Lehren aus der U-21-EM:Sich selbst überschätzt

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Enttäuscht über die eigene Leistung: Kevin Volland. (Foto: dpa)

Die Führungsspieler zu sorglos, der Trainer zu großväterlich, nur Joshua Kimmich überzeugt: Fünf Gründe, weshalb die deutsche U-21-Nationalmannschaft bei der EM so krachend gescheitert ist.

Von Matthias Schmid, Olmütz

Horst Hrubesch hat am Tag nach der 0:5-Demütigung gegen Portugal schnell zu seinem inneren Gleichgewicht gefunden. "Ich bin da ein einfach gestrickter Mensch", bekannte der deutsche Cheftrainer. Man könnte auch sagen, er ist ein Familienmensch. Am Morgen nach dem Halbfinale der U-21-EM traf er im Prager Teamhotel auf seinen Sohn und die vier Monate alte Enkeltochter. "Wenn man da Küsse verteilt", so Hrubesch, "denkt man nicht mehr darüber nach, was am Abend vorher passiert ist."

Doch so einfach lässt sich die verstörende Niederlage der Juniorenmannschaft nicht aufarbeiten. "Das bleibt schon haften, aber wir müssen alle daraus lernen und besser werden," sagt auch Hrubesch. Fünf Lehren und Erkenntnisse, die er gemeint haben könnte.

1) Fehlende Hierarchie in der Mannschaft

Hrubesch musste sich nach der Halbfinalniederlage gegen Portugal in Olmütz eingestehen, dass prägende Figuren in der Mannschaft gefehlt haben: Spieler, die furchtlos vorangehen, wenn es Widerstände gibt. Vorbilder, an denen sich die Mitspieler hätten aufrichten können. "Hier hatten wir nicht die klare Hierarchie wie 2009", gab Hrubesch zu. Beim Titelgewinn vor sechs Jahren in Schweden war vor allem Sami Khedira zum Mann gereift. Das erzählt der Weltmeister noch heute bei jeder Gelegenheit. Er musste sich auf und neben dem Platz erst als Kapitän behaupten, sich Anerkennung verschaffen, bevor er anschließend lautstark die Mannschaft zum ersten U-21-Titel in der deutschen Fußballgeschichte führen konnte.

Diese Rolle war diesmal für den omnipräsenten Emre Can vorgesehen, weil andere Führungskräfte wie Matthias Ginter und Marc-André ter Stegen eher ruhigere Typen sind. Doch als es im ersten K.o.-Spiel gegen Portugal darauf ankam, perfektionierte der Profi vom FC Liverpool die Rolle des Unsichtbaren. Hrubesch sagt: "Wir hätten viel mehr und viel klarer miteinander reden müssen."

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2) Löw wird in dieser U 21 kaum fündig

Bundestrainer Joachim Löw, der sich bei der U-21-EM durch seinen Assistenten Thomas Schneider vertreten ließ, konnte vor dem Fernseher daheim in Freiburg niemanden erkennen, der der deutschen A-Nationalmannschaft sofort weiterhelfen könnte. "Wir
 müssen ja keinen Hehl daraus machen, dass wir auf den
 Außenverteidigerpositionen noch Nachholbedarf haben. Ich sehe 
derzeit keinen Spieler, der so gut ist, dass ich ihn sofort zu uns
 holen müsste", erklärte Löw in einem Interview. Er fand nicht sonderlich aufregend, was der Gladbacher Julian Korb auf der rechten und Christian Günter auf der linken Abwehrseite geboten haben. Die beiden verrichten ihre Arbeit unaufgeregt, wollen aber vornehmlich Fehler vermeiden, nicht groß auffallen. Es fehlt der Mut, die Raffinesse.

Auch bei den Stürmern. Löw vermisste einen, der im Zentrum spielt, "der schnell, kopfballstark und torgefährlich ist", wie er sagt. Kevin Volland kann seine Dynamik eher über außen entfalten. Horst Hrubesch wollte die Debatte, die Löw angestoßen hat, nicht groß kommentieren. Er sagte lediglich, dass mit einer gedeihlichen Ausbildung schon früher begonnen werden muss, in den Vereinen, in den DFB-Stützpunkten. "Da müssen wir die Spieler für die Positionen ermutigen, "auf denen wir noch nicht so gut besetzt sind, wie wir uns das alle vorstellen", sagt Hrubesch. Er könnte sich ja schließlich schlecht einen von den Torhütern ausleihen, die immer Weltklasse verkörpern würden.

3) Hang zur Sorglosigkeit

Ausnahmslos alle Spieler haben bei der EM davon gesprochen, den Titel gewinnen zu wollen. Durch das forsche Spiel gegen Dänemark, als fast alles gelang, was sich das Team vorgenommen hatte, wurde dieser Eindruck bestärkt. Doch das Turnier lief nicht weiter wie von selbst: In den anschließenden Spielen gegen Tschechien und Portugal fehlte der unbedingte Siegeswille, der Punch auf dem Rasen. Da ist die Grenze zu Selbstüberschätzung nicht weit, wie Emre Can einräumte: "Vielleicht habe ich vor dem Spiel gedacht, ich bin der Größte." Mit dieser Einstellung gewinnt vielleicht Usain Bolt seine Rennen.

Profis wie Matthias Ginter, Max Meyer und ter Stegen haben in ihren Vereinen schon gezeigt, dass sie gehobenen Ansprüchen genügen. Sie haben sogar in der A-Nationalmannschaft gespielt. Vielleicht haben sie deshalb ein wenig unterschätzt, dass auch andere Nationen aus weit weniger starken Ligen gute Nachwuchskicker haben. Hrubesch will von derlei Vermutungen nichts wissen. Er stellt sich vehement vor seine Spieler, sagt: "Da ist kein einziger Spieler dabei, der glaubt, dass er der Größte und Beste ist." Blöd nur, dass einer dieser Spieler, nämlich Emre Can, genau das Gegenteil behauptet hat.

Emre Can nach dem Halbfinal-Aus
:"Vielleicht dachte ich, ich bin der Größte"

Er habe im Halbfinale "nicht alles gegeben": Emre Can übt nach dem 0:5 der deutschen U21 gegen Portugal heftige Selbstkritik. Mit dem Lob für seine vorherigen Leistungen habe er nicht umgehen können.

4) Joshua Kimmich als Entdeckung des Turniers

"Ich habe gerade mal zwei Spiele von Anfang an gemacht", sagte Joshua Kimmich nach der Gruppenphase. Mit allzu viel Lob konnte und wollte der Mittelfeldspieler nichts anfangen. Seit der FC Bayern bekanntgab, dass er für Kimmich etwa sieben Millionen Euro ausgegeben hat, um ihn nach München zu holen, stand er unter besonderer Beobachtung. Und nach der EM weiß man nun auch, warum Pep Guardiola so ein Faible für den gebürtigen Schwaben hat. Der defensive Mittelfeldspieler ist technisch sehr gut ausgebildet, erobert sich die Bälle und kann präzise und mit Geschwindigkeit passen, auch hasst er es zu verlieren.

Wenn es Spieler gibt, die sich in Tschechien für höhere Aufgaben empfohlen haben, gehört Kimmich ganz sicher dazu. "Natürlich will ich mal in der A-Nationalmannschaft spielen", sagt er und weiß, dass er diesem Ziel ein Stückchen näher gekommen ist. Auch Volland und Matthias Ginter spielten auf einem Niveau, das Bundestrainer Löw von ihnen sehen möchte. Weltmeister Ginter war sogar der stärkste Spieler des Turniers, was die Passquote anbelangt. Doch die drei konnten das Team allein nicht ins Finale führen.

5) Großvater hilft nicht immer

Horst Hrubesch macht häufig den Eindruck, dass er jeden seiner Spieler gerne am Weihnachtstisch zu Hause begrüßen würde. So warmherzig, fast großväterlich, spricht er über jeden einzelnen, er vertraut ihnen hundertprozentig. Die Zuneigung geht ja so weit, dass er die Spieler besucht, wenn sie in ihren Vereinen Probleme haben und nicht spielen dürfen. Er sorgt sich rührend um sie, er gibt den Kümmerer auch bei privaten Schwierigkeiten, meist über das normale Trainer-Spieler-Verhältnis hinaus.

Aber vielleicht passt die gutmütige Art nicht zu jeder Spielergeneration. Womöglich missbrauchen sie seine Nähe, weil sie aus den Klubs einen autoritäreren Führungsstil gewohnt sind und mit Laissez-faire nichts anfangen können. Hrubesch bestreitet das. "Wir haben hier im Mannschaftshotel keine Wohlfühloase geschaffen, sondern wollten den Spielern eine Familie geben." Als es im Halbfinale wichtig wurde, rief trotzdem keiner von ihnen seine beste Leistung ab.

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