Langlauf:Die rote Wand und ihr Ruf

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23 Jahre, vierfacher Medaillengewinner: Alexander Bolschunow, einer von Russlands Tour-de-Ski-Besten. (Foto: Mathias Bergeld/dpa)

Das russische Langlauf-Team prägt diese Tour de Ski, Alexander Bolschunow ist vor dem Schlussanstieg sogar Zweiter. Völlig ohne Zweifel läuft er allerdings nicht um den Gesamtsieg mit.

Von Christian Brüngger

Mit breiter Brust standen sie da: Gleich vier russische Langläufer hatten sich für das Sprint-Finale der vorletzten Etappe der Tour de Ski qualifiziert, dazu kamen zwei Norweger. Es war der finale Beleg in dieser Saison, wie sehr Russland das Langlaufen derzeit prägt. Nur, war da jüngst nicht was? Doch, doch, die Gedanken trügen nicht: Russland wurde ja zuletzt erneut von Großveranstaltungen im Sport ausgeschlossen, weil es sich nicht vollumfänglich mit seiner Doping-Vergangenheit auseinandersetzen will. Der schlechte Ruf der Sportler nagt daher auch an der Integrität der roten Wand der Langläufer.

Es lohnt sich daher, sich mit den Sportlern zu beschäftigen, die gerade bei der 14. Tour de Ski, die wie die Vierschanzentournee der Skispringer traditionell um den Jahreswechsel stattfindet, vorneweg laufen: allen voran mit Russlands Tour-Besten, Alexander Bolschunow. Als Zweiter geht er nur eine Sekunde hinter dem Norweger Johannes Kläbo auf den harten Schlussanstieg auf den Alpe Cermis an diesem Sonntag.

An Silvester wurde Bolschunow 23. Er ist bereits je vierfacher Medaillengewinner bei Olympischen Winterspielen und nordischen Weltmeisterschaften. Bolschunow steht aufgrund seines Alters also eigentlich für die neue Generation russischer Langläufer. Die Dopingfälle seiner Vorgänger, zuletzt rund um die Heimspiele von 2014 in Sotschi, bekam er bloß als talentierter Youngster in der russischen Peripherie mit. Aber weil er in einem 500-Einwohner-Dorf in Südrussland als Sohn eines Bauern aufgewachsen ist, verkörpert der 23-Jährige auch so ein wenig den Langläufer der Vergangenheit: als sich der Sport primär noch aus Förstern und Bauern zusammensetzte.

Da Bolschunow nur Russisch kann, ist er zudem anders als die vielen sprachgewandten Norweger eher nur ein mäßig verkaufbarer Botschafter seines Sports. Wobei ihn seine introvertierte Art ohnehin nicht zum Vielsprecher macht. Die Kraft des 1,85 Meter großen und 82 Kilogramm schweren Stilisten ist dafür umso auffälliger. Am Samstag brach er sich einen Stock während seiner wuchtigen Doppelstock-Einsätze. Natürlich dürfte das Gerät zuvor schon beschädigt gewesen sein, trotzdem ist der Vorfall beinahe beispiellos.

Training über fünf Stunden, in zwei Techniken und drei Sportarten

Bolschunow vertritt als Athlet die klassische russische Trainingsschule: jeden Tag hart zu arbeiten. Lange Einheiten dauern bei ihm im Sommer gerne einmal fünf bis sechs Stunden, in Form von Radfahren (75 Minuten), Langlauf auf Klassischrollen (75 Minuten), Langlauf auf Skatingrollen (75 Minuten) plus Joggen mit Höhenmetern (75 Minuten) - bei geringem Puls, dafür ohne Pause zwischen den Wechseln. Sein Arbeitsethos und seine feine Technik gehen auch auf Bolschunow Senior zurück. Dieser trainierte ihn in der Provinz bis ins Teenageralter - und legt ihm bis heute im Sommer im Garten eine 150-Meter-Rundstrecke aus Schnee vom vorigen Winter aus. Auch die Nachbarn sind bei dieser eigenen Variante des City-Sprints eingeladen.

Auf die lokalen Sport-Funktionäre ist der Senior hingegen schlecht zu sprechen. Sie würden die Leistungen seines Sohnes viel zu wenig würdigen. Lieber erinnert er sich in Interviews mit russischen Zeitungen an wahre Helfer. Als sein Sascha nämlich an den Nachwuchsmeisterschaften einst den Skiathlon bestreiten wollte, fehlten sowohl die Skier als auch die Schuhe, weil dafür kein Geld vorhanden war. Von anderen Athleten bekam er das Material und gewann.

Als lokale Größe mit großem Potenzial entdeckte ihn dann Juri Borodawko - und formte ihn in den erwähnten harten Trainings seit 2016 zum Vorläufer. Bolschunow befinde sich als Athlet quasi noch in den Windeln, tönte sein Trainer vor einem Jahr. Der ist für Bolschunow aber auch ein Risiko. Denn Borodawko führt seit mehr als 25 Jahren die besten russischen Langläufer. Das heißt auch: Gleich mehrere seiner Athleten wurden als Doper überführt, allen voran Jewgeni Dementjew, Olympiasieger von 2006. Auch Alexander Legkow, dem man das Olympiagold von 2014 erst aberkannte, ehe er mangels Beweisen freigesprochen wurde, zählte zu seinen Schützlingen. Intern fiel Borodawko darum in Ungnade, wurde zwei Jahre gesperrt, ehe er auch dank Bolschunow zu einem spektakulären Comeback kam.

Vier russische Teams kämpfen um nur sechs Einzel-Startplätze

Borodawko zählt also zur alten Garde russischer Schnellmacher - wie auch zwei der drei anderen Gruppentrainer. Zur russischen Eigenheit gehört, dass sich der Verband gleich vier Langlauf-Teams im Weltcup leistet. Am Samstag standen Athleten aus drei Lagern im Sprint-Finale. Sie haben im Alltag so gut wie keinen Kontakt, weil sie meist an unterschiedlichen Orten trainieren.

Weil nur sechs Athleten einer Nation pro Weltcup-Rennen starten können, garantiert diese Konstellation einen extremen und auch gewollten Konkurrenzkampf. Teilweise verbissen sich die Athleten in der Vergangenheit aber in den direkten Duellen bereits zu sehr. Mittlerweile haben sie erkannt, dass zumindest eine minimale Kooperation im Wettkampf ganz nützlich sein kann. Diese Tour de Ski belegt es eindrücklich.

© SZ vom 05.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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