Kommentar:Die Talente sind die Benachteiligten

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Tatsächlich doch mal aus den Top Ten gefallen: Roger Federer, 20-maliger Grand-Slam-Champion - und Langzeitverletzter. (Foto: Rodger Bosch/AFP)

Der dänische Tennisprofi Holger Rune beklagt das aufgrund der Pandemie umgestellte Weltranglistensystem, das die junge Generation benachteilige - und hat recht mit seiner Kritik. Dass Roger Federer, zwei Jahre kaum auf dem Platz, erst jetzt aus den Top Ten fliegt, spiegelt die Schieflage wider.

Von Gerald Kleffmann

Holger Rune ist noch kein sehr bekannter Tennisspieler. Er ist ja auch erst 18. Er stammt aus Kopenhagen, er spielt die Rückhand beidhändig, laut der Homepage der Profitour ATP findet er James Bond gut und mochte Spanisch in der Schule. In der Weltrangliste wird Rune auf Platz 123 geführt. Das ist insofern bemerkenswert, da Rune vor zwölf Monaten die Nummer 548 war. Rune hätte allen Grund, erfreut zu sein. Aber Rune ist sauer, sehr sogar. Das dänische Talent müsste viel höher in der Rangliste stehen. Das teilte er in den sozialen Medien mit. Und da er mit seiner dort dargelegten Argumentation Wahres zum Ausdruck brachte, ist Rune gerade dabei, auch ohne Asse bekannter zu werden. Er ist der, der das heikle Thema anspricht. Es geht um die unfaire Zusammenstellung der Männer-Weltrangliste.

In seinem Beitrag führte Rune präzise aus, warum er "müde und verärgert" sei. Würde die alte Punktezählweise wie vor Beginn der Pandemie gelten, also die Erfassung der erspielten Zähler im 52-Wochen-Rhythmus, wäre er nicht 123., sondern 62. der Rangliste. Das habe er errechnet. Doch die ATP hielt bis vor Kurzem an dem Notstandssystem fest. Laut Rune: viel zu lange. Es wird ja schon seit eineinhalb Jahren längst wieder gespielt rund um die Tenniswelt.

Der Vorsatz der Ranglistenmodifizierung war zunächst ein guter. Die ATP wollte Spieler, die aus Furcht, Infektion oder Quarantänegründen nicht zu Turnieren fliegen konnten, nicht zusätzlich bestrafen - und fror die Punkte in der Saison vor der Pandemie ein. Wenn jemand etwa nicht in Miami, München oder Bastad spielte: kein Problem! Es wurde 2019 verrechnet. Gerechtigkeit sollte entstehen. Doch Rune stellt klar: "Das System ist unfair." Er hat recht.

Runes Klage: "Die ATP hat es durchgängig mir und vielen anderen jungen aufstrebenden Spielern sehr schwer gemacht."

Es ist ein Unding, dass 2021 immer noch Punkte aus 2019 bei Spielern greifen können (wenn auch nur noch zu 50 Prozent). Für Rune muss es zwangsläufig so wirken: Profis, die vor Corona viele Punkte hatten, wurden mehr geschützt als jene, die seit der Wiederaufnahme der Tour durchgehend spielen. Am plakativsten wird die Schieflage am Beispiel Roger Federer. Der lange Verletzte und nun 40-Jährige spielte 2020 nur ein Turnier und 2021 nur fünf (mit 13 Matches). Bizarr mutete da Anfang dieser Woche die Meldung an, jetzt sei Federer, huch, aus den Top Ten gefallen. So groß Federers Verdienste sind: Gerecht ist sein Platz da vorne nicht.

Ein 18-jähriger Däne spricht Klartext: Holger Rune macht klar, dass, wo die einen Spieler profitieren, andere eben benachteiligt werden müssen. (Foto: LAURIE DIEFFEMBACQ/Imago)

Die Tennisgemeinde, bekanntlich Federer sehr zugewandt, stört sich freilich kaum daran. Aber Rune macht klar, dass, wo die einen profitieren, andere eben benachteiligt werden müssen. Seine Conclusio: "Die ATP hat es durchgängig mir und vielen anderen jungen aufstrebenden Spielern sehr schwer gemacht." Weil die Etablierten, auf ihren eingefrorenen Punkten sitzend, sich ja kaum oder nur sehr langsam verschlechterten. Selbst wenn sie nicht spielten während der Pandemie. Aktiv wie Rune zu sein, wurde nicht belohnt.

Die WTA Tour, die Serie der Frauen, ist übrigens bereits fairer. In deren 2021er-Rangliste fließen keine 2019er-Resultate mehr ein. Immerhin wird die ATP Ende 2022 wieder eine Rangliste wie vor Corona vorweisen. Doch den Runes der Tour hilft das gerade wenig.

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