Gerade liefen noch die üblichen Meldungen über den Nachrichtenticker, Handball-Bundesliga in Buxtehude, Motorradtraining in San Marino, der übliche Sport-Smalltalk an einem Freitagmittag. Und dann kam diese Meldung aus Berlin, die mit einer Wucht eintraf, als habe jemand mit der Faust auf den Tisch gehauen: "Bahnrad-Olympiasiegerin Kristina Vogel querschnittsgelähmt", meldeten die Agenturen. "Es ist scheiße, das kann man nicht anders sagen", hatte Vogel in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel gesagt, "egal, wie man es verpackt, ich kann nicht mehr laufen."
Die Sportwelt reagierte mit Traurigkeit und großer Anteilnahme. Und sie zollte Respekt für Vogels Sätze, die im Angesicht der Ereignisse eine ganz neue Wucht entfalteten. "Ich bin immer der Meinung, je schneller man eine neue Situation akzeptiert, desto besser kommt man damit klar", sagt Vogel in dem Interview, und: "Zum ersten Mal in meinem Leben muss ich nichts, ich kann. Diese Situation möchte ich genießen. Im Grunde genommen bin ich zum ersten Mal frei."
2012 holte sie Olympia-Gold in London
Vogel hatte am 26. Juni auf der Betonbahn in Cottbus trainiert. "Ich bin mit Pauline Grabosch, meiner Teamkollegin, Sprints gefahren, sie vorneweg, wir beide in der aerodynamischen Haltung", erinnert sie sich. "Dann ist sie ausgeschert, ich gehe in Führung, und dann ist alles schwarz, tiefschwarz." Vogel war bei voller Geschwindigkeit mit einem Fahrer kollidiert, der sich auf der Bahn befand. Und dann sei sie auf der Bahn wieder aufgewacht, habe einen "ganz, ganz dollen Druck", verspürt, als sei der ganze Körper angeschwollen. Als sie sah, wie jemand ihre Schuhe davontrug, obwohl sie nicht gemerkt hatte, dass ihr die Schuhe ausgezogen worden waren: "Da war mir sofort klar, das war's. Das mit dem Laufen wird nichts mehr." Der Sport, die Zukunft, all das war plötzlich sehr klein geworden. Die Zukunft war nun recht akut, sie hieß: überleben.
Vogel spricht in ihrer ersten Wortmeldung nach dem Trainingsunfall auch über die Wochen im Krankenhaus in Berlin, über Operationen und Tage im künstlichen Koma ("Ich dachte zwischendrin wirklich, dass ich sterbe"). Auf den ersten Röntgenbildern, sagt sie, "sieht meine Wirbelsäule aus wie ein Ikea-Klapptisch. Ich habe großes Glück, dass ich noch lebe und dass ich noch voll funktionsfähige Arme habe." Ihr Rückenmark sei ab dem siebten Brustwirbel durchtrennt, das Gefühl in ihren Beinen habe sie verloren. "Egal, was das Schicksal für einen bereithält, das Leben geht weiter", sagt Vogel, "in meinem Fall nun auf vier Rollen statt auf zwei Rädern."
Vogels Unfall hatte die Bahnrad-Szene schwer getroffen. Die 27-Jährige gewann in ihrer Laufbahn elf WM-Titel, zwei Mal wurde sie Olympiasiegerin: 2012 gewann sie mit Miriam Welte in London im Teamsprint, in Rio 2016 siegte sie im Sprint. Bei einer Spendenaktion für Vogel kamen bislang 120 000 Euro zusammen. Am kommenden Mittwoch will sie sich bei einer Pressekonferenz in Berlin äußern.