in Paris von den französischen Ermittlern vernommen wird, streiten übrigens alles ab. Reedie, vor Kurzem für drei Jahre im Amt bestätigt, gab an, nie von derartigen Schutzgeldzahlungen gehört zu haben. Die Wada reagierte zunächst nicht auf eine Anfrage.

So verdüstert sich das Bild: Eine ehemalige Führung, die Schutzbefohlene erpresste und wie ein Mafia-Clan über den Sport herrschte, Kontrolleure, die Wissen und Verantwortung hin- und herschoben. Und Sebastian Coe, Diacks Nachfolger, der, obwohl er jahrelang unter Diack diente, natürlich nie einen Funken der Machenschaften erspäht haben will. "Schlichtweg kriminelle" Methoden, wie sie Clemens Prokop nennt. Der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands attestierte der Wada zudem ein "Komplettversagen". Und: "Wenn sich regelwidriges Handeln beweisen lässt", so Prokop, "ist die einzige Konsequenz, dass die handelnden Personen ihre Ämter aufgeben."

© SZ vom 27.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: