Kugelstoßen:Welten entfernt und doch nah beieinander

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Gold und Silber für die deutsche Nationalmannschaft in Peking: Trainer Sven Lang hat die unterschiedlichen Charaktere Christina Schwanitz und David Storl parallel an die Weltspitze geführt.

Von Johannes Knuth, Peking

Das Absperrband konnte im Grunde nichts dafür, aber es war nun mal im Weg des Kugelstoßers David Storl, und der war sauer. Storl hatte gerade eine Silbermedaille in Peking erwirtschaftet, seine erste bei einer WM nach zuletzt zwei Goldmedaillen. Er war nicht so richtig reingekommen in diesem Wettkampf, sie hatten ihn erst einmal alle überholt, Joe Kovacs, der spätere Sieger aus Amerika (21,93 Meter), der Neuseeländer Tomas Walsh (21,58), der Jamaikaner O'Dayne Richards (21,69). Storl schob sich mit seinen 21,74 Metern erst spät auf den Silberplatz. Ob die Freude überwiege? "Siehste ja", sagte Storl, nachdem er das Absperrband etwas ruppig geöffnet hatte: "Mit Silber bin ich zufrieden, nur mit meinem Wettkampf nicht so richtig."

Für die Auswahl des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) ist am Wochenende aber doch ziemlich viel richtig gelaufen bei den Weltmeisterschaften in Peking. 100-Meter-Sprinter Julian Reus verabschiedete sich in 10,28 Sekunden erst im Halbfinale, Claudia Rath wurde mit 6441 Punkten Fünfte im Siebenkampf. Den Mitarbeiterpreis des Wochenendes verdiente sich freilich das Ressort Kugelstoßen: David Storl steuerte eine silberne Medaille bei, die eigentlich eine goldene hätte sein sollen. Und Christina Schwanitz hatte ihre Saison bereits am Samstag mit 20,37 Metern und ihrem ersten WM-Titel veredelt. Sie weinte vor den Kameras, und das sieht immer noch ein wenig rührender aus, wenn kräftig gebaute Frauen wie Schwanitz ihre Emotionen loslassen. Später sagte sie: "Es ist die Saison meines Lebens."

Die Gold-Frau: Kugelstoßerin Christina Schwanitz. (Foto: Franck Fife/AFP)

Storl und Schwanitz waren Favoriten vor ihren Wettkämpfen. Davon haben sie im DLV nicht mehr allzu viele bei Weltmeisterschaften, diesen immer stärker besetzten, interkontinentalen Leistungsmessen. Vor allem Schwanitz trägt diesen "Rucksack", wie sie ihn nennt, seit einer Weile mit sich rum wie auf einer langen Wanderung, ehe andere bereit sind, die Last zu schultern. Storl wiederum ist jemand, dem es nicht taugt, bloß auf ein Podest zu klettern: Er will schon auch eine brauchbare Weite anbieten, zum Beispiel 22 Meter, die er in dieser Saison erstmals übertroffen hat (22,20). Dieser Ehrgeiz hat ihn fast beiläufig nach oben gebracht.

Storl und Schwanitz verbindet nicht viel mehr als ihr Medaillenerfolg. Charakterlich wie sportlich sind sie "Welten voneinander entfernt", findet Schwanitz. Sie beschäftigen zwar denselben Trainer, Sven Lang, 53, einen gut gebauten, stets gut gelaunten Sachsen, der die beiden Charaktere parallel in die Weltspitze geleitet hat. Storl wechselte im Jugendalter zu Lang. Er war als Mehrkämpfer ausgebildet worden, und Lang nutzte Storls Schnellkraft, um ihn zu "dem Geschwindigkeitsstoßer in der Welt schlechthin" umzubauen, wie er findet. "Was David an Kraft hat, ist für Kugelstoßer eher mittelmäßig", sagt Lang. Storls wichtigstes Werkzeug sind die Füße. Mit denen beschleunigt er den Körper, die Arme stellen die restliche Energie bereit. Storl laufe 20-Meter-Sprints in 2,70 Sekunden, zu den hauptberuflichen Sprintern, sagt Lang, "sieht man da keine großen Unterschiede". Und charakterlich? Lang lächelt, dann sagt er: "David ist etwas reservierter in dem, was er macht und sagt."

Der Silber-Mann: Kugelstoßer David Storl. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Schwanitz wiederum trägt ihre Emotionen freizügig mit sich herum. "Sie ist sehr offen und ehrlich", sagt Lang, "das ist auch nicht immer ganz einfach." Vor fünf Jahren siedelte Schwanitz von Heilbronn wieder nach Sachsen um. Sie führte bereits ein paar 19-Meter-Stöße im Sortiment, richtig zufrieden war sie nicht. "Sie kannte damals drei Sachen", sagt Lang: "Kugelstoßen, Kniebeuge, Bankdrücken." Lang schrieb ihr nun auch Sprints, Bodenturnen und Sprünge in den Trainingsplan, er wollte, dass sie nicht nur ihre Arme einsetzt, sondern auch ihren Körper. "Sie hat mich am Anfang dauernd gefragt: Warum muss ich das machen?", erinnert sich Lang. Jetzt, sagt er, "greifen die vielen Sachen, die wir um das Kugelstoßen herum machen." Wobei sie weiterhin nicht auf Schnelligkeit vertraut wie Storl, sondern auf die Kraft ihrer Arme. Und auf ihre mentale Sträke. Lang hatte ihr vor drei Jahren eingestanden, ihr für den Moment nicht weiterhelfen zu können. Schwanitz hatte zuweilen bei großen Wettkämpfen eine psychische Blockade. Sie holte Rat bei einer Psychologin. Weltmeister wird man nicht nur, weil man stark ist, sondern auch, wenn man Schwächen in Stärken umkrempeln kann.

Schwanitz sagt, Lang "ist einer der wenigen Trainer, der es schafft, Männlein und Weiblein in der Weltspitze zu trainieren, weil er unterschiedlich mit Athleten umgeht". Er gibt jedem Athleten dafür Einzelunterricht. "Das ist auch wichtig, weil jeder merkt, dass er beim Trainer im Mittelpunkt steht", sagt er. Er glaubt, dass die Pfade seiner beiden Hochbegabten schon noch ein wenig nebeneinander herführen werden. Schwanitz wird sich in Rio um den Olympiasieg bewerben, dann wohl gegen die zuletzt verletzte Valerie Adams aus Neuseeland. Storl fehlt der Olympiasieg ebenfalls im Lebenslauf; was Rio angeht, ist er allerdings skeptisch. Die Operation, der er sich im vergangenen Herbst unterzogen hatte, hat nicht so richtig viel gebracht, seine Patellasehne schwillt jetzt manchmal noch stärker an als vor der OP. Er müsste sich im Grunde noch einmal operieren lassen, dann würde ihm Rio 2016 allerdings wohl entgehen. "Ich bin jetzt zehn Jahre bei Sven", sagte er in Peking, man vergisst das bei Storl, 25, recht schnell: Er hat noch ziemlich viel Zeit in seinem Sportlerleben vor sich.

© SZ vom 24.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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